IMCO-Vorsitz: Anna Cavazzini übernimmt im Maschinenraum

Im EU-Parlament kämpft Anna Cavazzini für gerechten Handel, Umwelt- und Verbraucherschutz. Jetzt soll sie den Vorsitz des Binnenmarktausschusses übernehmen.

Anna Cavazzini (Bündnis 90/Die Grünen).
Anna Cavazzini (Bündnis 90/Die Grünen).imago images/Jens Jeske

Brüssel-Ihre Wahl an diesem Montag ist eigentlich nur noch eine Formalität: Anna Cavazzini, Grünen-Politikerin und Europa-Abgeordnete, wird den Vorsitz des EU-Binnenmarktausschusses übernehmen. Sie tritt damit die Nachfolge von Petra De Sutter an, die als Vize-Premierministerin in die Belgische Regierung wechselte.

Der IMCO – Committee on the Internal Market and Consumer Protection, so der korrekte Titel des Ausschusses – gilt als ein Maschinenraum der Europäischen Union. Hier wird geregelt, wie Warenverkehr und Verbraucherschutz europaweit harmonisiert werden können. Auch die sogenannte Niederlassungs- und die Dienstleistungsfreiheit fallen in den Zuständigkeitsbereich des Ausschusses, die Freiheit also, sich als EU-Bürger mit einem Betrieb in einem anderen EU-Land anzusiedeln – oder über die EU-Grenzen hinweg seine Dienste anzubieten.

Was abstrakt klingt, berührt das Leben der EU-Bürger täglich. „Was hier geregelt wird, soll den Verbraucherinnen und Verbrauchern am Ende dienen“, sagt Anna Cavazzini. „Sie sollen sicher sein können, dass die Produkte, die sie kaufen, bestimmten Standards entsprechen.“ Von der Datensicherheit bei der Nutzung der großen Online-Plattformen, über Bestimmungen zu Chemikalien in Baudämmstoffen bis zur Sicherheitsgarantie für Kinderspielzeug – künftig gehen alle geplanten Regularien, die die Konsumenten in der EU betreffen, gewissermaßen über Cavazzinis Schreibtisch.

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„Wir haben gerade sehr viele Diskussionen darüber, wie man den Binnenmarkt nachhaltiger machen kann“, sagt die 37-Jährige, die in Hessen aufwuchs und zum Studium nach Chemnitz kam. „Als Grüne kämpfe ich da besonders für ein Recht auf Reparatur.“ In ihrem Wahlkreis in Sachsen treffe sie immer wieder Menschen, die ihr erzählten, dass sie früher alles Mögliche repariert hätten. „Aber heute werden viele Produkte absichtlich so gebaut, dass sie kaputtgehen, sei es der Drucker, die Waschmaschine oder der Wasserkocher.“

Cavazzini sitzt auch im Ausschuss für Handel

Themen wie diese liegen der Grünen-Politikerin besonders am Herzen. „Genau da sieht man auch, wie nah die Fragen von Verbraucherschutz und Nachhaltigkeit zusammenhängen: Einerseits schont es den Geldbeutel, andererseits ist es besser für die Umwelt. Wir wollen ja als großes Ganzes den European Green-Deal umsetzen, das ist das erklärte Ziel der Kommission. Und die Frage nach Nachhaltigkeit und Langlebigkeit von Produkten ist da eine wichtige Säule, die wir im Binnenmarktausschuss verhandeln.“

Der Sprung an die Spitze des Ausschusses, an dem Fragen von Umwelt und Verbraucherschutz zusammenlaufen, wirkt von außen betrachtet wie der nächste logische Schritt in Cavazzinis Biografie – auch wenn die Politikwissenschaftlerin betont, es sei ihr durch den Abgang von Petra De Sutter auch der Zufall zu Hilfe gekommen. Als wissenschaftliche Mitarbeiterin der grünen EU-Abgeordneten Ska Keller kam Cavazzini 2009 nach Brüssel. Weitere Karrierestationen führten sie ins Auswärtige Amt nach Berlin und zur UNO Generalversammlung nach New York. Zuletzt war Cavazzini Referentin für Menschenrechte bei Brot für die Welt.

In Brüssel nun sitzt sie neben dem Binnenmarktausschuss auch noch in dem für Handel – gerechte Globalisierung ist ihr zweites großes Thema. In dieser Funktion war Cavazzini eine der engagiertesten Kritikerinnen des letztlich im EU-Parlament wegen mangelnder Umwelt- und Sozialstandards gescheiterten Handelsabkommen mit den südamerikanischen Mercosur-Staaten.

Doch Cavazzini weiß auch, dass ihr der schnelle Aufstieg nicht überall so gelungen wäre – zählen gerade in der Politik Verbindungen und Ausdauer oft mehr, als der direkte persönliche Einsatz. Auch deshalb fühlt Cavazzini sich in Europa zuhause. „Bei den Grünen im EU-Parlament habe ich eher die Erfahrung gemacht, dass es darum geht, was der und die Einzelne leisten kann – und weniger darum, wie viele Jahre man seine Zeit abgesessen hat.“ Generell seien die Hierarchien in der Schaltzentrale der europäischen Politik flacher, es gebe nicht so viele Barrieren zu überwinden, sagt Cavazzini. „Es zählt vor allem die Frage: Wer hat Lust, die Welt zu verändern?“

Zum Beispiel vom Maschinenraum aus.