„Nicht mehr von Schuld und Zorn geprägt“

Jeremy Issacharoff, Botschafter Israels in Berlin, über Hoffnung für den Nahen Osten und  jüdisches Leben in Deutschland.

Jeremy Issacharoff, Botschafter des Staates Israel in Deutschland.
Jeremy Issacharoff, Botschafter des Staates Israel in Deutschland.Foto: Berliner Zeitung/Paulus Ponizak

Herr Botschafter, wie bewerten Sie die Einigung zwischen Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten?

Als jemand, der Anfang der 90er-Jahre in Washington an den ersten Kontakten mit den VAE beteiligt war, glaube ich, dass die gestrige Vereinbarung zur vollständigen Normalisierung der Beziehungen zwischen Israel und den VAE von großer historischer Bedeutung und ein Durchbruch für eine größere regionale Stabilität im Nahen Osten ist.

Wie schätzen Sie die Lage im Libanon nach der Explosion und dem Rücktritt der Regierung ein?

Die tragische Explosion hatte eindeutig tiefgreifende und katastrophale Auswirkungen auf den Libanon. Wir haben sofort humanitäre Hilfe angeboten, was richtig war. Der Libanon wird Zeit brauchen, um sich zu erholen und zu reformieren, und dazu wäre es hilfreich, die Rolle der Hisbollah und des Iran zu minimieren.

Wie groß ist die Gefahr, die von der Hisbollah für Israel ausgeht?

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Die Gefahr ist sehr groß und besorgt mich. Die Hisbollah hat eine ausgefeilte militärische Struktur. Die haben Zehntausende Raketen, die auf Israel abgefeuert werden können. Sie sind in dicht besiedelten Gebieten versteckt und benutzen Zivilisten als menschliche Schutzschilde. Sie setzen Drohnen und andere fortschrittliche Waffensysteme ein, üben Cyber-Attacken aus. Sie stellen eine ständige Bedrohung für die Stabilität im Nahen Osten allgemein und insbesondere für den Libanon selbst dar, vor allem unter den gegenwärtigen tragischen Umständen.

Welche Rolle spielt der Iran?

Der Einfluss des Iran in der Region muss zurückgedrängt werden. Daher wird es dieser Tage wichtig sein, dass das Waffenembargo verlängert wird. Die Entscheidung im Sicherheitsrat wird sehr wichtig. Interessanterweise haben sich bereits die arabischen Staaten im Golf-Kooperationsrat für die Verlängerung des Embargos ausgesprochen.

Im Sicherheitsrat werden die Russen mit entscheiden. Wie sehen Sie deren Rolle im Nahen Osten? In Syrien gibt es ja eine enge Kooperation zwischen Israel und Russland …

In Syrien haben wir zu den Russen Kontakt auf höchster Ebene gehabt: Zwischen dem israelischen Ministerpräsidenten und Russlands Präsident Putin, auf diplomatischer und auf der militärischen. Wir haben den Russen erklärt, welche Politik und Interessen wir verfolgen, um Missverständnisse zu vermeiden. Und wir haben versucht zu verstehen, welche Interessen die Russen haben. Wir haben hier einen sehr kooperativen Weg in dieser schwierigen Situation gefunden.

Kann der im Grunde versiegte Friedensprozess im Nahen Osten wieder angestoßen werden?

Ein Friedensprozess kann dann gelingen, wenn die beiden Konfliktparteien miteinander sprechen. Die Palästinenser bringen ihren Fall jedoch vor die UN, den Gerichtshof in Den Haag, die Unesco in Paris und den Menschenrechtsrat in Genf. Sie sprechen aber nicht mit uns und auch nicht einmal mehr mit den Amerikanern. Wie soll da ein Frieden gelingen?

Kann Deutschland Brücken bauen, etwa im Nahost-Friedensprozess?

Wir sollten uns erinnern, dass der Bundestag die BDS-Bewegung abgelehnt hat, er hat die Hisbollah als Terror-Organisation eingestuft und beides war wichtig. Darüber hinaus entschied sich Heiko Maas unmittelbar nach der Bildung der neuen Regierung für einen Besuch in Israel, um zu erörtern, was Deutschland tun kann.

US-Präsident Donald Trump hat Jerusalem als Hauptstadt Israels anerkannt. Sollte Deutschland dem Beispiel folgen?

