Grünen-Politiker Sven-Christian Kindler über Mautvergabe: „Scheuer hat den Bundestag belogen“
Der Grünen-Politiker Sven-Christian Kindler attackiert Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) im Zusammenhang mit Finanz-Tricks bei der Mautvergabe. Scheuer versuche nun, die Verantwortung auf andere abzuschieben.
Herr Kindler, das Maut-Desaster besteht aus vielen und teilweise sehr komplexen Manipulationen. Welches sind die gravierendsten Unstimmigkeiten, die Sie sehen?
Im dreistelligen Millionenbereich wurden Kosten im Maut-Vertrag, die anfallen, trickreich versteckt. Das ursprüngliche Angebot der privaten Betreiber lag bei rund drei Milliarden Euro. Da der Haushaltsrahmen aber nur zwei Milliarden Euro betrug, hat das Verkehrsministerium die Kosten an mehreren Stellen verschleiert, indem zum Beispiel weniger Fixvergütung vereinbart wurde und stattdessen mehr variable Vergütung oder Kosten und Risiken in die Zukunft verschoben wurden.
Um es klar zu sagen: Scheuer hat damit das Haushaltsrecht gebrochen und den Deutschen Bundestag belogen. Zudem hat der Minister dafür gesorgt, dass die Pkw-Mautvergabe privatisiert wurde, obwohl der Staat das in Eigenregie günstiger hätte umsetzen können. Die Kosten beim Staat wurden künstlich hochgerechnet.
Großkundenrabatte hätten bei den Portokosten in voller Höhe eingepreist werden müssen, dann wäre das Projekt nie an Private vergeben worden. Die Folge wäre gewesen, dass dann auch jetzt nicht Entschädigungszahlungen drohen würden.
Warum wollte Scheuer unbedingt, dass Private die Mauterhebung übernehmen?
Das liegt meiner Ansicht daran, dass Andreas Scheuer für ein neoliberales Politikmodell steht, das die Privatisierung öffentlicher Aufgaben forciert. Er vergibt mehr und mehr Bereiche der öffentlichen Infrastruktur an Konzerne, die dafür hohe Renditen verlangen, oder, wenn das Projekt schief geht: hohe Entschädigungszahlungen. Und das obwohl der Bundesrechnungshof immer wieder ganz klar nachrechnet, dass bei ÖPP-Projekten die Privaten 20-40 Prozent teurer sind, als wenn der Staat selber mit mittelständischen Firmen bauen würde. Aber Andreas Scheuer lernt nicht aus seinen Fehlern.
Warum wurden die Verträge vor dem Urteil des EuGH durchgezogen?
Das hatte reine wahlkampftaktische Gründe und keine inhaltlichen. Der Vertrag für die Kontrolle der Maut wurde vor dem Vertrag für die Erhebung der Maut vergeben, was höchstungewöhnlich ist. Das geschah vier Tage vor der bayerischen Landtagswahl 2018. Das zeigt: Die Pkw-Maut war von Anfang ein reines Wahlkampfprojekt der CSU. Auch bei der Vergabe des Vertrags für Mauterhebung war das der Fall. Scheuer wollte unbedingt verhindern, dass durch ein Warten auf das EuGH-Urteil die schwierige Einführung der Pkw-Maut in die Phase des Bundestagswahlkampfes 2021 gerät.
Die Vertragsparteien trafen sich mit dem Ministerium und Notar an einem Sonntag, einen Tag vor Silvester. Klingt wie in einem Krimi!
Für mich klingt das eher wie ein Groschenroman. Ich darf daran erinnern, die Pkw-Maut war eine Idee von Alexander Dobrindt, um im Landtagswahlkampf 2013 in Bayern Ressentiments gegen Ausländer zu schüren. Dafür hat er das Verkehrsministerium in Geiselhaft genommen.
Sie haben Herrn Scheuer vorgeworfen, dass er den Bundestag belogen hat und seinen Rücktritt gefordert. Haben Sie mit ihm persönlich über das Thema gesprochen?
Ehrlich gesagt, glaube ich, dass ihn das leider kalt lässt. Er versucht krampfhaft die Verantwortung auf andere abzuschieben. In einer normalen Regierung wäre er längst nicht mehr Minister. Bei der GroKo aber kann man hunderte Millionen Euro Steuergeld verschwenden und muss keine Konsequenzen dafür tragen.
Das ist unmöglich. Angela Merkel darf sich nicht länger wegducken, muss jetzt die Reißleine ziehen und die Entlassung von Andreas Scheuer veranlassen. Nach zehn Jahren CSU-Verkehrsministern muss jetzt endlich mal jemand mit Kompetenz das Verkehrsministerium leiten.
Wird die Maut jetzt komplett abgewickelt, oder ließe sich damit nicht noch etwas anfangen?
Ja, die Maut wird komplett abgewickelt. Es hätte auch die Möglichkeit der „Call-Option“ gegeben und Teile des Mautsystems zu kaufen und dann in staatlicher Hand weiterzuführen. Dann hätte es aber kein geheimes Schiedsgerichtsverfahren gegeben, das Andreas Scheuer ja anstrebt, um sein Ministeramt über die nächste Wahl zu retten.
Das wird jetzt alles in einer jahrelangen Aktenschlacht ausgefochten. Das kann er aber nur machen, wenn er den Weg der Kündigung geht. Ein sehr teurer Weg, den er wählt.
Scheuer übergab bereits viele Dokumente. Warum fordern Sie dennoch einen Untersuchungsausschuss?
Bisher hat Andreas Scheuer in der Substanz mehr PR als Transparenz geliefert. Wir haben sehr viele Akten durchgeackert, aber geben uns nicht damit zufrieden, dass der Minister selber die Akten heraussucht und selber entscheidet, was er zur Aufklärung beisteuern möchte. Viele der Akten, die wir haben sind geschwärzt, und viele wurden uns auch bisher nicht vorgelegt.
Das Gespräch führte Kai Schlieter