Wladimir Klitschko zu Treffen mit Kanzler Scholz: „Ich freue mich nicht“

Der ehemalige Boxer nimmt eine Auszeichnung für das ukrainische Volk entgegen. Er will den Abend nutzen, um erneut um schwere Waffen zu bitten.

Wladimir Klitschko am Donnerstag beim Interview mit der Berliner Zeitung. 
Wladimir Klitschko am Donnerstag beim Interview mit der Berliner Zeitung. Emmanuele Contini

Wladimir Klitschko wirkt müde, als ihn die Berliner Zeitung zum Interview im Hotel Waldorf Astoria trifft. Dabei ist er am Donnerstagabend der Ehrengast einer großen Gala. Er nimmt für das gesamte ukrainische Volk den Media-100-Award des Sanssouci Colloquiums entgegen. Doch er sagt, dies sei nicht die Zeit zum Feiern. 

Herr Klitschko, gerade kam eine Eilmeldung, dass Deutschland zwei Mehrfachraketenwerfer vom Typ Mars und 50 Panzerfahrzeuge liefert. Ist das ein Schritt in die richtige Richtung in Sachen Waffenlieferungen?

Das ist definitiv ein Schritt in die richtige Richtung. Aber wir brauchen schwere Waffen. Schönreden, Verteidigungswaffen und Kopfkissen brauchen wir nicht. Wir brauchen Waffen. Leider. Man muss das auch erkennen. Sanktionen sind wichtig. Humanitäre Hilfe für die Ukraine ist wichtig. Finanzielle Hilfe ist unglaublich wichtig, weil unsere Wirtschaft während dieses Krieges am Boden liegt.

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Emmanuele Contini
Wladimir Klitschko
ist ehemaliger Box-Weltmeister im Schwergewicht. Sein älterer Bruder Vitali ist seit 2014 Bürgermeister der ukrainischen Hauptstadt Kiew. Beide Klitschko-Brüder engagieren sich seit Jahren für die Demokratiebewegung in der Ukraine. Während des russischen Angriffs auf Kiew blieben sie in der Hauptstadt und sprachen der Bevölkerung Mut zu. 

Die Europäische Union hat neue Milliarden-Hilfen in Aussicht gestellt. Das ist doch positiv, oder?

Wir können nicht aufhören nachzufragen. Wir müssen es tun, denn wir sind komplett abhängig von Hilfe von außen. Aber wir werden es zurückgeben. Wir sind eines der größten Länder Europas und wir sind eines der reichsten Länder Europas mit unseren Bodenschätzen. Das unterschätzt man, aber wir sind es. Wir haben fünf Atomkraftwerke, eines davon ist unter russischer Besatzung. Und es kann sein, dass irgendwas wirklich da passiert und wir für die nächsten 1000 Jahre alle die Konsequenzen tragen müssen.

Was fordern Sie?

Dieser Krieg muss zu Ende kommen, aber er kann nur mithilfe von außen zu Ende kommen. Da müssen wir auch über die deutsche Regierung reden. Und mir persönlich fällt es manchmal schwer, das meinen Landsleuten zu erklären. Auf der einen Seite helfen uns die Deutschen unglaublich, aber auf der anderen Seite ist das immer so zögerlich. Wir brauchen Leopard-Panzer. Wir brauchen Mader. Natürlich sind passende Fahrzeuge wichtig, aber wir brauchen Angriffswaffen, denn dieser Krieg wird nur an der Front gewonnen.

Sie glauben nicht an Verhandlungen?

Russland versteht nur die Sprache der Stärke. Und wenn man immer nachgibt oder schweigt, dann läuft dieser Krieg noch acht Jahre lang. Mit der Annexion der Krim und dem Krieg in Donezk und Lugansk hat Russland eine Linie überschritten, als Angreifer, aber ohne Konsequenzen. Die Pipeline Nord Stream 2 ist nach wie vor weitergebaut worden, mit der Hoffnung, dass wir Gas bekommen, wenn wir über politische Sachen reden. Natürlich ist es ein Fehler gewesen, sich in den vergangenen Jahren komplett von Russlands Energieressourcen abhängig zu machen. Man hört immer von den Ängsten vor Russland.

