Holocaust-Gedenktag: Die Verfolgung Homosexueller im Nationalsozialismus

Die NS-Propaganda von einer „Machtübernahme durch Homosexuelle“ hat vielen Menschen den Tod gebracht. Noch heute ist diese Propaganda alltäglich.

Ein KZ-Gefangener mit dem rosa Winkel an seiner Kleidung. Der rosa Winkel war das Zeichen für die homosexuellen Gefangenen.
Ein KZ-Gefangener mit dem rosa Winkel an seiner Kleidung. Der rosa Winkel war das Zeichen für die homosexuellen Gefangenen.epd/imago

78 Jahre mussten vergehen, bis der Deutsche Bundestag den Opfern gedenkt, die auch nach der Zeit des Nationalsozialismus staatlicher Verfolgung ausgesetzt waren. Homosexuelle Menschen, insbesondere schwule Männer, waren die ersten, die von den Nationalsozialisten in Konzentrationslager deportiert wurden.

Die perfiden Gründe dafür und wie es dadurch zu einem gesellschaftlichen Rückschlag in der Zeit des liberalen Aufschwungs der 1920er-Jahre kommen konnte, haben erschreckende Parallelen zur heutigen Zeit. Daher ist es genau der richtige Zeitpunkt, dass der Deutsche Bundestag am Holocaust-Gedenktag 2023 daran erinnert.

Ein liberaler Wind weht durch Berlin und andere deutsche Großstädte: Ein freieres, ein vielfältigeres und liebes-offeneres Leben in Gesellschaft, Kunst, Kultur und Wissenschaft beflügelten die Goldenen Zwanziger. Die ersten Schwulen-Cafés, Kneipen und Travestie-Theater öffnen ihre Türen. Die ersten homosexuellen Emanzipationsbewegungen drangen mutig in alle Gesellschaftsschichten.

Diese neue Sichtbarkeit und gesamtgesellschaftliche Veränderung waren für Kirche, Konservative und Rechte ein Dorn im Auge. Es wurde eine Propaganda der Angst verbreitet: Radikale Kräfte behaupteten, dass die Minderheit in allen wichtigen gesellschaftlichen und politischen Bereichen die Macht übernehmen wolle, um der Mehrheit ihren Willen aufzudrücken. Verschwörungstheorien, die aktuell neu erzählt und verbreitet werden. Der Emanzipationsbewegung ging es damals, wie auch heute, um den Abbau von Diskriminierung und den Erhalt der gleichen Bürger- und Menschenrechte. Dieses Ziel beflügelte das selbstbewusste Mitwirken in der Politik.

Auch die NSDAP buhlte um die Gunst homosexueller Wähler und Mitglieder. Einer der bekanntesten Schwulen in der NSDAP war der Stabschef der SA, Ernst Röhm. Weil Röhm unter dem persönlichen Schutz Adolf Hitlers stand, war er unantastbar. So konnte die Gruppe der Homosexuellen in der NSDAP die Pläne zur Verfolgung von Homosexuellen blockieren, bis es am 30. Juni/1. Juli 1934 zur „Nacht der langen Messer“ kam. Durch einen Bruch zwischen Röhm und Hitler konnte Heinrich Himmler seine Chance nutzen und beauftragte die Ermordung der homosexuellen Parteimitglieder und die Verhaftung mit anschließender Tötung Röhms. Die NS-Führung verkaufte es als Röhm-Putsch, wonach die Homosexuellen Deutschland übernehmen wollten.

Die Gedenkstätte für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen im Tiergarten.
Die Gedenkstätte für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen im Tiergarten.Jens Kalaene/dpa

Heinrich Himmler hatte nun freie Hand zur systematischen Verfolgung von Homosexuellen. Dazu wurde im Juli 1934 das Sonderdezernat II 1 S gegründet. In den ersten Monaten wurden Tausende Menschen verhaftet und in die Konzentrationslager Columbia-Haus und Lichtenburg deportiert.

Mit der Verschärfung des Paragrafen 175 StGB wurde eine rechtliche Grundlage zur staatlichen Verfolgung geschaffen. Durch die neue, gesetzliche Verschärfung wurden schon „unzüchtige“ Handlungen schwer bestraft. Um die „Vernichtung der Homosexualität“ auszubauen wurde 1936 die Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und Abtreibung gegründet. Bis zum Kriegsende wurden 50.000 homosexuelle Männer verurteilt; meist zu langjährigen Gefängnisstrafen, Zuchthaus und Arbeitslager. 10.000 Menschen kamen in Konzentrationslager, wo jeder zweite das Vernichtungslager nicht überlebte. Man geht davon aus, dass viele Betroffene unter anderem als „asozial“ eingeordnet wurden. Somit könnte die Opferzahl der Homosexuellen wesentlich höher liegen.

Homosexuelle Unterwanderung des Staates – eine alte und neue Verschwörungstheorie

Die Propaganda Himmlers und seiner Gefolgschaft, wonach homosexuelle Menschen den Staat unterwandern wollten, zeigte schon im Mai 1933 ihre ersten Schrecken. Neue Forschungsgebiete in der Sexualwissenschaft, wie sie am Institut von Magnus Hirschfeld betrieben wurden, hat man als Gefahr propagiert. Sein Institut in Berlin-Tiergarten wurde geplündert und wichtige wissenschaftliche Erkenntnisse für immer zerstört.

