Interview mit Heiko Maas: „In der EU kann nicht jeder machen, was er will“

Herr Maas, wenn Sie die Lage der Welt mit einem Satz beschreiben müssten, was fiele Ihnen ein?

Es gibt keine Selbstverständlichkeiten mehr.

Optimisten halten die derzeitige Weltlage nur für gefährlich, Pessimisten für hoffnungslos.

Von Hoffnungslosigkeit würde ich nie sprechen. Ich bin sogar zuversichtlich, dass wir die neuen Herausforderungen, Unsicherheiten und Gefahren in den Griff bekommen können. Dafür gehe ich jedenfalls jeden Tag zur Arbeit.

Ist US-Präsident Donald Trump das größte Problem für den Außenminister Maas und die Bundesregierung?

Nein. Es gibt viele Konflikte, für deren Lösung wir auch die USA brauchen – ob nun in Syrien, im Israel-Palästina-Konflikt oder in Sachen Ukraine. Dafür brauchen wir die Vereinigten Staaten, genauso wie übrigens Russland auch. Trump mag uns neue Probleme bescheren, aber deshalb ist er nicht gleich unser größtes Problem.

Deutlich positioniert

Das eine ist es zu beklagen, dass Trump über Jahrzehnte gewachsene Allianzen mit einer Twitter-Botschaft in Frage stellt. Das andere ist: Er hält sich ja tatsächlich nicht an Abkommen. Spricht die Kanzlerin eine Sprache mit ihm, die deutlich genug ist?

Wir haben uns sehr deutlich positioniert, auch die Kanzlerin. Aber es ist auch wichtig, dass wir cool bleiben und uns nicht auf jedes Spiel einlassen. Wir wollen eine Zukunft für die transatlantische Partnerschaft. Das heißt aber nicht, dass wir zu allem Ja und Amen sagen. Wenn wir die Partnerschaft erhalten wollen, müssen wir sie neu justieren und wo nötig Gegengewichte aufbauen. Entscheidend ist, dass wir Europa geschlossen halten. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat im Handelsstreit bewiesen, dass sich dann auch Erfolge erzielen lassen, wenn Europa sein Gewicht in die Waagschale wirft.

Was ist das größte Problem im Umgang mit Trump?

Ich hätte mir nie vorstellen können, dass je ein amerikanischer Präsident in einem Atemzug Russland, China und die Europäische Union als Gegner der Vereinigten Staaten bezeichnet. Das größte praktische Problem ist das schnelle Verfallsdatum von Aussagen. Trump hat sich selbst schon innerhalb von 24 Stunden korrigiert oder eigene Worte als Versprecher deklariert. Wir erwarten eine gewisse Verlässlichkeit, so wie wir das von unserer Seite auch anbieten.

Rettungsanker der transatlantischen Partnerschaft

Auf Ihrer Asien-Reise haben Sie Ihren Plan von einer „Allianz der Multilateralisten“ vorangetrieben, deren Kern Deutschland und Japan bilden könnten. Ist das Ihr Gegenprojekt zur transatlantischen Partnerschaft?

Nein, ich glaube, dass es vielmehr der Rettungsanker dafür ist. Europa muss sich behaupten – mit den Werten, denen es sich verpflichtet fühlt: Demokratie, Rechtsstaat, Menschenrechte und auch freier Handel – übrigens Werte, auf denen die transatlantische Partnerschaft über die letzten Jahrzehnte aufgebaut wurde. Mit denjenigen, die diese Werte teilen, wollen wir uns enger abstimmen und denen die Stirn bieten, die rote Linien überschreiten. Dafür braucht man keine neuen Gipfel, sondern kann sich gemeinsam in existierende Formate einbringen.

Es scheint, als passe in all diesen Fragen zwischen Sie und die Kanzlerin kein Blatt. Haben Sie da überhaupt eine Chance, als sozialdemokratischer Außenminister eigenes Profil zu zeigen?

In der Außenpolitik ist es wichtig, dass die Bundesregierung nach außen Kontinuität zeigt. Das Bild, das wir vor einigen Wochen in der Zuwanderungsfrage abgegeben haben, war schlecht. Aus dem Ausland gab es viele Nachfragen: „Was ist bloß bei Euch los? Ihr habt doch immer Stabilität in die Außenpolitik gebracht. Ist das jetzt vorbei?“ Intern diskutieren Auswärtiges Amt und Kanzleramt rege miteinander. Nach außen sprechen wir mit einer Stimme. Alles andere wäre unverantwortlich. Dafür wird Deutschland in dieser Weltlage zu sehr gebraucht.

Europa zerfällt, weil viele Mitgliedsstaaten vor allem in der Flüchtlingspolitik ohne Rücksicht auf Partner ihre Individualinteressen vertreten. Wie viel Schuld trägt Deutschland an dieser Entwicklung?

Probleme gab es in Europa auch schon vor der Migrationsdebatte und dem Jahr 2015. Aber wir haben auch in schwierigen Situationen – sowohl bei den US-Strafzöllen als auch beim Atomabkommen mit dem Iran – gezeigt, dass Europa zusammen bleibt.

Italiener mit Problemen alleingelassen

Ganz anders in der Migrationsfrage.

Sie darf nicht zum Spaltpilz für Europa werden. Das gilt auch aktuell bei der Frage der Aufnahme von Flüchtlingen, die aus dem Mittelmeer gerettet werden. Da haben wir in der Vergangenheit Fehler gemacht, weil wir die Italiener mit dem Problem alleingelassen haben. Das hat viel Vertrauen gekostet und darf uns nicht wieder passieren. Deshalb muss Deutschland jetzt besonders deutlich machen, dass wir einen Beitrag zu einer europäischen Lösung leisten.

Die Europäische Union wirkt wie ein Auto, in dem jeder, wie er will, ins Lenkrad greift. Wie wollen Sie das ändern?

In der Frage der Flüchtlinge, die aus dem Mittelmeer gerettet werden, brauchen wir eine europäische Lösung innerhalb weniger Wochen. Wir können Italien und Spanien nicht alleinlassen. Dafür muss nicht jeder der 28 Mitgliedstaaten in gleichem Umfang an der Lösung beteiligt sein. Wer nicht mitmacht, soll sich in anderen Bereichen engagieren, etwa bei der Bekämpfung der Fluchtursachen. Es wird nicht gelingen, dass sich alle in jeder Frage in genau dem gleichen Maß beteiligen.