London-Seit Dienstag hält Großbritannien den traurigen Rekord an amtlich bestätigten Coronavirus-Todesfällen in Europa. Neuen Zahlen der Nationalen Statistik-Behörde zufolge sollen bis zum letzten Sonnabend 32 213 Menschen im Vereinigten Königreich der Seuche zum Opfer gefallen sein.

Vor allem neu in die Statistik aufgenommene Tode in Alters- und Pflegeheimen sind für den Anstieg verantwortlich. Damit hätten die Briten in absoluten Zahlen sogar Italien überholt. Pro Kopf der Bevölkerung liegt Großbritannien aber noch hinter Belgien und Spanien und knapp auch hinter Italien.
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Als Grund für die deprimierende Entwicklung gelten seit langem die frühe Einstellung umfassender Tests, ein Mangel an Kontrollen, der verspätete Lockdown und das Fehlen von Schutzkleidung und Testgeräten. Am Dienstag räumte der wissenschaftliche Chef-Berater der Regierung, Sir Patrick Vallence, erstmals entsprechende Versäumnisse ein.
Unter dem Druck der neuen Statistik versucht die Regierung, die weitere Ausbreitung des Virus nun mittels Tracing-Apps und zentraler Datenerfassung einzudämmen. Als Versuchslabor hat sie einen abgelegenen Landesteil vor der englischen Südküste, die Isle of Wight mit ihren 140 000 Bewohnern, ausgewählt.
Auf der Insel gegenüber dem Hafen von Portsmouth wird seit Anfang dieser Woche mit Handy-Apps experimentiert, über die sich Kontakte infizierter Personen zu einem weiteren Personenkreis feststellen lassen. Anders als in anderen Ländern sollen die betreffenden Daten aber nicht auf individuelle Smartphones beschränkt bleiben, sondern in den Datenspeicher des Nationalen Gesundheitswesens (NHS) eingehen.
Isle of Wight als Versuchslabor
Das Experiment, das möglichst schnell aufs ganze Land ausgedehnt werden soll, hat einigen Argwohn verursacht. Regierungskritiker glauben, dass Gesundheitsminister Matt Hancock mit seinem Enthusiasmus für eine „technologische Lösung“ nur darüber hinwegtäuschen will, dass es noch immer nicht genügend Testgeräte und Tracing-Experten gibt.
Und allein die Idee einer zentralen Daten-Bündelung hat zu Protesten geführt. Bürgerrechtler bezweifeln, dass sich entsprechende Daten wirklich anonym behandeln lassen. Auch an der Funktionstüchtigkeit des geplanten Systems gibt es Zweifel. Kritik dieser Art weist die Regierung strikt zurück.
Die Bevölkerung der Isle of Wight, die sich die NHS-Apps herunterladen soll, zeige „enorme Begeisterung“ für das Experiment, hat Minister Hancock versichert. Einzelne Bewohner klagen allerdings, man habe sie über den Plan „im Dunkeln gelassen“. Außerdem fragt man sich vor Ort, ob die Isle of Wight die rechte Wahl gewesen ist mit ihrer geringen Zahl an Corona-Fällen und im Durchschnitt eher älteren Bewohnern, von denen viele keine Smartphones besitzen.