Berlin - Unter hohem Erfolgsdruck beginnen dreieinhalb Wochen nach der Bundestagswahl CDU, CSU, Grüne und FDP mit dem Versuch, sich auf eine gemeinsame Regierung zu einigen. Es ist eine Konstellation, die es so auf Bundesebene noch nie
gegeben hat.
Einige Themen werden sicher für Konflikte sorgen, bei anderen könnten sich die Parteien hingegen relativ schnell einig werden.
Diese Themen sind konfliktträchtig
Gesundheit
Ein schwieriges Thema: Die Grünen fordern eine Bürgerversicherung, in die auch Beamte, Selbstständige und Besserverdienende einzahlen. Zudem sollen auf alle Einkünfte – also auch auf Aktiengewinne und Kapitaleinkünfte – Beiträge gezahlt werden. Beides ist mit Union und FDP nicht zu machen.
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Aber eine Annäherung ist denkbar: Die FDP will, dass die Bürger künftig unabhängig vom Einkommen und dem Berufsstatus frei zwischen privater und gesetzlicher Krankenversicherung wählen können. Der mögliche Kompromiss: die gesetzlichen Kassen für Beamte öffnen. Denkbar ist auch, dass sich die Partner auf eine schrittweise Rückkehr zur paritätischen Finanzierung des Kassenbeitrags einigen. Derzeit zahlen die Arbeitnehmer mehr.
Streit dürfte es über die Forderung der Union geben, den Versandhandel mit Medikamenten wieder zu verbieten. Das lehnen FDP und Grüne ab. Einigkeit besteht darüber, die Digitalisierung im Gesundheitswesen voranzutreiben, die Notfallversorgung zu reformieren und die Klinikfinanzierung zu sichern.
Europa
Wieviel EU soll es sein? Oder wie wenig? Die engere Zusammenarbeit in der Verteidigungspolitik und bei der Bekämpfung von Kriminalität und Terrorismus ist weitgehend Konsens. Aber ein gemeinsamer EU-Haushalt, wie es Frankreichs Präsident Emmanuel Macron gerade gefordert hat?
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat dessen Grundsatzrede begrüßt. Die FDP lehnt einen Eurozonen-Finanzminister mit eigenem Budget oder neue Finanztöpfe zur Hilfe hochverschuldeter Staaten strikt ab. Beim Thema Vergemeinschaftung von Schulden treffen sie sich wieder mit der Union. Die Grünen sind für ein europäisches Investitionsprogramm und wollen Macron entgegenkommen.
Agrar
Im Zehn-Punkte-Plan für grünes Regieren heißt es unter Punkt drei: „Wir schaffen die industrielle Massentierhaltung über die nächsten 20 Jahre ab und steigen auf eine Landwirtschaft ohne Ackergifte und Gentechnik um.“ Das dürfte in den Sondierungsgesprächen vor allem bei CDU und CSU auf massiven Widerstand stoßen. Beide sind Verfechter einer eher traditionellen Landwirtschaftspolitik und den Bauernverbänden traditionell eng verbunden.
Weiterer Streitpunkt ist die Gentechnik. In Niedersachsen ist vor allem der dortige grüne Landwirtschaftsminister Christian Meyer heftigen Anfeindungen ausgesetzt. Aus der Union verlautet, man werde einen grünen Landwirtschaftsminister auch im Bundeskabinett nur schwerlich akzeptieren können.
Rüstung/Bundeswehr
Das Streitthema Wehrplicht ist erledigt, es bleibt aber ein Bereich mit hohem Symbolwert für Grüne wie Union. Die Grünen wollen den Rüstungsexport erschweren. Die FDP will präzisere Vorgaben. Die Union hat sich dazu im Wahlprogramm nicht festgelegt. Das lässt Raum – auch für viel Streit.
