Gerhard Schindler: Ex-BND-Chef hält Anschlag Deutschland für realistisch

Berlin - Herr Schindler, Sie waren vier Jahre lang Geheimdienst-Chef und sind es seit Juli nicht mehr. Fühlen Sie sich jetzt befreit – befreit von der Heimlichtuerei?

Ich fühle mich frei. Und ich genieße dieses freie, selbstbestimmte Leben.

Sie sind nicht im Groll gegangen?

Nein. Ich habe dieses Amt viereinhalb Jahr lang ausgefüllt. Und ich glaube, ich habe es ganz ordentlich gemacht. Es war eine schöne Zeit. Aber es ist auch genug.

Eine offizielle Verabschiedung wollten Sie nicht.

Ich brauche keine große Bühne. Ich bin zufrieden, wenn man mit meiner Arbeit zufrieden ist.

Sie galten als eine zentrale Figur im NSA-Skandal, der dann zu einem BND-Skandal wurde.

Beides trägt den Begriff Skandal nicht. Es ging um die Erfassung von Daten für die NSA in der Abhörstation Bad Aibling. Und dort gab es in der Tat Ungereimtheiten. Diese sind erkannt und abgestellt worden. Und dann gab es Probleme bei der eigenen Erfassung, die ebenfalls erkannt und abgestellt wurden. In jeder Großorganisation schleichen sich unzureichende Verfahren  ein, die man erkennen und abstellen muss.

Aber das war doch Massenüberwachung.

Ich halte den Begriff für falsch. Die Arbeit von Nachrichtendiensten muss zielgenau erfolgen. Sie sind an einer Massenüberwachung überhaupt nicht interessiert. Sie können sie aufgrund ihrer Ressourcen auch gar nicht bewältigen. Und Deutsche in Deutschland haben wir schon gar nicht überwacht.

Smartphones sind genauso schlimm

Es ist sogar ein deutscher EU-Diplomat ins Visier geraten.

Dabei ging es damals um die Organisation und nicht um die Person. Das Beispiel zeigt, dass es sich um Einzelfälle handelte. Im Übrigen stimmen bei der Kritik die Relationen nicht. Wenn Sie bedenken, wie viele Daten man mit seinem privaten Smartphone jede Stunde abgibt über irgendwelche Apps und das vergleicht mit dem Datenvolumen, das Nachrichtendienste für ihren Arbeitsalltag benötigen, dann ist das ungleich geringer.

Die Kritik ist völlig unberechtigt?

Entscheidend ist, zu wissen, wie Nachrichtendienste arbeiten. Es geht um Krisen und darum, wer dahinter steckt. Nachrichtendienste haben null Interesse, die Bevölkerung zu überwachen, den Bürger X oder die Bürgerin Y. Wenn ich dagegen wirtschaftliche Interessen habe, dann brauche ich Massenüberwachung – vor allem, um meine Produkte besser vermarkten zu können.

Facebook ist schlimmer als der Bundesnachrichtendienst?

Auf jeden Fall ist das Datenvolumen von Facebook deutlich größer als das des BND.

„Snowden ist Handlanger der Russen geworden“

Die Missstände beim BND wären ohne Edward Snowden nicht ans Licht gekommen.

Das glaube ich nicht. Wir hatten schon vor Snowden entschieden, die Arbeit der Abteilung Technische Aufklärung zu untersuchen. Ich bin sicher, dass uns das dann aufgefallen wäre.

Sie haben Edward Snowden als russischen Agenten bezeichnet.

Nein. Ich habe  gesagt, dass Snowden ein Verräter ist und sich in die Hand der russischen Geheimdienste begeben hat. Dabei ist er zu ihrem Handlanger geworden.

Ist er ein guter oder ein schlechter Verräter?

Die Unterscheidung gibt’s nicht. Ein Verräter bricht Gesetze. Genau das hat Snowden getan.

Hat der Westen Snowden nicht erst in die Arme der Russen getrieben? Die Europäer hätten ja auch sagen können: Wir nehmen ihn auf.

Es ist müßig, darüber zu spekulieren. Wenn Snowden der Ansicht war, dass da etwas falsch läuft, dann wäre es der erste Weg gewesen, das intern zu regeln und nicht gleich über eine Million Datensätze abzuziehen und zu veröffentlichen. Das ist glatter Rechtsbruch.

Was sagen Sie zu dem jüngsten Urteil des Bundesgerichtshofes, das eine Vernehmung Snowdens in Deutschland unterstützt?

Wenn Snowden tatsächlich als Zeuge gehört werden sollte, wird man enttäuscht sein. Er war länger als Wachmann bei der NSA tätig als im Bereich der technischen Aufklärung, wo er weniger als drei Monate arbeitete.