Die Regierungskonsultationen im Oktober 2018 haben in Jerusalem stattgefunden, das Haupttreffen im King-David-Hotel. Ich war mit der gesamten deutschen Bundesregierung in Yad Vashem. Das sind starke Zeichen, symbolische Handlungen. Wir haben eine feste Partnerschaft.

Die EU hat in ihrer Außenpolitik keine einheitliche Haltung zu Israel. Sollte Deutschland hier mehr führen?

Deutschland hat bisher immer eine bedeutende Führungsrolle eingenommen und sollte in der EU auch weiter führen, gerade wenn es um die Nahost-Politik geht. Aber es gibt unterschiedliche Interessen in der EU, darauf muss auch Deutschland Rücksicht nehmen. Es ist aber noch viel zu tun. Aus meiner Sicht ist Deutschland unser wichtigster Verbündeter in Europa.

Wie soll sich das deutsch-israelische Verhältnis weiterentwickeln?

Das Verhältnis ist derzeit so, dass wir den Deutschen helfen, wenn sie uns um etwas bitten und umgekehrt. Die Deutschen haben uns gebeten, ihre Staatsbürger aus dem Gaza-Streifen zu evakuieren, wegen Corona. 2018 hat die Bundesregierung uns gebeten, die „White Helmets“ aus Syrien rauszubringen, und die deutsche Regierung hat Israel in ganz ähnlichen Fällen ebenfalls geholfen. Wir sprechen über viele Themen, sicherheitspolitisch, militärisch, auf Geheimdienstebene. Morgen werden die deutsche und die israelische Luftwaffe erstmals in Deutschland ein gemeinsames Manöver abhalten.

Israel hat jetzt viele Jahre mit Bundeskanzlerin Angela Merkel zu tun gehabt. Die Ära wird bei der nächsten Wahl zu Ende gehen. Was erwartet Israel von der neuen Bundesregierung?

Angela Merkel hat in großem Ausmaß zur Stärkung des deutsch-israelischen Verhältnisses beigetragen. Sie war ein Faktor der Stabilität, und sie genießt dafür höchste Anerkennung. Niemand in Israel wäre unglücklich, wenn Merkel Bundeskanzlerin bleiben würde. Wir erwarten, dass jede Bundesregierung den Kurs der „Staatsräson“ fortsetzen wird und das deutsch-israelische Verhältnis eine starke Partnerschaft bleibt.

Welche Bereiche soll die Partnerschaft umfassen?

Das Verhältnis zwischen Deutschland und Israel ist nicht mehr hauptsächlich von Schuld und Zorn geprägt. Es ist eine strategische Partnerschaft auf vielen Ebenen geworden. Es soll um unsere gemeinsamen Interessen gehen. Diese Interessen bestehen in den Feldern von Technologie, Verteidigung, Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft. In vielen Bereichen ergänzen wir uns hervorragend: Die Deutschen bauen die besten Autos der Welt, wir in Israel sind führend in der Hochtechnologie, etwa im Software-Bereich, bei Navigationssystemen oder bei der Cyber-Sicherheit. Hier stehen wir sicher am Anfang einer neuen Ära in unserer Beziehung.

Sie waren zu Beginn dieser Woche in Dortmund, wo vor dem Haus der Urgroßeltern Ihrer Frau zwei Stolpersteine gelegt wurden. Wie haben Sie das Ereignis empfunden?

In Dortmund war das eine sehr bewegende Veranstaltung, der Oberbürgermeister war da, der Rabbiner der Jüdischen Kultusgemeinde und weitere hochrangige Gäste. Meine Frau Laura stand vor dem Haus ihrer Urgroßeltern und hat die Geschichte ihrer Familie erzählt, die furchtbar war. Ihr Urgroßvater wurde am 19.4.1943 in Theresienstadt ermordet. Natürlich kann ein Stolperstein eine solche Geschichte nicht wieder gutmachen. Aber er hinterlässt das Gefühl, dass sich ein persönlicher Kreis schließt.

Danach waren Sie noch mit Mitgliedern der Jüdischen Gemeinde zusammen.

Ja, wir haben uns zusammen mit dem Oberbürgermeister getroffen und eine Reihe an Themen mit den Gemeindemitgliedern besprochen, darunter auch ihre Sorgen über den wachsenden Antisemitismus.