Debatten dürfte es über den Wehretat geben: Die Union fordert mehr Geld für die Bundeswehr. Grüne und FDP finden, das vorhandene Geld müsse einfach sinnvoller eingesetzt werden. Beim Einsatz der Bundeswehr im Inneren, den Teile der Union gerne ausweiten wollen, wird man sich wohl darauf verständigen, die bestehende Rechtslage nicht zu ändern.
Bei diesen Themen können die Parteien sich potentiell einigen
Steuern
Keine unüberwindbaren Hindernisse. Union und FDP streben Steuersenkungen an. Unterschiede gibt es bei der Frage, welche Personengruppen um wie viel entlastet werden. Die Union strebt ein Volumen von 15, die FDP von 30 Milliarden Euro an.
Die Grünen wollen die Entlastung von Geringverdienern durch höhere Steuern für Spitzenverdiener gegenfinanzieren und ansonsten Investitionen den Vorrang geben. Der Tarifverlauf bei der Einkommensteuer und die Höhe der Steuersätze lassen so oder so Spielraum für Kompromisse. Außerdem besteht die Möglichkeit, eine Steuerreform schrittweise umzusetzen. Das gilt auch für die Abschaffung des Soli.
Nicht durchsetzbar erscheint die Forderung der Grünen nach Wiedereinführung der Vermögensteuer. Für die von den Grünen verlangte Abschaffung der Abgeltungssteuer von 25 Prozent bei gleichzeitiger Rückkehr zur Besteuerung mit dem individuellen Steuersatz gibt es dagegen auch bei der Union Unterstützer. Die FDP dürfte sich hier nicht verkämpfen – wenn das Entlastungsvolumen hoch genug ist.
Pflege
Alle Jamaika-Partner haben erkannt, dass die Altenpflege personell unterbesetzt ist. Die Grünen fordern verbindliche Personalschlüssel, die allerdings schon in bereits beschlossenen Gesetzen angelegt sind. Einigkeit herrscht auch darüber, dass Pflegekräfte besser bezahlt werden müssen. Hier hat die Politik jedoch kaum Eingriffsmöglichkeiten.
Gefragt sind Konzepte, wie mehr junge Menschen für den Pflegeberuf begeistert werden können. Vor allem Union und Grüne setzen auf die Entlastung pflegender Angehöriger. Die FDP fordert zudem den Abbau von Bürokratie in der Pflege. Die Wahlprogramme der möglichen Partner sind bei allen diesen Punkten vage geblieben. Dadurch wird es leichter, Kompromisse einzugehen.
Maut
Die von der CSU durchgesetzte Pkw-Maut für Ausländer stößt bei den Grünen auf Ablehnung; die FDP findet sie ebenfalls „hoch problematisch“. In den Koalitionsgesprächen dürfte sie sich dafür allerdings nicht verkämpfen.
Denn erstens hat Österreich gegen die Maut, die ab 2019 gelten soll, Klage beim Europäischen Gerichtshof eingereicht. Es macht aus Sicht beider Parteien Sinn, das Urteil abzuwarten. Zweitens wäre es taktisch unklug, der CSU ein Prestigeprojekt aus der Hand zu schlagen, wenn man selbst Forderungen an anderer Stelle durchsetzen möchte. Um die Maut dürfte es deshalb keinen Streit geben.
Dieses Thema ist ergebnisoffen
Rente:
Auf weitere Verbesserungen bei der Erwerbsunfähigkeitsrente können sich die Partner wohl schnell einigen. Damit ist aber das Thema Altersarmut nicht gelöst. Beim Rentenalter treffen sich FDP und Wirtschaftsflügel der Union – beide plädieren für flexiblere Grenzen.
Merkel und die Grünen wollen an der Rente mit 67 festhalten. Die FDP will wie überall den Ausbau der privaten Vorsorge. Mit der SPD wären die Verhandlungen da schwieriger. Wie bei der Krankenversicherung fordern die Grünen, Beamte, Selbständige in die Rentenversicherung einzahlen zu lassen – mit ähnlichem Konfliktpotenzial. Wahrscheinlich ist, dass zentrale Fragen in eine Kommission verschoben werden.