Nicht in Feierlaune: Wladimir Klitschko
Nicht in Feierlaune: Wladimir KlitschkoEmmanuele Contini

Finden Sie es falsch, dass Bundeskanzler Olaf Scholz diese Woche 90 Minuten mit Putin gesprochen hat? Oder könnte das was bringen?

Vergessen Sie bitte nicht, ich bin kein Politiker. Ich bin in keiner Partei. Ich habe kein offizielles Amt. Ich bin nicht gewählt worden, sondern ein Aktivist. Das ist schon immer so gewesen, bei der Orangenen Revolution, auf dem Maidan und jetzt im Krieg. Als die Russen vor Kiew waren, bin ich geblieben, um mit Waffen meine Stadt zu verteidigen, mein Land zu verteidigen.

Reisen Sie viel herum, um für Unterstützung zu werben?

Nein, eigentlich nicht. Ich bin vorgestern aus der Ukraine gekommen. Ich war in Köln, um mit Ihren Kollegen zu sprechen und mich auch für die Unterstützung zu bedanken, die wir von der Deutschen Telekom erhalten haben, von Kriegsbeginn an. Es ist wichtig gewesen, weiter zu motivieren, auch die Deutsche Telekom zu motivieren, dass die Ukraine weiter unterstützt wird.

Bekommen Sie die technische Hilfe, die die Ukraine braucht?

Kommunikation ist wahnsinnig wichtig. Ursula von der Leyen hat gestern gesagt, dass für die Ukraine das Roaming nicht mehr gelten wird. Das ist schon ein Riesenschritt und das ist gestern angekündigt worden. Ich war bei der Nato-Konferenz in Madrid, wo ich führende Leute getroffen und um Unterstützung gebeten habe. Man kann viel unterwegs sein. Klar ist aber, dass die Ukrainer, die an der Frontlinie sind, unser Land zurückerobern.

Haben Sie das Gefühl, dass die Deutschen immer noch nicht ganz verstehen, um was es geht? Oder ist es doch eher die Regierung, die zu zögerlich ist?

Das habe ich schon im März gesagt, nach dem Besuch im Kanzleramt. Oft ist das Volk weiter als die Regierung. Ich verstehe die möglichen politischen und geopolitischen Komplikationen, die die Regierung sieht und das Volk wahrscheinlich nicht. Aber das Volk ist die Regierung. Wir leben in einer Demokratie und deswegen ist es wichtig, dass das als eine Einheit funktioniert. Wir sind in der Ukraine und wir sind ein Teil von Europa. Wir sind ein Teil vom Ökosystem der Welt. Wir sind auf die Unterstützung und Hilfe der Welt angewiesen in diesem Krieg. Und wenn wir diese Unterstützung nicht bekommen, fallen wir, und wenn wir fallen, werden wir nicht die Letzten sein.

Außenministerin Annalena Baerbock war vor wenigen Tagen in Kiew. War dieser Besuch hilfreich?

Ich glaube, sie hat schon ein Bild von vor Ort bekommen. Sie hat die Zerstörung gesehen. Sie ist eine gute Zuhörerin gewesen. Und sie weiß, was ein Krieg ist. Sie hat die Kinder gesehen mit Gesichtern, die von diesem Krieg gezeichnet sind. Ich glaube schon, dass Frau Baerbock den richtigen Eindruck bekommen hat. Aber wenn man sagt, so die letzte Aussage, dass mehr Waffen geliefert werden sollen, dann müssen wir über die Waffen sprechen. Es muss Leopard-Panzer für die Ukraine geben. Es ist ein Muss, denn jetzt müssen wir mehr in die Offensive, mehr Land befreien mit Konsequenzen für Russland.

Wie sehen Sie die jüngsten Erfolge der ukrainischen Armee? Ist das ein Wendepunkt zugunsten der Ukraine? Sind Sie optimistisch?

