Intensivpfleger Lange nach Schulter-OP: „Ich war als Patient aufgeschmissen“

Schmerzen, arbeitsunfähig – Intensivpfleger Ricardo Lange war krank und auf ärztliche Hilfe angewiesen. Seine Erfahrungen beschreibt er als erschreckend.

Intensivpfleger Ricardo Lange
Intensivpfleger Ricardo LangeBerliner Zeitung/Markus Wächter

Der Intensivpfleger Ricardo Lange aus Brandenburg prangert nicht nur als Kolumnist der Berliner Zeitung immer wieder katastrophale Zustände in Berliner Kliniken an, ausgelöst durch Sparmaßnahmen und Pflegemangel. Nun ist er selbst zum Patienten geworden und erlebte am eigenen Leib, was es heißt, krank zu sein. Ein Interview.

Berliner Zeitung: Herr Lange, Sie kritisieren schon lange offen die Probleme im Klinikalltag – die fehlenden Pflegekräfte, den Bettenabbau und dass Patienten kaum noch ausreichend versorgt werden können. Nun waren Sie selbst Patient, mussten an der Schulter operiert werden. Wie geht es Ihnen?

Ricardo Lange: Mir geht es besser, ich bin inzwischen operiert worden und auf dem Weg der Heilung. Der Weg dorthin war allerdings eine reinste Tortur, die Beschwerden fingen schon vor einem Jahr an. Selbst ich war als Patient aufgeschmissen. Unser Gesundheitswesen ist krank, das habe ich nun am eigenen Leib erfahren.

Sie hatten starke Schmerzen, wie ging es weiter?

Ich konnte meinen Arm nicht bewegen, die Schulter schmerzte. Für mich als Sportler war das furchtbar. Anfangs habe ich mich noch durch die Arbeit gequält, dann musste ich mich vor sechs Wochen krankschreiben lassen. Eine richtige Behandlung zu erhalten, war dann eine wahre Odyssee.

Was ist schiefgelaufen?

Wo soll ich anfangen? Es ist schon schlimm, einen Hausarzt zu finden. Meine Ärztin ist gerade in Rente gegangen. Ich musste mir eine neue Praxis suchen, bin aber überall mit dem Argument, wir nehmen keine Patienten mehr auf, abgewiesen worden. Und dann finde mal einen Facharzt, der seine Arbeit noch gut macht. Die Suche danach war schon krass.

Es ist verwunderlich, als Intensivpfleger müssten Sie doch eigentlich alle Kniffe kennen, Hilfe zu bekommen, oder?

Nee, keine Chance! Leider geht ohne Vitamin B kaum etwas. Ich musste Wochen warten, bis ich einen Termin hatte. Als ich dann endlich bei einem Facharzt war, musste ich mir Sprüche wie diese anhören: Was soll ich jetzt mit Ihnen machen oder wie soll ich vor der Krankenkasse Ihre teure MRT-Untersuchung rechtfertigen? In einer Praxis herrschte mich eine Angestellte an, wie ich denn den MRT-Termin ergattert hätte, ich sei doch kein Privatpatient und der Arzt behandele keine gesetzlich Versicherten wie mich. So geht man doch nicht mit hilfesuchenden Menschen um. Erst durch meine Beziehungen, die ich mir in den letzten drei Jahren aufgebaut habe, kam ich wirklich zu einem Arzt, der meine Schulterverletzung ernst genommen hat. Und dann war relativ schnell klar, dass ich operiert werden muss. Es ist echt erschreckend, wie lange man in Deutschland auf eine erlösende Operation warten muss, weil der Heilungsprozess ja wirklich erst dann einsetzen kann. Für viele Patienten bedeutet das eine große seelische und psychische Herausforderung.

Zur Person 
Ricardo Lange, 41, wuchs in Berlin-Hellersdorf auf, lebt heute in Brandenburg. Um sich dort gegen Übergriffe behaupten zu können, betrieb er Kampfsport und Bodybuilding. Er arbeitete als Fitnesstrainer und bei der Polizei, bevor er sich zum Intensivpfleger ausbilden ließ und in diesem Beruf seine Berufung fand. Für eine Zeitarbeitsfirma springt Lange in Berliner Krankenhäusern ein, in denen die Personalnot am größten ist. 2022 hat er ein Buch über den Pflegenotstand veröffentlicht. „Intensiv – wenn der Ausnahmezustand Alltag ist – ein Notruf“ (dtv). Er ist Kolumnist der Berliner Zeitung.

Wegen der Corona-Pandemie wurden zahlreiche Operationen verschoben. Das hat sich anscheinend nicht geändert.

Wir haben genug OP-Säle, genug Skalpelle, genug Narkosemittel, aber eben nicht genug Personal. Selbst mit Vitamin B musste ich weitere sechs Wochen warten, und dann sollte der OP-Termin noch mal verschoben werden. Da mag man sich gar nicht ausmalen, was andere Patienten durchmachen müssen. Letztendlich bin ich im Vivantes operiert worden, und da ich wurde wirklich sehr gut behandelt, obwohl dort gestreikt worden ist. Ich hatte Angst vor dem Eingriff, aber das ist ganz natürlich, als Intensivpfleger hat man gewisse Bilder im Kopf, was so alles schiefgehen könnte – aber die Pfleger und Ärzte haben sich sehr fürsorglich gekümmert und mich vor der Narkose beruhigt. Da ist mir noch einmal mehr aufgefallen, wie wichtig die Zeit und die Fürsorge am Patienten ist.

Man braucht wirklich Glück, einen Arzt zu erwischen, der es gut und gerne macht.

Ricardo Lange über seine Suche nach einem geeigneten Mediziner

Warum ändert sich nichts an der Situation?

Das Gesundheitssystem braucht einen kompletten Neustart. Weg von der Zwei-Klassen-Medizin, bei der gesetzlich Versicherte häufig das Nachsehen haben und oft bei jeder Zusatzbehandlung noch draufzahlen müssen. Weg davon, dass es einfach ist, ein Attest zu bekommen, aber schwierig, eine gute medizinische Behandlung zu erhalten. Man braucht wirklich Glück, einen Arzt zu erwischen, der es gut und gerne macht. Mal abgesehen von der Tortur für die Patienten: Das alles kostet ja auch Geld. Der Arbeitgeber zahlte jetzt sechs Wochen meinen Ausfall, bis das Krankengeld gegriffen hat. Ich bin jetzt aber mindestens noch drei Monate krankgeschrieben, fehle als Fachkraft und koste der Gesellschaft Geld, weil es nicht möglich war, vorher operiert zu werden. Das ist doch verrückt.


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