Mittlerweile hat die Wissenschaft Hirschfelds Forschungsansätze und wissenschaftliche Thesen zu Geschlecht und Sexualität wieder aufgenommen. Ein über 80 Jahre altes Wissenschaftsfeld, das heutzutage erneut von Konservativen und Rechten als neue ideologische Pseudowissenschaften pauschalisiert wird.

Auch bei der stärkeren Sichtbarkeit von queeren Themen und Personen wird von Teilen der heutigen Gesellschaft behauptet, dass Politik und Medien gleichgeschaltet seien. Dabei fallen Kampfbegriffe wie einflussreiche Homo-Lobby oder „Generalangriff auf das heteronormative Weltbild“ (NZZ/Schuler/25.6.2013). Sogar einen Einfluss in die Pressefreiheit wird der LSBTI-Community unterstellt, die eine angebliche kritische Berichterstattung verhindern wolle. So die Meinung des ehemaligen Bild-Journalisten Ralf Schuler, der in seinem Brief an die Bild-Chefredaktion behauptet, dass die Bild sich der LSBTI-Community unterordnet. Auch für die Bild gibt es eine Grenze zwischen kritischer Berichterstattung und Verschwörungstheorien. Unter anderem behauptete Schuler bei Bild Live, dass die Regierungspläne zur Schaffung der Verantwortungsgemeinschaft das Ziel habe, die Ehe zwischen Mann und Frau abzuschaffen. Eine Idee, die jedoch mit der Institution Ehe keinen Zusammenhang hat.

Auch bei der Diskussion um das geplante Selbstbestimmungsgesetz werden einige Verschwörungstheorien verbreitet. Dabei ist die Rede von einer „militanten Translobby“ und das ARD und ZDF „Exekutivorgan der Translobby“ (Cicero/Paul/22.01.23) seien. So die Meinung des Cicero-Journalisten Jens Peter Paul. Der Kontext konservativ-feministischer Erzählung ist, dass die Regierung daran arbeite, Tor und Tür für Gewalttäter zu öffnen und feministische Errungenschaften gefährde. Schaut man sich die neuen feministischen Wortführerinnen an, dann erkennt man, dass sie seit vielen Jahren immer wieder mit homofeindlichen und transfeindlichen Kampfparolen auf sich aufmerksam machen. Einer dieser Wortführerinnen ist die Publizistin Brigit Kelle, die schon zur Öffnung der Ehe für alle die „Vernichtung der Ehe“ und die „Anerkennung der Polygamie“ prophezeite. Beides ist nicht eingetroffen.

Zusätzlich kommen auch ausländische Einflüsse dazu. Das Bundesinnenministerium warnt vor russischer Propaganda: „Die Russische Föderation versucht, sich international als Hüterin sogenannter vorgeblich tradierter Familienentwürfe und bestimmter überkommener Familienbilder zu präsentieren. Russische Propaganda und Desinformationen arbeiten mit Narrativen, nach denen sich westliche Staaten angeblich in einem Prozess des moralischen Niedergangs und Zerfalls befänden“, so eine Sprecherin gegenüber der Berliner Zeitung.

Hassthesen sind damals wie auch heute Zündmaterial für Gewaltverbrechen gegen queere Menschen. Die Anzahl homo- und transfeindlicher Gewalttaten steigt jährlich. Für 2021 wurden 870 Fälle polizeilich registriert. Auch hier sieht das Bundesinnenministerium eine klare Tätergruppe: „Insgesamt betrachtet handelt es sich bei den homo- und transfeindlichen Straftaten vorwiegend um Volksverhetzungen, Propagandadelikte sowie Beleidigungen, aber auch Körperverletzungen.“

Gerade in der rechten Szene, „weisen in der Mehrzahl auf die zugrunde liegende Ideologie hin. In Anlehnung an das traditionelle Geschlechterbild und insbesondere die damit verbundene Erwartungshaltung an ‚Familie‘ werden alle anderen Lebensentwürfe abgelehnt“. So eine Sprecherin des Bundesinnenministerium.

Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) legt einen Kranz an der Gedenktafel „Rosa Winkel“ am Nollendorfplatz für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen nieder.
Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) legt einen Kranz an der Gedenktafel „Rosa Winkel“ am Nollendorfplatz für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen nieder.Jens Kalaene/dpa

Die feste Verankerung im Grundgesetz

Der Holocaust-Gedenktag soll das Ziel haben, dass die Ideologien des Nationalsozialismus in Deutschland nie wieder eine Chance zum Keimen haben. Wir erleben in anderen Ländern, dass es dennoch dazu kommen könnte. Da Diskriminierung der wesentliche Ausgangspunkt für die nationalsozialistische Machtergreifung war, wurde im Grundgesetz explizit der Artikel 3 errichtet.

Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

Artikel 3 Abs. 3 Grundgesetz

Im Nachkriegsdeutschland herrschte bis 1994 der Schwulen-Paragraf 175 StGB (in der DDR Paragraf 151) und durch die damaligen Ansichten der Gründerväter und -mütter wurden die homosexuellen und transsexuellen NS-Opfer im Artikel 3 Grundgesetz nicht berücksichtigt.

Die Bundesregierung strebt eine entsprechende Ergänzung „sexuelle Identität“ im Artikel 3 Grundgesetz an.