Gerechtigkeit später: Die Angeklagten im Mordfall de Vries dürfen hoffen
Die Amsterdamer Justiz vertagt das Urteil im Verfahren um den Mord an dem Journalisten Peter R. de Vries. Die Kinder des Opfers reagieren enttäuscht.

Das klang zunächst diplomatisch. „Ich habe Verständnis für die Entscheidung des Gerichts“, sagte Royce de Vries. Dann legte er nach. „Dennoch ist das hart.“ Am Donnerstag sollte in Amsterdam eigentlich das Urteil zum Mord an dem Journalisten Peter R. de Vries fallen. Zu Wochenbeginn setzte das Gericht die Entscheidung überraschend aus. Ein neuer Zeuge soll gehört werden. Die Gerechtigkeit folgt erst mal später.
„Natürlich haben wir uns auf ein Urteil eingestellt“, sagte Royce de Vries, der Sohn des Opfers. Gemeinsam mit seiner Schwester Kelly tritt er als Nebenkläger im Verfahren auf. Am ersten Prozesstag hatten beide im Gerichtssaal das Wort ergriffen. Royce de Vries wandte sich nicht an die Angeklagten: „Die Verdächtigen sind für unsere Trauer nicht fassbar“, sagte er nur knapp und richtete dann seine Worte an den Vorsitzenden Richter. Eindringlich schilderte er das Leben seines Vaters Peter R. de Vries und erklärte: „Er war ein Fels in der Brandung.“
Ein neuer Zeuge könnte einen der Mordverdächtigen entlasten
Das galt für die Familie. Und für viele Verbrechensopfer in den Niederlanden. Denn Peter R. de Vries war mehr als ein TV-Fahnder. Unermüdlich setzte er sich für die Rechte von Geschädigten ein und ermittelte notfalls auch selbst. Dafür bezahlte er mit seinem Leben. Im Juli vergangenen Jahres wurde de Vries, 64, in Amsterdam auf offener Straße erschossen. Zwei Verdächtige müssen sich in Amsterdam vor Gericht verantworten: Delano G. und Kamil E. Der neue Zeuge soll Letzteren entlasten.
Er sei mit dem Tod bedroht worden, ließ die Anwältin von Kamil E. verlauten. Vor allem aber soll die neue Aussage wichtige Aussagen über die Hintermänner des Mords liefern. Der Zeuge beschuldigt den mächtigen Drogenboss Ridouan Taghi als Auftraggeber. De Vries hatte einen Ex-Kriminellen beraten, der vor Gericht gegen Taghi aussagen wollte.

Der ganze Fall liest sich wie eine Netflix-Serie. Es geht um Drogen aus Südamerika, Verbindungen zur Camorra in Italien und mittendrin ein Drogenkartell in den Niederlanden. Holländische Medien legten jetzt interne Dokumente offen. Demnach brachten FBI und Europol die niederländischen Fahnder im vergangenen Jahr auf eine neue Spur. Sie wiesen nach, dass Taghi, der sich in einem getrennten Verfahren für andere Straftaten vor Gericht verantworten muss, aus seiner Zelle weiter mächtigen Einfluss ausübte.
Der neue Zeuge belastet ihn auch als möglichen Auftraggeber im Mord an de Vries. Vor Gericht hat der Tippgeber nur eine Nummer, auch zu seinem eigenen Schutz. Laut Medienberichten hatte er sich schon im vergangenen Herbst an die Fahnder gewandt. Aussagen vor Gericht wollte er aber erst, wenn die Behörden ihm seine Sicherheit garantieren könnten. Das zog sich – bis kurz vor Ende des Verfahrens. Eine mehr als fragwürdige Taktik der niederländischen Fahnder.
Kelly und Royce de Vries gründen Peter-R.-de-Vries-Stiftung
Nun zieht sich das Verfahren bis in den Herbst. Voraussichtlich. Royce und Kelly de Vries sind irritiert. Aber entschlossen ihre Mission fortzusetzen. Das war schon zum Auftakt des Verfahrens klar. Einmütig traten beide in den Zeugenstand. „Er war immer für uns da“, sagte der Sohn. „Er stand ein für Gerechtigkeit – auch wenn das unbequem war“, erklärte Tochter Kelly de Vries.
Beide haben sich längst entschieden: Sie setzen das Erbe ihres Vaters fort. Royce de Vries studierte Jura in Amsterdam, er arbeitete zeitweise in der Firma seines Vaters. Seine Schwester unterstützt mit einer Stiftung Kinder in Ghana. Vor Gericht stehen sie beide gemeinsam für das Werk ihres Vaters ein.
„Man muss der Trauer Raum geben“, hatte Royce de Vries schon vor dem Prozessauftakt erklärt. Die Kinder machen das auf ihre Weise. Zum ersten Jahrestag des Anschlags in der Vorwoche riefen sie die Peter-R.-de-Vries-Stiftung ins Leben. Sie führen die Arbeit des Ermittlers weiter, der vor seinem Tod über Crowdfunding im Internet Geld eingeworben hatten, um ungelöste Straffälle aufzuklären. Cold Cases – frei übersetzt ruhende Fälle – heißen sie in der Sprache der Ermittler. In der Sprache von Kelly R. de Vries klingt das so: „Mit der Stiftung erweisen wir der Arbeit unseres Vaters die Ehre, einem besonderen Journalisten und einem besonderen Menschen.“
Kelly de Vries übernahm den Vorsitz der Stiftung. Royce de Vries wird die Arbeit als Anwalt begleiten. Auch er hatte zu Jahresbeginn Todesdrohungen erhalten. Ein Mandat rund um einen Drogenprozess hatte er schon zuvor ruhen lassen. Nun verzögert sich das Urteil. Aber die Kinder zeigen sich schon jetzt entschlossen. „Ein Mord kostet viele Leben“, heißt der Titel eines Buchs ihres Vaters. Kelly de Vries hatte es in ihrem Plädoyer vor Gericht aufgegriffen. „Der Mord hängt vielen nach – uns und auch Ihren Lieben“, sagte sie in Richtung Anklagebank. Auch wenn sich das Urteil kurzfristig verzögert, für Royce und Kelly de Vries ist schon jetzt klar: Ihr Kampf für Gerechtigkeit fängt erst an. Sie machen das im Namen des Vaters. Wie sagte der einmal über die Arbeit der Tochter: „Dass es gut läuft, macht es für mich einfacher.“