Illegaler Antiken-Handel: „Wir reden hier über das Eigentum von Nationen“

Herr Müller-Karpe, der Bürgerkrieg in Syrien ist eskaliert. Viele Menschen haben ihr Leben verloren, viele Orte sind verwüstet – aber auch Kulturschätze und antike Stätten wurden zerstört. Lassen sich solche Meldungen verifizieren?

Es war schon nach den ersten Monaten des Bürgerkriegs abzusehen, dass der Schaden enorm sein wird. Aber Informationen sind schwer zu bekommen und wenig verlässlich. Vertrauen kann man wohl den Berichten von Archäologen auf Facebook und der Webseite des Global Heritage Fund. Eine gute Zusammenstellung der wichtigsten Meldungen findet sich auf http://archaeologik.blogspot.de.

Sind Museen geplündert worden?

Ein im Internet im Januar veröffentlichter Hilferuf syrischer Kollegen berichtet von Plünderungen und kriegsbedingten Schäden in zwölf Museen des Landes.

Gibt es bereits Raubgrabungen?

Von einer massiven Zunahme der Raubgrabungen wird bereits berichtet, so in Palmyra, im berühmten Ebla, wo vor vierzig Jahren bei wissenschaftlichen Ausgrabungen eine Palastbibliothek des 3. Jahrtausends vor Christus entdeckt wurde sowie auch an weniger bekannten archäologischen Stätten. Rebellen berichten in der Washington Post von Raubgrabungen, durch die sie ihre Waffenkäufe finanzieren. So habe man ein römisches Gräberfeld bei Damaskus geplündert.

Sie sind Kriminalarchäologe und beobachten den internationalen Antiken-Handel. Tauchen mehr Artefakte aus dem syrischen Raum auf?

Das lässt sich bisher schwer quantifizieren. Aber es fällt auf, dass die Herkunftsbezeichnung „Syrien“ aus den Auktionskatalogen verschwunden ist. Augenidole kommen jetzt aus „Vorderasien“ oder sind vom „Typ Tell Brak“. Nur Insider wissen, dass der Siedlungshügel Tell Brak in Nordsyrien liegt.

Wäre es nicht ein Leichtes für syrische Behörden, ihr Eigentum nach dem Bürgerkrieg zurückzufordern?

Soweit es da um entwendete Museumsobjekte geht, ja. Die sind in der Regel registriert, gut dokumentiert und können den Ländern zurückgegeben werden. Die große Masse der im Antikenhandel angebotenen Objekte stammt aber nicht aus Museumsplünderungen sondern aus Raubgrabungen. Und Raubgrabungsfunde sind natürlich nirgends registriert. Und da tun sich unsere Gerichte immer noch schwer: Sie sind meist nur dann bereit, gegen Antikenhehlerei vorzugehen, wenn der Herkunftsstaat seine Eigentumsansprüche geltend macht und die Herkunft des Raubgrabungsfundes zweifelsfrei nachweist – was er bei Raubgrabungsfunden schwer kann.

Was müsste geschehen?

Bei unseren Strafverfolgungsbehörden muss sich die Erkenntnis durchsetzen, dass der Handel mit Antiken ungeklärter Herkunft nicht nur rechtswidrig, sondern in erheblichem Maße sittenwidrig und gemeinschädlich ist. Er ist finanzieller Anreiz für Raubgrabungen und die dadurch bewirkte unwiederbringliche Zerstörung der archäologischen Stätten mit den im Fundkontext erhaltenen Informationen. Staatsanwaltschaften und Gerichte sollten nicht warten, bis die Herkunftsländer vorstellig werden. Sie sollten archäologische Funde zweifelhafter Herkunft sicherstellen und dem illegalen Markt entziehen.

Es gibt doch aber auch Artefakte, die aus alten Sammlungen stammen.

Ja, doch diese Gegenstände aus der vielzitierten „alten Adelssammlung“ haben im Lauf der Jahrhunderte einen dokumentarischen Niederschlag hinterlassen, sie tauchen in alten Tagebüchern, Kupferstichen, Erbschaftsurkunden auf. Was unbedeutend war und darum nicht dokumentiert ist, wurde von den Erben meist als „alter Plunder“ entsorgt. Aber wir reden hier nicht über alten Plunder, sondern über das Eigentum von Nationen. Und als man international begann, archäologischen Funden einen Marktwert beizumessen, haben die Herkunftsländer zum Schutz vor Ausplünderung gesetzliche Restriktionen erlassen. So ist die Ausfuhr von Antiken in Griechenland seit 1834 verboten, im Osmanischen Reich und seinen Nachfolgestaaten wie Syrien und Irak seit 1869.

Wer eine syrische Antike verkaufen will, müsste also nachweisen, dass sie vor 1869 ausgeführt wurde?

Ja. Aber was heute im Antikenhandel angeboten wird, stammt in der Regel aus illegalen Grabungen und wurde illegal exportiert. Die Millionen Raubgrabungslöcher, die in den vergangenen Jahrzehnten die archäologischen Stätten in Syrien, im Irak, in Italien, in Griechenland, in Kambodscha, in Peru in Mondlandschaften verwandelt haben, lassen nur diesen Befund zu.

Das Gespräch führte B. Steffens.