Gastbeitrag von Jürgen Todenhöfer: Verhandeln mit Baschar al-Assad - wie der IS zu besiegen wäre

Immer mehr westliche, auch deutsche Politiker wollen die Kämpfer des IS mit Bomben besiegen. Dümmer geht's nimmer. Im irakischen Mossul haben sich weniger als 10 000 IS-Terroristen unter 1,5 Millionen Einwohner gemischt. Um sie auszuschalten, müsste man also – drastisch formuliert – „ganz Mossul platt machen“.

Das würde das Leben ungezählter friedlicher Zivilisten kosten und zudem neuen Terrorismus züchten. Auch ausländische Bodentruppen hätten gegen den im Guerilla-Stil kämpfenden IS keine Chance. Weil westliche Soldaten, anders als die IS-Kämpfer, das Leben lieben.

Tausendmal wichtiger wäre es, dass der Westen mithilft, im Irak und in Syrien eine Aussöhnung der bitter verfeindeten Bevölkerungsgruppen zu erreichen. Und dass er Saudi-Arabien sowie die Golfstaaten zwingt, ihre Unterstützung des Terrorismus mit Geld und Waffen zu beenden.

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Aussöhnung mit Anhängern der BAATH-Partei im Irak?

Frieden im Irak durch nationale Aussöhnung wird es nur geben, wenn die schiitische Mehrheit ihren Frieden nicht nur mit den Sunniten, sondern auch mit den Mitgliedern der unter Saddam Hussein herrschenden Baath-Partei macht. Viele Schiiten haben jahrzehntelang unter ihr gelitten. Führende irakische und iranische Politiker sagten mir, eine Aussöhnung sei erst in der nächsten Generation möglich. Wenn das so ist, werden wir uns noch 30 Jahre lang mit dem IS herumschlagen müssen. Der IS kann im Irak nur existieren, weil ihn Sunniten und Baathisten dulden und unterstützen. Wenn sie dem IS im Rahmen einer nationalen Aussöhnung ihre Unterstützung verweigern, ist er erledigt. Wie ein Fisch in einem Bassin, aus dem man das Wasser ablässt.

Eine syrische Friedenslösung mit Baschar Al-Assad?

Bei einem solchen Gedanken stockt vielen der Atem. Ich weiß das. Frieden mit Feinden ist immer bitter, vor allem nach so viel Blutvergießen. Aber Frieden in Syrien wird es nur mit dem bei seinen Gegnern so verhassten Diktator geben. Er hat in den meisten großen Städten, wo immerhin 75 Prozent der Bevölkerung leben, nach wie vor die Macht.

Und er hat weite Teile der Alawiten, Schiiten, Christen sowie der sunnitischen Mittel-und Oberschicht hinter sich. Wer Frieden will, der muss nun einmal mit den Machthabern verhandeln, so schwer das fällt. Natürlich hätte dann auch Assad tiefgreifende Zugeständnisse zu machen. Nicht nur an die sträflich vernachlässigte, verarmte sunnitische Bevölkerung der Vorstädte.

Ich verstehe jeden Syrer, der sagt, das könne er nicht mittragen nach allem, was geschehen sei. Doch ich entgegne: Dann geht das Sterben unschuldiger Syrer weiter. Das aber darf nicht sein. Es reicht! Nur der IS freut sich über die inner-syrische Unversöhnlichkeit.

Auch der Westen und die muslimische Welt können sich Uneinigkeit im Kampf gegen den IS nicht länger leisten. Sie müssen alle Kräfte bündeln. Der IS ist die gefährlichste Terror-Organisation der Geschichte und der gefährlichste Feind des Islams obendrein. Im Vergleich zum IS ist Al Kaida bloß Kinderkram. Nur ein vereinter Irak und ein vereintes Syrien können den IS in jene Hölle schicken, in die er gehört.

Weltweites Paktieren der Vereinigten Staaten mit brutalen Diktatoren

Bester Beleg für diese Erkenntnis ist die Kooperation mit dem köpfenden und kreuzigenden Regime in Saudi-Arabien. Auch in Syrien ging es den USA nie um Demokratie, nie um die Syrer. Vielmehr ging es um die Zurückdrängung des Iran, dessen Einfluss im Mittleren Osten durch George W. Bushs Überfall auf den Irak massiv gestiegen war. Saudi-Arabien, Qatar und die Türkei halfen in diesem verdeckten Stellvertreter-Krieg der USA aus eigenen geostrategischen Gründen kräftig mit.

Und selbst wenn es den USA und ihren Verbündeten ausnahmsweise einmal um den Sturz einer Diktatur gegangen wäre, müssten sie sich fragen lassen: Wie viele hunderttausend Terroristen, wie viele Millionen Flüchtlinge darf man eigentlich produzieren, um einen einzigen Diktator zu stürzen? Schon im Fall Saddam Husseins haben sie diese Frage falsch beantwortet. Eine Million Iraker hat das mit dem Leben bezahlt.

Statt kluger Verhandlungen Inkaufnahme des Terrorismus Durch die USA

Das ist noch freundlich ausgedrückt. Dokumente des US-Geheimdienstes CIA bestätigen das. Dessen Ex-Chef Michael Flynn hat es vor kurzem in einem Al-Dschasira-Interview ausdrücklich zugegeben. Demnach wussten di USA schon 2012, dass der syrische Aufstand – anders als westliche Politiker jahrelang behaupteten – von Extremisten und Terroristen angeführt wurde und nicht von Freunden der Demokratie.

Ebenso war bekannt, dass dadurch ein „salafistisches Hoheitsgebiet“ im Osten Syriens entstehen könne (laut General Flynn mit Unterstützung des Westens!), und dass hierdurch die Gefahr der Ausrufung eines „Islamischen Staats“ in Syrien und im Irak drohe. Die US-Führung hat diese Gefahr nach Flynns Angaben bewusst in Kauf genommen. Es sei „A Willful Decision“ gewesen, eine vorsätzliche Entscheidung.

Die Politik, die auf Spaltung Syriens und des Irak mit Hilfe terroristischer Organisationen setzte, ist krachend gescheitert. Inzwischen ist der in Kauf genommene IS-Terror der Kontrolle durch die USA-Zauberlehrlinge entglitten. Der IS beherrscht ein Gebiet so groß wie Großbritannien. Er bedroht jetzt den gesamten Mittleren Osten und die ganze Welt.

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