„Ich hasse Bayern dafür“: Wieso denkt die Welt bei Deutschland an Trachten und Bier?
Auf Twitter beschweren sich User über den Empfang der G7-Staatschefs in München. Das sei nicht Deutschland. Der Hass auf bayerisches Brauchtum ist enorm.

Der wohl mächtigste demokratisch gewählte Präsident ist soeben mit der beeindruckenden Air Force One, dem Präsidentenflugzeug, in München gelandet. Joe Biden ist auf dem Weg zum G7-Gipfel, der dieses Jahr im bayerischen Elmau stattfindet. Das Willkommensprozedere läuft streng nach Protokoll.
Nur begrüßt den US-Präsidenten nicht Bundeskanzler Olaf Scholz, sondern der gastgebende Ministerpräsident Markus Söder samt bayerischer Trachtenvereine und Musiker in brauchtümlich-traditioneller Kleidung. Umgehend gerät die west- und norddeutsche Twitterblase in große Aufregung.
Bayern ist das Land von #Heimat und #Brauchtum: Herzlichen Dank an unsere Trachtenvereine, Musiker und Gebirgsschützen für ihre Unterstützung bei der Begrüßung der #G7-Staatschefs. Sie präsentieren den Freistaat und unsere Traditionen mit großem Stolz. Das war eine tolle Kulisse. pic.twitter.com/Enuyc1hgml
— Markus Söder (@Markus_Soeder) June 26, 2022
Dem jungen Sozialdemokraten Tim Vollert geht dieser Empfang zu weit. Ihm war die Begrüßungszeremonie der G7-Staatschefs in der bayerischen Landeshauptstadt unangenehm. Dabei betont er jedoch, dass er nicht pauschal die Brauchtumspflege eines Bundeslandes kritisiert, sondern vielmehr die Akzentuierung einer vermeintlichen bayerischen Eigenstaatlichkeit bei der Begrüßung am Flughafen in München. In den sozialen Netzwerken gibt es viele weitere Kommentare, die sich über die Art und Weise der Willkommenszeremonie beschweren.
Boah ist mir die Begrüßungszeremonie für die G7-Staatschefs unangenehm pic.twitter.com/8Ons8fvCGB
— Tim Vollert (@Tim_Vollert) June 26, 2022
In einem weitverbreiteten Video filmt der CNN-Moderator Jake Tapper, wie zwei junge Buben den traditionellen Schuhplattler tanzen. In Bayern ist der Tanz fester Bestandteil der kulturellen Identität vieler Heimat- und Trachtenvereine. Das Video geht, wie auch die Fotos vom Flughafen, viral. Der Sprecher der Juso-Hochschulgruppe an der Universität Bonn, Fabian Albrecht, ist über das harmlose Tanzvideo jedoch erbost: „Ich hasse Bayern dafür, dass wir international diesen Ruf haben“, schreibt er zu dem Clip.
Ich hasse Bayern dafür, dass wir international diesen Ruf haben https://t.co/LL5SsBxiKg
— Fabian Albrecht (@originalbrecht) June 26, 2022
Andere User monieren wiederum den Auftritt Söders im Zusammenhang mit dem G7-Gipfel. In einer Willkommensbotschaft („Grüß Gott in Bayern!“) an die Staatschefs ließ er zufälligerweise seinen Bundeskanzler und Parteikonkurrenten aus. Es heißt, Söder wolle sich mit dem Gipfel in seinem Bundesland politisch profilieren.
Die Welt zu Gast in #Bayern: Welcome to Bavaria! Wir begrüßen die wichtigsten Staatschefs der Welt. Beim #G7-Gipfel organisiert sich die freie Welt und definiert gemeinsame Interessen. Die aktuellen Krisen in der Welt zeigen, wie wichtig internationale Abstimmung ist. #G7GER pic.twitter.com/W1NQAz4lbC
— Markus Söder (@Markus_Soeder) June 25, 2022
Doch während die Trachtenvereine als wahlweise zu altertümlich oder lokalpatriotisch kritisiert werden, geht die Kritik an Söders Outfit in eine andere Richtung: Es wirkt auf viele schlunzig. Während der US-Präsident in einem gut sitzenden Anzug aufläuft, erscheint der CSU-Politiker obenherum zwar im traditionellen Janker, doch unter der Gürtellinie zeigt er sich in ungebügelter Chino-Hose und abgewetzten, ungeputzten Tretern.
