GroKo-Kritiker Esken und Walter-Borjans sollen SPD-Vorsitzende werden

Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken bekamen in der Stichwahl 53,06 Prozent der Stimmen.

Berlin-Die GroKo-Kritiker Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken sollen nach dem Willen der Parteimitglieder Vorsitzende der SPD werden. Der frühere nordrhein-westfälische Finanzminister und die Bundestagsabgeordnete aus Baden-Württemberg gewannen die Stichwahl des Mitgliederentscheids mit 53,06 Prozent der Stimmen, wie die SPD am Samstag mitteilte. Ihre Konkurrenten, Vizekanzler Olaf Scholz und die Brandenburger Politikerin Klara Geywitz, kamen lediglich auf 45,33 Prozent.

Norbert Walter-Borjans (links) and Saskia Esken.
Norbert Walter-Borjans (links) and Saskia Esken.AFP/Axel Schmidt

Die Wahlbeteiligung lag bei rund 54 Prozent. Offiziell gewählt ist die neue Doppelspitze damit aber noch nicht. Der Parteitag in der kommenden Woche muss sie noch bestätigen, was allerdings als sicher gilt.

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Michael Müller: „Gemeinsam kämpfen“

Berlins Regierungschef Michael Müller (SPD) hat Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans zu ihrem Sieg im Kampf um den SPD-Bundesvorsitz gratuliert. „Es ist toll, dass alle Parteimitglieder in einem transparenten und basisdemokratischen Verfahren wählen konnten, wer die SPD in eine neue Zeit führen soll“, erklärte Müller am Samstag. „In knapp einer Woche treffen die Delegierten auf dem Bundesparteitag die finale Entscheidung über unsere Parteispitze. Dann gilt es, sich hinter unsere neuen Vorsitzenden zu stellen und gemeinsam für eine starke SPD und unsere Inhalte zu kämpfen.“

Ina Czyborra, Abgeordnete und stellvertretende Landesvorsitzende der SPD Berlin, kommentierte den Ausgang so: „Ich freue mich natürlich. Die Partei kann einen immer wieder überraschen. Das andere Ergebnis wäre ein Weiter-So gewesen – jetzt haben wir die Chance, die Partei in eine andere Richtung zu lenken.“

Dazu zähle, den Koalitionsvertrag nachzuverhandeln oder grundsätzlich zu überprüfen, ob die SPD in der Großen Koalition ihre Ziele erreichen kann. Czyborra nannte Stichpunkte: „Dazu zählen sozialer Klimaschutz, eine gerechte Verteilung von Einkommen und Teilhabe, und der Bund muss in der Mietenfrage tätig werden, bei der wir in Berlin schon einiges getan haben.“

Annika Klose, die Landesvorsitzende der Berliner Jusos, ist ebenfalls erfreut über das Ergebnis: „Gewonnen hat das Team, das wir als Landesverband unterstützt haben. Jetzt haben wir die Chance, die SPD neu aufzustellen, mit einem klaren, linkeren Profil. Das Ergebnis ist ein starker Rückenwind für unser Anliegen, genau dies zu tun.“ Klose versteht darunter eine Abkehr von Hartz IV weg hin zu einer Grundsicherung, die höher ist als das Existenzminimum, und eine neue Arbeitspolitik mit einer neuen Umverteilung und einer Arbeitszeitreduzierung. Und schließlich ginge es auch um eine sozial gerechte Klimapolitik und Wirtschaftstransformation.

Der Berliner CDU-Landesvorsitzende Kai Wegner hat die Sozialdemokraten nach dem Votum für die GroKo-Kritiker zu Verantwortungsbewusstsein aufgerufen. „Die SPD muss sich nun auf ihrem Bundesparteitag entscheiden: Will sie verantwortungsbewusste Regierungspartei sein oder stiehlt sie sich aus der Verantwortung?“, erklärte Wegner am Samstagabend in Berlin. „Der Koalitionsvertrag gilt. Wir haben gemeinsam gute und zukunftsweisende Punkte auf den Weg gebracht. Das sollte die SPD im Blick haben, wenn sie selbstkritisch auf die letzten zwei Jahre zurückschaut. Deutschland braucht eine starke und verlässliche Regierung aus Parteien, die sich ihrer Verantwortung für das ganze Land bewusst sind.“

Neuwahlen im kommenden Jahr?

Die designierten neuen SPD-Vorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans wollen künftig auch an den Sitzungen des Koalitionsausschusses teilnehmen. Es sei normal, dass die Parteichefs der Spitzenrunde bei Kanzlerin Angela Merkel (CDU) beiwohnten, sagte Walter-Borjans am Samstagabend in Berlin.