Haben Juden heute in Deutschland wieder Anlass zur Sorge?

Juden haben überall auf der Welt Grund zur Sorge. Nach 1945 schien der Antisemitismus eher zu ruhen. Die schrecklichen Ereignisse der Schoah waren noch so präsent, dass die Menschen vermieden haben, sich öffentlich antisemitisch zu äußern. Mit der Zeit wurde der Mantel des Schweigens gelüftet. Es gibt einen schleichenden Antisemitismus, der zunehmend in den Vordergrund rückt. Was sich heute geändert hat, ist, dass bestimmte Dinge wieder gesagt werden, und dass wir eine steigende Zahl von Gewalttaten erleben. Unter diesen Umständen sind die Juden in Deutschland über ihre Sicherheit besorgt.

Vor einigen Jahren gab es in Frankreich zahlreiche antisemitische Vorfälle. Viele Juden sind damals nach Israel ausgewandert. Besteht diese Gefahr in Deutschland auch?

Mein Eindruck ist, die jüdische Gemeinschaft fühlt sich als Teil der deutschen Gesellschaft. Die Bundesregierung und die Landesregierungen fördern das jüdische Leben in Deutschland. Doch mit dem Anschlag auf Halle hat sich etwas verändert. Wir haben erlebt, dass am Anfang Worte stehen und schließlich Taten folgen. Stellen Sie sich vor, wenn der Attentäter von Halle mit seinem Vorhaben Erfolg gehabt hätte. Es hätte Morde an Juden gegeben, an Jom Kippur, in Deutschland.

Ist die Staatsräson ins Wanken geraten? Woher kommt das veränderte Klima?

Es gibt heute wieder Politiker in Deutschland wie einige der AfD, die die Bedeutung des Gedenkens an die Schoah nicht respektieren und die Verbrechen der Wehrmacht kleingeredet oder das Mahnmal für die ermordeten Juden in Berlin als „Schande“ bezeichnet haben. Es scheint eine Nostalgie für die Nazi-Vergangenheit zu geben.

Haben Sie sich von Höckes Aussagen angegriffen gefühlt?

Ja, ich habe das als sehr beleidigend empfunden. Bisher gab es in Deutschland unter den etablierten Parteien einen Konsens, dass den Opfern der Schoah mit Respekt begegnet wird. Ich finde es verstörend, dass Politiker die Notwendigkeit des Gedenkens negieren. Ich erinnere auch an den Vorfall vor dem Restaurant Feinberg’s, wo ein Mann dem Eigentümer gesagt hat, dass die Juden in ein paar Jahren wieder in die Gaskammern geschickt werden. Ich habe nicht gedacht, dass ich so etwas irgendwo hören würde und schon gar nicht in Deutschland.

Die AfD sagt immer, sie sei besonders israelfreundlich …

Es ist ein bekanntes Muster: Man stellt sich selbst als Freund Israels dar, um antisemitische Tendenzen zu vertuschen. Die AfD hat mit ihrer Rhetorik zu einem aggressiveren Klima in der deutschen Gesellschaft beigetragen. Leute berufen sich auf die Sprüche der AfD und verüben Gewalttaten. Daher lehnen wir jeden Kontakt mit der AfD ab.

Es gibt aber auch traditionell einen linken Antisemitismus, sehen Sie das auch?

Ja, das beste Beispiel dafür ist die BDS-Bewegung. BDS heißt: Boykottieren, deinvestieren und sanktionieren. Ich bin immer für den Dialog, auch mit Gruppen, die ideologisch andere Positionen vertreten. Doch mit dem BDS-Slogan kann man keinen Dialog beginnen. Solche Forderungen verhindern einen ernsthaften Dialog.

Nicht jede Kritik an Israel ist jedoch antisemitisch …

Natürlich kann man die israelische Politik in einer respektvollen Weise kritisieren. Aber gerade hinter der BDS-Bewegung verstecken sich oft Antisemiten. Wir haben in Israel viele Gruppen, die miteinander streiten. Ich spreche mit Palästinensern, mit Arabern. Aber wenn eine Gruppe sagt, im Grunde will sie Israel zerstören, kann es keinen Dialog geben. Hier geht es darum, Brücken zu verbrennen, nicht zu bauen.

Das Gespräch führte Michael Maier.