Infektionsschutzgesetz: Stell dir vor, es ist Pandemie und keinen interessiert’s
Karl Lauterbach und Marco Buschmann haben die Novelle des Infektionsschutzgesetzes erarbeitet. Gut. Aber: Die großen Probleme und das Desinteresse bleiben.

Für Marco Buschmann und Karl Lauterbach könnte der Mittwoch ein Tag der Ernüchterung gewesen sein. Da haben sich die beiden Minister für Justiz und Gesundheit wochenlang zusammengerauft, um eine Novelle des Infektionsschutzgesetzes zu erarbeiteten – und als sie fertig sind, interessiert sich keiner so richtig dafür.
Dabei haben der FDP-Politiker und sein Kollege von der SPD extra noch für einen kleinen Spannungsbogen gesorgt. Das Gesetz ist fertig, aber wir sagen erst in ein paar Tagen genau, was drinsteht, hieß es nämlich. Von Lauterbach gab es einen Tweet, in dem FFP2-Masken mit Winterreifen und Schneeketten verglichen wurden. Die merkwürdige Informationspolitik hat allenfalls für ein bisschen Schulterzucken gereicht. Einen Aufreger gab auch das nicht her.
Der Entwurf für neues Infektionsschutzgesetz ist fertig. FFP2 Masken im Innenraum von Anfang an. Ausnahme: Nachweis Tests, frische Impfung oder frisch Genesen in Gastro oder ähnlich. Wenn Fallzahl stark steigt: Masken auch draußen wo Abstände nicht reichen und Obergrenzen drinnen pic.twitter.com/7JQRxWlOBL
— Prof. Karl Lauterbach (@Karl_Lauterbach) August 3, 2022
Stell dir vor, es ist Pandemie – und keinen interessiert’s
Diese These lässt sich sogar mit Zahlen belegen. Ebenfalls am Mittwoch vermeldete das Robert-Koch-Institut 87.671 neue Corona-Fälle. Es ist die offizielle Zahl, die Dunkelziffer dürfte wesentlich höher sein. Fast 90.000 Fälle, aber auch diese Nachricht war an diesem heißen Sommertag nur eine am Rande.
Zum Vergleich: Vor exakt einem Jahr meldete das RKI gerade mal 847 neue Corona-Fälle. Damals gab es noch eine Sommerpause in der Pandemie. Dieses Jahr haben wir alle das Virus im Sommerurlaub verlässliche über den Planeten verteilt – falls der Ferienflug nicht gecancelt wurde. Auch das hat übrigens zu weit mehr Aufregung geführt als die hohen Zahlen an Neuinfektionen.
Das Coronavirus und die Herdengleichgültigkeit
Wir mögen in Deutschland noch keine Herdenimmunität gegen das Coronavirus und seine immer neuen Varianten erreicht haben – eine Herdengleichgültigkeit gibt es längst. Das ist wohl dieses „Wir müssen mit dem Virus leben lernen“, von dem manche Politiker und Wissenschaftler gerne sprechen. Und ganz ehrlich: So schlecht ist diese Wurschtigkeit gar nicht. Schließlich kann niemand ewig im Alarmmodus existieren. Und Corona ist ja nun auch längst nicht mehr unserer einzige Krise.
Dennoch: Vorbei ist die ganze Sache nicht. Es war also höchste Zeit, dass die Ampel-Koalition wenigstens mal in dieser Angelegenheit zu einer Einigung kam. Schließlich laufen die derzeit geltenden Corona-Regelungen zum 23. September aus. Wenn die Bundestagsabgeordneten in vier Wochen wieder im Parlament zusammenkommen, muss ein ausgearbeiteter Folgevorschlag vorliegen, damit das Gesetzgebungsverfahren ordnungsgemäß verläuft.
Natürlich sind auch ohne offizielle Unterrichtung schon Einzelheiten des neuen Gesetzes durchgesickert. So wird es wohl bei der bundesweiten Maskenpflicht in Bussen, Bahnen und Flugzeugen bleiben. Ja, die gilt derzeit durchaus, auch wenn sich in Berlin immer weniger daran halten. Neu hinzukommen soll die Masken- und Testpflicht in Kliniken und Pflegeeinrichtungen.
Vorbereitet sein – Verhältnismäßigkeit wahren – vulnerable Personen schützen: An diesen drei V orientiert sich der Vorschlag für eine Fortentwicklung des #Infektionsschutzgesetz|es, den #BMG und #BMJ heute mit dem Bundeskanzleramt vorgestellt haben. #IfSG pic.twitter.com/eBRMe7sNkN
— Bundesministerium der Justiz (@bmj_bund) August 3, 2022
Ab Oktober dann sollen die Bundesländer selbst entscheiden, ob sie die Maskenpflicht auf weitere Bereiche des öffentlichen Lebens erweitern.
Befürchtet ein Land, dass sein Gesundheitssystem oder andere kritische Infrastruktur zusammenbricht, sollen Maskenpflichten bei Veranstaltungen draußen möglich sein, wenn Mindestabstände nicht eingehalten werden können. Dann soll es auch keine Ausnahmen für Getestete, Genesene und Geimpfte geben. Die Maßnahmen sollen vom 1. Oktober 2022 bis zum 7. April 2023 gelten.
Die Österreicher schenken sich die Quarantänepflicht
Maske, Maskenpflicht und Tests und Testpflicht – das sind offenbar im Herbst die zentralen Mittel gegen die Übertragung des Virus. Diese Maßnahmen sind zwar lästig, aber trotzdem weitgehend unstrittig. Interessanter ist die Frage, wie lange sich Infizierte in Quarantäne begeben müssen – oder ob überhaupt. In Österreich hat man dahingehende Regeln bereits gelockert. Bevor man sich darüber aufregt, sollte man die Situation dort also erst mal genau beobachten. Es könnte gut sein, dass die Alpenrepublik ein Modell für die Bundesrepublik werden könnte.
Denn auch in Deutschland will die Politik neben der Überlastung des Gesundheitssystems die Situation der Wirtschaft mehr berücksichtigen. Zu recht: Coronabedingte Krankheitsfälle haben den verschiedenen Branchen in diesem Sommer extrem zugesetzt. Außerdem müssen die Betriebe zusätzlich mit Arbeitskräftemangel, Energieknappheit und Lieferkettenproblemen klarkommen.
Womit wir zum Schreckgespenst der Pandemie kommen, dem Lockdown. Der soll nach Meinung der FDP ausgeschlossen sein. Und es hat den Anschein, dass sich die SPD und ihr Gesundheitsminister Karl Lauterbach diesem Gedanken zumindest annähern. Man kann nur hoffen, dass sie dabei auch die Schulen meinen.
Dort hat sich in den drei Jahren Pandemie das stillste, aber auch das größte Drama ereignet. An den wochenlangen Schulschließungen und dem monatelangen Distanzunterricht (wenn er denn stattgefunden hat) leidet eine ganze Generation von Schülerinnen und Schülern. Die ersten Studien und Lernstandserhebungen legen nahe, dass in den nächsten Jahren eine mittelschwere Bildungskatastrophe auf uns zurollt. Und da ist von den psychischen und sozialen Langzeitschäden noch gar nicht die Rede.
Die Novelle des Infektionsschutzgesetzes ist daher erst das kleinste Problem, das die Ampel in Sachen Corona ausgeräumt hat. Die Bewältigung der Pandemie bleibt eine Herkulesaufgabe.