Doch woher kommen die große Abneigung und die starken Gefühle gegenüber den bajuwarischen Bräuchen und ihrer Traditionskleidung, die in den letzten Tagen auf Twitter für große Aufregung sorgen?
Wie stilvoll, nahezu perfekt der @POTUS angezogen ist, zeigt sich besonders deutlich im Kontrast. pic.twitter.com/sgACevhii2
— Sebastian Eberle (@EberleSebastian) June 26, 2022
Ein Großteil der User beschwert sich in diesem Zusammenhang über ein klischeehaftes Deutschlandbild im Rest der Welt. Sie wollen unbedingt klarstellen, dass sich nicht alle Menschen in der Bundesrepublik so kleiden. Wobei man damit dem Rest der Welt eine große Ignoranz unterstellt.
Weiß-blauer Marketingerfolg weltweit
Die meisten Menschen in Deutschland denken ja auch nicht, dass alle Amerikaner Cowboyhüte tragen und alle Japaner nur in Kimonos rumlaufen, selbst wenn bei Besuchen ausländischer Würdenträger immer wieder Personen in traditioneller Kluft erscheinen. Und in einem Punkt haben die Bayern-Besorgten tatsächlich recht: Wenn man im Ausland an deutsches Brauchtum und Folklore denkt, dominieren bayerische Traditionen. Den Bayern ist es gelungen, ihre Bräuche mit dem Bild Deutschlands in der Welt zu verbinden.
Solche Bayern-Rucksäcke gehen auf Weltreise: Alle Teilnehmer des #G7-Gipfels bekommen einen Rucksack voller bayerischer Spezialitäten von uns. Für Lebensmittel sind wir weltberühmt. Drin sind Wurst, Käse, Süßigkeiten – und Schafkopf-Karten 😀 Bayern soll gut in Erinnerung bleiben pic.twitter.com/p74E5kNtnZ
— Markus Söder (@Markus_Soeder) June 27, 2022
Dazu muss man bloß ein „deutsches Restaurant“ in Minneapolis, Nowosibirsk oder Osaka besuchen. Dort gibt es Bilder vom Schloss Neuschwanstein, Paulaner Bier mit Brezeln und Jodelmusik. Currywurst, ein norddeutsches Pils oder Labskaus wird man da nicht finden. Die Szenerie vom Flughafen-Empfang der G7-Staatschefs wird die bayerischen Stereotype über Deutschland wohl weiter zementieren.
To all my foreign friends and colleagues. We don't walk around like this every day in Germany. Actually, we don't walk around like this at all pic.twitter.com/mK0D9ZMWZg
— Carlo "Realism, Gedankenfetzen, and Rants" Masala (@CarloMasala1) June 26, 2022
Und hat Bayern als gastgebendes Bundesland nicht das Recht, sich der Welt öffentlichkeitswirksam zu präsentieren? Der Freistaat ist nämlich nicht nur ein führender Industriestandort im europaweiten Vergleich, sondern hat eine gewisse Soft Power, die auch in Deutschland von Nord nach Süd und von Ost nach West reicht. Dafür genügt der Besuch eines Oktoberfestes in Berlin, Potsdam oder Wildau, für die ihre Gäste Dirndl und Janker gern aus den dunklen Ecken des Kleidungsschranks holen.
Apropos Dirndl und Janker: Auch wenn man es in Berlin, Hamburg oder Düsseldorf nicht glauben mag, aber sie sind auch heute noch offen gelebter Teil der bayerischen Tradition und Kultur. Vielleicht nicht unbedingt in der Münchener Metropolregion, aber in der nieder- und oberbayerischen Provinz allemal.