Jens Spahn: CDU-Präsidiumsmitglied spricht über Angela Merkel, die Richtung der Union und Andreas Scheuer

„99 Prozent der Weltbevölkerung würde viel dafür geben, hier zu leben“

CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer hat bedauert, dass es schwierig sei, einen Senegalesen abzuschieben, der Ministrant und im Fußballverein ist, also gut integriert.

Das Thema ist nicht falsch: Die Anerkennungsquote von Asylanträgen von Senegalesen tendiert gegen Null. Mit großer Wahrscheinlichkeit muss ein Senegalese am Ende des Asylverfahrens Deutschland also wieder verlassen. Seit Monaten diskutieren wir, wie wir diese Ausreisepflicht besser durchsetzen. Dass das mit den besprochenen Merkmalen nicht leichter wird, ist Teil der Wahrheit – auch wenn ich mich über jeden Ministranten und jeden Fußballspieler freue. Es geht also darum: Wollen und können wir Recht durchsetzen? Wenn es keinen Unterschied macht, wer woher und warum zu uns kommt, brauchen wir kein Asylrecht mehr.

Scheuer hatte also Recht?

In der Beschreibung des Problems hatte er Recht. Formulieren würde er es heute wohl selber nicht mehr so.

Es gibt massive Kritik der Kirchen an dem rabiaten Ton der CSU in der Flüchtlingspolitik. Muss die Union aufpassen, dass ihr die traditionelle Verbindung zu den Kirchen nicht abhanden kommt?

Der Bundespräsident hat die Ambivalenz zwischen Wollen und Können sehr treffend formuliert: Unser Herz ist weit, aber unsere Möglichkeiten sind begrenzt. Diese allzumenschliche Ambivalenz sollte auch die katholische Kirche sehen. Zumal sich Bischöfe in Europa sehr unterschiedlich zu dieser Frage äußern.

Die CSU fordert für den Zusammenhalt der Gesellschaft die Einführung von Volksentscheiden.

Die Erfahrungen der letzten Monate zeigen, dass es viele Fragen von geradezu schicksalshafter Bedeutung gibt, die man nicht einer Stimmungslage an einem Sonntag überlassen sollte. Unser Land ist mit seiner repräsentativen Demokratie in den letzten Jahrzehnten ziemlich gut gefahren. Wir sind eines der erfolgreichsten Länder der Welt. 99 Prozent der Weltbevölkerung würde viel dafür geben, hier zu leben. Warum soll man ein derart gut funktionierendes System in Frage stellen?

Einigt sich die Koalition noch auf mehr Mütterrente, Ost-West-Angleichung und Rentenniveau?

Die Rentendebatte geht an der Realität im Land völlig vorbei. Nicht Altersarmut, sondern die Armut von Kindern ist unser wirkliches Problem. Anstatt dass wir 5, 8, 10 Milliarden Euro in Bildung investieren, um vor allem den Kindern zu helfen, die es von zu Hause aus nicht so einfach haben, werden wieder zweistellige Milliardenbeträge für eine Rentnergeneration ins Fenster gestellt, der es so gut geht, wie keiner zuvor. Die meisten Rentner wären sicher gerne bereit auf ein paar Euro mehr im Monat zu verzichten, wenn dafür ihre Enkel eine bessere Zukunft haben.

Sie haben für mehr Profil der Union plädiert. Als Bundespräsident sucht die Union allerdings gerade einen gemeinsamen Kandidaten mit der SPD.

Ich hielte es für selbstverständlich, dass die Union als größte Gruppe in der Bundesversammlung einen eigenen Kandidaten ins Rennen schickte. Es wäre auch nicht schlimm, wenn es eine Auswahl gäbe. Wahlen sind normal in einer Demokratie, auch dass es Gewinner und Verlierer gibt. Demokratie lebt vom großen Kino, von Spannung, von Unterschieden und von Möglichkeiten, sich zu entscheiden. Wer nur in Rennen geht, die vorher schon festgezurrt sind, tut der Demokratie keinen Gefallen.

Das Gespräch führte Daniela Vates