Ich bin kein Militärexperte. Aber man bekommt allmählich ein Verständnis dafür. Dies ist ein großer Krieg, weil die Ukraine das flächenmäßig größte Land Europas ist. Die Offensive ist schwer zu beurteilen. Sind wir am Wendepunkt oder nicht? Der Wendepunkt kann auch lange dauern. Vor allem, wenn wir keine Unterstützung bekommen durch Leopard-Panzer und Marder. Dann kann diese Wende sehr lange dauern. Dabei verlieren wir mehr Leute, mehr Möglichkeiten, mehr Infrastruktur. Am Ende sind das alles Kosten. Nicht nur die Leben, sondern Kosten für den Wiederaufbau. Ich glaube schon, dass dieser Wendepunkt angefangen hat. Aber jetzt müssen wir weiterkommen.

Dieser Krieg werde mit Waffen geführt, sagt Wladimir Klitschko. Die Ukraine brauche Panzer.
Dieser Krieg werde mit Waffen geführt, sagt Wladimir Klitschko. Die Ukraine brauche Panzer.Emmanuele Contini

Sollte auch Olaf Scholz mal wieder in die Ukraine reisen, um seine Eindrücke aufzufrischen?

Ich glaube, dass der Bundeskanzler schon versteht, wie die Sache ist, wo die Gefahren herkommen und was die Konsequenzen sind. Aber ich merke auch das Zögern.

Haben Sie eine Erklärung dafür?

Ich verstehe die deutsche Mentalität sehr gut und ich glaube, dass der Zweite Weltkrieg tiefe Spuren hinterlassen hat. Erst seit 2006, seit der Fußball-WM, haben die Deutschen angefangen, öffentlich stolz auf die Nation zu sein. Das habe ich vorher nie gesehen und ich bin seit 1996 in Deutschland. Es gibt einfach diese Unsicherheit seit dem Zweiten Weltkrieg. Auch gegenüber Russland. Auch Respekt und vielleicht auch Ängste. Es ist auch für meine Landsleute echt schwer zu erklären, warum die Deutschen auf einer Seite Unterstützung geben, aber lieber mit Geld und nicht mit Waffen. Der weltweit größte Waffenproduzent ist Deutschland. Und dies ist ein Krieg um Leben und Tod. Kein Wirtschaftskrieg, er wird mit Waffen geführt.

Freuen Sie sich darauf, am Donnerstagabend Herrn Scholz zu treffen und noch mal mit ihm zu reden?

Freude ist das falsche Wort dafür. Nein, ich freue mich nicht. Ich habe hier eine Möglichkeit. Ich habe die Möglichkeit, weil ich heute Vertreter von jedem Ukrainer und jeder Ukrainerin bin.

Es ist das ukrainische Volk, das heute für seinen Mut und seinen Freiheitswillen ausgezeichnet wird. Sie nehmen den Preis in Vertretung entgegen.

Es war schwer für mich, diese Entscheidung zu treffen, hierherzukommen. Ich habe lange überlegt, ob ich komme oder nicht. Eine Videoübertragung ja, aber persönlich? Es ist nicht die Zeit für Auszeichnungen und es wird auch keine reine Dankesrede sein. Okay, aber ich werde die Bühne haben. Ich werde die Möglichkeit haben, hier an Scholz zu appellieren. Wir kennen uns schon seit 2001. Er war Bürgermeister von Hamburg, als mein Bruder und ich uns in das Goldene Buch der Stadt eingetragen haben. Ich weiß gar nicht mehr, wer von uns zuerst unterschrieben hat. Also, ich kenne Olaf Scholz schon lange, aber auf Distanz.

Wie das eben bei Hamburgern so ist.

Ich will die Deutschen heute noch mal an die Ukraine erinnern, noch mal an die Unterstützung, daran, dass wir das Ende des Krieges wollen. Wir sind alle müde, nicht nur die Deutschen sind müde. Die Ukrainer sind müde von diesem Krieg, und heute ist noch mal die Möglichkeit, die Botschaft in die Medien zu bringen und um Hilfe zu werben. Deswegen bin ich hier.