Israel und Gaza: Muss es ewig so weitergehen? Nein, muss es nicht
Raketen, Tote, ein Waffenstillstand. Bis zur nächsten Runde. Doch Krieg darf nicht normal werden, findet unser Autor, Reserve-Sprecher der israelischen Armee.

Vor knapp 15 Jahren begann ich meinen Dienst als offizieller Sprecher der israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF). Seitdem war ich bei jeder größeren und kleineren Auseinandersetzung, jeder Operation, jedem Krieg zwischen Israel und palästinensischen Terrorgruppen im Gazastreifen fast ganz vorne mit dabei. Denn auch als Sprecher war ich in diesen Lagen täglich um den Gazastreifen herum stationiert. Mal begleitete ich israelische Truppen und Kommandeure, mal Journalisten und nicht selten auch hochrangige Politiker und Entscheidungsträger aus der ganzen Welt, die die Lage verstehen wollten.
Zum ersten Mal war ich jetzt bei einem kriegerischen Schlagabtausch nicht vor Ort mit dabei, sondern befinde mich seit gut einer Woche im Urlaub, in Deutschland. Seit 2017 bin ich im Reservedienst, werde nur im Ernstfall aktiviert.
Zum ersten Mal konnte ich das Geschehen in Israel und Gaza also aus der Ferne beobachten, und ich muss sagen: Aus der Ferne ist es um einiges undramatischer und entspannter, als wenn man mittendrin ist. Plötzlich fällt mir auf, dass es eigentlich kaum jemanden juckt, was dort passiert.
Die Berliner Innenstadt ist voll. Das Wetter spielt mit (vielleicht sogar einen Tick zu viel). Es wird über den Sieg der Eisernen über Hertha, den anstehenden Urlaub auf Malle oder die erhöhten Preise im Supermarkt gesprochen. Über Israel und Gaza wird jedenfalls, bis auf kleine Twitter-Communities, nicht gesprochen. Wieso auch? Schließlich scheint es, als würde es dort eh nie zu einem Frieden kommen. Alle paar Jahre beschießen sich die Kontrahenten und dann ist wieder Ruhe, bis zum nächsten Mal. So scheint mir die Sicht der meisten hier in Deutschland.
Seit 15 Jahren hat sich die Lage in Gaza nur verschlechtert
Ich genieße jedenfalls meinen Urlaub in Deutschland und bin froh, dass es wieder ruhiger geworden ist in Israel und im Gazastreifen. Denn wer am meisten leidet, wenn geschossen wird, das sind unsere Kinder, die leider auf beiden Seiten der Grenze nicht mehr verwundert sind, wenn es wieder kracht.
Krieg ist also normal. Doch muss es ewig so weitergehen? Nein, das muss es nicht. Es muss im Gazastreifen etwas passieren. Etwas Positives. In den letzten 15 Jahren, seit die Terrororganisation Hamas dort das Ruder übernommen hat, hat sich die Lage nur verschlechtert. Mittlerweile ist die Lage so schlecht in Gaza, dass die Terroristen des Islamischen Dschihad sich dort immer mehr in den Vordergrund stellen und breitmachen. So auch in den letzten Tagen, als diese vom iranischen Regime unterstützte zweitstärkste Terrorgruppe des Gazastreifens mehr als 1000 Raketen abfeuerte, größtenteils auf Israel. Knapp 200 fehlgezündete Raketen trafen Gaza selbst, auch Kinder kamen dadurch ums Leben.
Einen Aufschrei gab es deshalb nicht. Nirgendwo. In Berlin versammelten sich stattdessen vor einigen Tagen einige Hundert radikalisierte Israelhasser am Potsdamer Platz und grölten ihre üblichen Parolen gegen Juden, statt endlich einmal die eigenen Reihen infrage zu stellen. Oder zu fordern, dass dort aufgeräumt wird.
Nicht für die Juden oder Israel. Für Gaza und die vielen Kinder dort, die eine friedliche Zukunft haben könnten, wenn die Dschihad-Anhänger in Gaza und Berlin es ihnen nur gönnen würden.
Arye Sharuz Shalicar, aufgewachsen in Berlin, ist ein deutsch-persisch-israelischer Politologe und Schriftsteller. Er ist ehemaliger Berater des israelischen Außenministers und Reserve-Sprecher der Israelischen Verteidigungskräfte (IDF). Im Oktober erscheint von ihm „Schalom Habibi. Zeitenwende für jüdisch-muslimische Freundschaft und Frieden“.