Joachim Gauck ruft zur Verteidigung der Demokratie auf

Berlin - Joachim Gauck mag das Wort Vermächtnis nicht. Es scheint ihm ein wenig groß und so endgültig. Aber seine Rede zum „Ende der Amtszeit“, wie sie offiziell heißt, ist natürlich doch so ein Art Vermächtnis dieses Bundespräsidenten, wenige Wochen, bevor er im März aus dem Amt scheidet. „Verteidigt die Demokratie!“, so könnte man diese Rede in einem Satz zusammenfassen. Ein Satz, wie man ihn auch in Sonntagsreden hören kann. Aber an diesem Mittwoch erlebt das Publikum im Schloss Bellevue einen Präsidenten, dem es sehr ernst ist. Einen ebenso sorgenvollen wie entschlossenen Präsidenten.

„Die liberale Demokratie und das politische und normative Projekt des Westens, sie stehen unter Beschuss“, stellt Gauck fest. Er verweist auf stärker werdende Bewegungen, die eine Rückkehr ins Nationale, die Abwehr von Fremden und Freihandel propagierten. Die Konkurrenzmodelle zur repräsentativen Demokratie befürworteten, sich zum alleinigen Sprecher des Volkes machten, das sogenannte System attackierten und das europäische Projekt in Frage stellten.

„Austausch und Diskussion sind der Sauerstoff der offenen Gesellschaft“

Dem müsse sich die Republik stellen, streitbar und wehrhaft, fordert Gauck. Er plädiert für ein entschlossenes Handeln der Regierenden, denn nur das schaffe Vertrauen. Wenn immer mehr Menschen den Eindruck bekämen, die politisch Verantwortlichen seien nicht mehr Herr der Lage, könnten Populisten umso mehr Zweifel an der Demokratie säen. Doch er warnt gleichzeitig davor, zweifelnde Bürger unter dem Etikett Populismus auszugrenzen.

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„Ich denke: Wir müssen eine Kommunikation wagen, die deutlich stärker als bisher die Vielen einbezieht und nicht nur die, die regelmäßig am politischen Diskurs teilnehmen. Austausch und Diskussion sind der Sauerstoff der offenen Gesellschaft, Streit ihr belebendes Element. Das mag so manchem nicht gefallen, aber daran zu erinnern, erscheint mir gerade jetzt als angemessen.“ Dabei könne man heftig streiten, aber bitte mit Respekt und mit dickem Fell.

„Demokratie ist kein politisches Versandhaus“

Zu den „rauen Zeiten“ zähle auch, dass oft nicht mehr erkennbar sei, was wahr ist und was falsch. Aber: „Nur wenn wir an Tatsachen, wenn wir an der Wahrheit festhalten, lässt sich Macht bewerten und – wo erforderlich – kritisieren. Lassen wir es nicht dazu kommen, dass sich Macht wieder ohne das wahrheitsgestützte Argument durchsetzt. Verteidigen wir stattdessen die Demokratie als eine Macht, die sich dem Argument anvertraut und sich von ihm leiten lässt.“

Der Präsident kritisiert in seiner Rede das gewachsene Anspruchsdenken, das den Staat allein als Dienstleister sehe, der die Wünsche seiner Kunden möglichst umfassend befriedigen solle. „Doch Demokratie ist kein politisches Versandhaus“, sagt Gauck. Demokratie sei Mitgestaltung, sie „baut auf den freien Bürger, der Phantasie und Verantwortung nicht abgibt an einen starken Mann oder eine starke Frau, die sagen, wo es langgeht. Demokratie erfordert, ja sie ist Selbstermächtigung: Wir, die Bürger, sind es, die über die Gestalt unseres Gemeinwesens entscheiden. Und wir, die Bürger, tragen die Verantwortung für die Zukunft unserer Kinder und Enkel.“

Trump stellt Europa vor Herausforderungen

Hier und auch in anderen Passagen finden sich  interessante Parallelen zur Abschiedsrede von US-Präsident Barack Obama aus der vergangenen Woche. Auch Obama appellierte mit ganz ähnlichen Worten an das streitbare Engagement der Menschen, die als Staatsbürger das wichtigste Amt in der Demokratie ausübten.

Mit der Wahl von Donald Trump zum Nachfolger Obamas stehe Europa vor Herausforderungen für die internationale Ordnung und die transatlantischen Beziehungen, stellt Gauck fest. Auch deshalb müsse Deutschland noch mehr internationalen Gestaltungswillen aufbringen als bisher. „Wir müssen mehr tun, um gemeinsam mit anderen Ordnung zu erhalten, Konflikten vorzubeugen, Krisen zu entschärfen und Gegner abzuschrecken.“ Die – auch von Bundeskanzlerin Angela Merkel - häufig verwandte Aussage, es könne niemals eine militärische Lösung geben, „klingt gut und ist gut, allerdings nur, solange sich alle Seiten an diese Maxime halten“, sagt Gauck. Gleichzeitig versichert er, dass es vor allem darum gehe, Friedfertigkeit und Dialogbereitschaft zu erhalten. „Dafür muss sich Deutschland engagieren, wenn das eigene Land und andere europäische Staaten nicht zum Spielball der Interessen jener werden sollen, die ganz andere Ziele verfolgen. Das ist der Kern der wehrhaften Demokratie, das ist republikanische Verteidigungsbereitschaft.“

„Wir bleiben gelassenen Mutes“

Es ist offensichtlich, dass Joachim Gauck angesichts der Entwicklungen der letzten Jahre nicht so optimistisch aus dem Amt scheidet, wie er es im März 2012 angetreten hat. Viele der damals in seiner ersten Rede angesprochenen Probleme haben sich eher verschärft als entspannt. Zweifel an der europäischen Idee, die Gefahren eines verbrecherischen Fanatismus, Verunsicherung durch zu viel Veränderung, all das waren auch vor fünf Jahren schon seine Themen.

Er wollte Mut machen und Ängste vertreiben – so wie er auch an diesem Mittwoch gegen die „unheilvolle Kultur von Ängstlichkeit , Indifferenz und Selbstzweifeln“ anredet und für das Vertrauen in die eigenen Kräfte wirbt: „Wir bleiben gelassenen Mutes.“ Dass seine Rede mit einer modernen, verjazzten, selbstbewussten Version der Ode an die Freude ausklingt, mag dann doch als ein Zeichen von trotzigem Optimismus gelten. Auch eine Art Vermächtnis dieses Präsidenten.