Walter-Borjans und Esken wollen zwar keinen überstürzten Ausstieg aus der großen Koalition. Sie wollen aber den Koalitionsvertrag neu verhandeln. Es ist zu erwarten, dass sie den Delegierten auf dem Parteitag eine Reihe von Bedingungen vorschlagen, auf die CDU und CSU in neuen Verhandlungen eingehen sollen. Sie fordern weitere Milliardeninvestitionen in Klima und Infrastruktur sowie einen Mindestlohn von 12 Euro.

Zieht die Union nicht mit, wie Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer bereits angedeutet hat, wollen sie der Partei den Ausstieg aus dem Bündnis empfehlen. Dann könnte es im kommenden Jahr Neuwahlen geben oder - zumindest für eine Zeit - eine Minderheitsregierung der Union unter Führung von Kanzlerin Angela Merkel.

In den vergangenen Wochen hatten sich Anhänger beider Lager - der GroKo-Kritiker Walter-Borjans und Esken sowie der GroKo-Befürworter Scholz und Geywitz - vor allem in sozialen Medien eine harte Auseinandersetzung geliefert. Parteiprominenz wie die Interims-Vorsitzende Malu Dreyer, Familienminister Franziska Giffey und Außenminister Heiko Mass forderte die Mitglieder deshalb auf, nach der Wahl wieder enger zusammenzustehen.

Lange Suche nach neuer Führung

Für die Sozialdemokraten endet eine halbjährige Suche nach einer neuen Führung. Im Sommer war die bisherige Parteichefin Andrea Nahles nach internen Machtkämpfen zurückgetreten. Doch bei der Suche nach ihren Nachfolgern ging es um mehr als nur eine Personalie: Das Mitgliedervotum gilt auch als Vorentscheid für die Zukunft der großen Koalition.

In einer Woche will die SPD auf einem Parteitag entscheiden, ob sie das Bündnis mit CDU und CSU verlässt - die neuen Parteichefs werden bei dieser Entscheidung ein gewichtiges Wort mitreden.

Umstritten ist, ob die halbjährige Chefsuche den Sozialdemokraten eher geschadet oder genützt hat. In den Umfragen hat sich in dieser Zeit nicht viel bewegt für die SPD. Viele aber sind frustriert wegen der langen Selbstbeschäftigung. Andere äußerten sich begeistert, dass die SPD endlich wieder Feuer zeige. „Die SPD hat die Leidenschaft zurückgewonnen, das macht mich zuversichtlich“, sagte Dreyer der „Süddeutschen Zeitung“.


Zitate zur Wahl von Walter-Borjans und Esken an die SPD Spitze
  • „Es geht um den Zusammenhalt, in unserer Partei und in unserem Land. Die neue Führung hat meine Unterstützung.“ (Gegenkandidat und Vizekanzler Olaf Scholz)

  • „Und an dieser Grundlage (für eine Zusammenarbeit) hat sich durch die Entscheidung heute nichts geändert.“ (CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak)

  • „Wir wünschen ihnen viel Erfolg und freuen uns auf eine faire, sachliche und konstruktive Zusammenarbeit.“ (Gemeinsam Erklärung der Grünen-Bundesvorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck sowie der Fraktionschefs Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter)

  • „Wir haben gestritten und waren immer freundschaftlich dabei.“ (Die designierte SPD-Vorsitzende Saskia Esken)

  • „Die Aufgabe der SPD ist eine historische. Unsere Gegner wollen, dass es uns zerreißt. Diesen Gefallen werden wir ihnen nicht tun.“ (Juso-Chef Kevin Kühnert auf Twitter)

  • „Jetzt muss die SPD nach vorne schauen und alle Kraft sammeln, um geschlossen und gestärkt aus dieser Abstimmung hervor zu gehen“ (SPD-Fraktionschef im Bundestag, Rolf Mützenich)

  • „Die Herausforderungen, vor denen die neue Führung steht, sind gewaltig“ (Sachsens SPD-Chef Martin Dulig)

  • „Ich wünsche mir Neuwahlen.“ (Die AfD-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel)

  • „Der Koalitionsvertrag gilt.“(Der Berliner CDU-Landesvorsitzende Kai Wegner)

  • „Die SPD und das Land braucht dringend linke Politik statt ideenlosem GroKo-Schlingerkurs!“ (Linke-Parteichef Bernd Riexinger auf Twitter)

  • „Ich bin völlig baff.“ (FDP-Parteichef Christian Lindner auf Twitter)

  • „Deutschland steht vor Neuwahlen oder einer Minderheitsregierung. Die FDP steht für die Übernahme von Verantwortung bereit, sofern inhaltliche Kernforderungen umgesetzt werden können.“ (FDP-Fraktionsvize Michael Theurer in einer Mitteilung)