Incirlik-Streit: Besucherrechte sollten Nato-Angelegenheit sein

Berlin - Wenn Gastgeber erkennbar die Lust verlieren, weiter Gastgeber zu sein, dann sollte der Gast schleunigst gehen. Mag sein, dass der Abzug der deutschen Soldaten aus dem türkischen Incirlik ein logistisches Problem für die Bundeswehr darstellen würde. Aber darum kann es nicht gehen.

Es geht um die politische Glaubwürdigkeit der Bundesregierung. Diese hat nun mehrfach und richtigerweise die Entscheidung des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan kritisiert, wonach deutsche Parlamentarier die deutschen Soldaten in Incirlik nicht besuchen dürfen. Und jedes Mal hat Erdogan seine Minister in einer Art und Weise antworten lassen, die Beleg war für seine Unberechenbarkeit und den Druck, dem er sich selbst offenbar aussetzt.

Abzug der Soldaten aus Incirlik ist einzige vernünfitge Reaktion

Es ist die türkische Regierung, die einen Zusammenhang herstellt zwischen der Besuchserlaubnis auf dem Stützpunkt und der Tatsache, dass türkische Nato-Offiziere in Deutschland politisches Asyl bekommen haben. Das ist zwar ein sachfremder Zusammenhang. 

Man könnte auch sagen: Alberner geht es kaum. Doch Erdogan, der die Bildung eines Ein-Mann-Regimes in der Türkei anstrebt, scheint resistent zu sein gegen Logik. Wenn das so ist, dann kann es nur eine vernünftige Reaktion aus Deutschland darauf geben: Abzug der Soldaten aus Incirlik, Verlegung der Soldaten nach Jordanien oder Zypern.

Streit um Besucherrechte sollte Nato-Angelegenheit sein

Auch wenn es manche Unionspolitiker in Deutschland anders bewerten mögen, weil Wahlkampf ist und Kritik am Koalitionspartner SPD wohlfeil, so hat doch Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) Recht, wenn er den Streit um die Besuchsrechte in Incirlik zu einer Nato-Angelegenheit machen will.

Es ist im Grunde ganz einfach. Partner in einem Militärbündnis gehen partnerschaftlich miteinander um, und wenn sie es einmal nicht tun, dann muss darüber in der großen Runde mit allen Partnern gesprochen werden. Mag ja sein, dass Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg um die schönen Bilder der Eintracht fürchtet, die kommende Woche vom dem Gipfeltreffen der Militärallianz in Brüssel ausgehen sollen, und deswegen sagt, Incirlik sei eine Sache, die Deutschland mit der Türkei ausmachen müsse.

Einigkeit in Nato wäre heute mehr denn je nötig

Aber so einfach ist es wiederum auch nicht. Seit Erdogan mit der Autokratie liebäugelt und seit in den USA Donald Trump als Präsident regiert, ist die Atmosphäre in der Nato schlecht wie selten zuvor seit Auflösung des Warschauer Paktes vor einem Vierteljahrhundert. Und dabei wäre gerade angesichts des Bürgerkrieges in Syrien, des brenzligen Verhältnisses zum Iran, den Kämpfen in Jemen, dem Dauer-Problem Afghanistan und der Bedrohung durch global agierende Terroristen-Netzwerke heute Einigkeit in der Nato mehr denn je nötig, damit das Bündnis eine Existenzberechtigung behält.

Das heißt nicht, dass die Nato überall eingreifen sollte. Im Gegenteil. Trump etwa will, dass die Nato als Bündnis in den Anti-Terror-Krieg zieht. Das lehnt die Nato aber ab, was auch richtig ist. Denn es sind bereits alle 28 Nato-Mitgliedsstaaten in unterschiedlicher Intensität am Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat beteiligt. Qualitativ würde sich also gar nichts ändern, wenn die Nato als Organisation auch noch Kriegspartei würde.

Europäer müssen sich in Sicherheitsfrage nicht gegeüber Trump beugen

Die Beilegung anderer Streitpunkte ist allemal wichtiger als reine Symbolik. Trump will, dass die Europäer mehr Geld für die Verteidigung ausgeben. Aus seiner Sicht mag das ein berechtigter Wunsch sein. Aber die Europäer müssen sich deswegen nicht beugen, sondern können in Brüssel selbstbewusst vortragen, dass Sicherheitspolitik mehr sein muss als Militärschläge.

Dass zur Sicherheitspolitik auch Entwicklungshilfe und Ausbildung ausländischer Soldaten ebenso gehören müssen. Ein Raketenangriff, wie ihn Trump vor kurzem auf einen syrischen Militärflughafen befahl, ist Aktionismus, der die Ursachen für einen Konflikt nicht aus der Welt schafft.

Loyalität von Erdogan und Trump zur Nato ist unsicher

Trump zu überzeugen ist schon eine gewaltige Aufgabe. Aber nun kommt auch noch Erdogan dazu. Nun gibt es schon zwei Präsidenten von Nato-Mitgliedsstaaten, auf deren Loyalität das Bündnis nicht hundertprozentig zählen kann. Wie Trump zur Nato steht, lässt sich auch vier Monate nach seinem Amtsantritt nicht genau festmachen.

Mal sagt er, die Nato sei obsolet, dann wieder ist es sie nicht. Auch Erdogan ist ein unberechenbarer Präsident, dem die Nato recht zu sein scheint, solange er die Mitgliedschaft seines Landes als vorteilhaft für seine Politik empfindet. Dass Trump und Erdogan die Oberbefehlshaber der zwei größten konventionellen Armeen in der Nato sind, kommt erschwerend hinzu.

Man könnte nun sagen, die Nato müsse sich angesichts dieser grundsätzlichen Aufgaben nicht auch noch mit dem vergleichsweise kleinen Problem der Besuchsrechte in Incirlik befassen. Das wäre aber nicht gut, denn der Umgang eines einzelnen Mitglieds mit seinen Partnern ist eben auch von grundsätzlicher Bedeutung. Angelegentlich müssen offenbar sowohl Erdogan als auch Trump daran erinnert werden, dass die Nato nicht nur ein Militärbündnis ist, sondern eine Allianz der gemeinsamen Werte.