Journalistinnen und Journalisten werden oft übel beschimpft – das hat Folgen
Wer in den Medien arbeitet, muss mit Kritik rechnen. Das Internet hat die Hemmschwelle sinken lassen, die Wortwahl ist schärfer. Das geht auf die Psyche.

Idiot, Hetzer, Schlampe: Solche Kommentare finde ich auf Facebook-Seiten von Journalist:innen. Nun gut, Kritik an Medienschaffenden – auch persönliche – gab es schon immer. Wer in den Medien arbeitet, muss mit Kritik rechnen. Mit dem Internet kam aber eine neue Qualität. Das Kritik-Tempo wurde höher, die Hemmschwelle niedriger, die Wortwahl schärfer. Auf Journalist:innen wird gern geschimpft, und das bleibt nicht ohne Folgen.
Laut einer neuen Studie der Otto-Brenner-Stiftung (OBS) haben 60 Prozent der Journalist:innen in Deutschland in den vergangenen zwölf Monaten wiederholt daran gedacht, ihren Job aufzugeben. Der Grund: steigender Zeit-, Leistungs- und Wettbewerbsdruck, auch dank digitaler Technologien.

Journalist:innen übernehmen oft viele Rollen gleichzeitig. Sie bespielen soziale Medien und digitale Plattformen und haben auch deshalb weniger Zeit für alles. Den Erfolgsdruck bekommen sie im Sekundentakt serviert – dank digitaler Überwachungstechnologien. Die messen Klicks, Verweildauer und Lesezeiten. Das Ziel: schneller, besser, weiter – und das immer und überall.
Vor allem der journalistische Nachwuchs kommt so an seine Grenzen. Laut OBS-Studie ringen junge Journalist:innen neben Frustration und Unsicherheitsgefühlen vor allem mit fehlender Jobsicherheit. All das geht auf die Psyche. Tina Groll, die Bundesvorsitzende der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju), warnt deshalb vor einem „kollektiven Burn-out“. Sie fordert bessere Arbeitsbedingungen für Medienschaffende. Klar, tut sie das! Wer will die nicht? Denn bessere Bedingungen bringen besseren Journalismus – jedenfalls in der Theorie.
Mehr Klicks, mehr Reichweite, mehr Werbung
Kritiker:innen interessiert das kaum. Sie dreschen lieber auf Personen ein, anstatt zu fragen, was falsch läuft hinter den Kulissen. Zum Beispiel: Wie kann eine werbeabhängige Presse überhaupt funktionieren, wenn die Werbung bei Google oder Facebook landet? Alle großen Verlagshäuser beißen sich an dieser Frage die Zähne aus. Ihre Antwort: Sie gehen Deals mit Google oder Facebook ein. Na klar! Aber beißt sich die Katze hier nicht in den eigenen Schwanz? Verlage hoffen auf mehr Werbegelder und wollen so Personal, Qualität und Leser:innen retten. Die Oberhand aber behalten die Tech-Konzerne, denn das Werbespiel folgt ihren Regeln. Die Lasten tragen nicht selten die Journalist:innen. Sie sollen für mehr Klicks, mehr Reichweite, mehr Werbung sorgen. Dank Google und Facebook kann man die ja genau messen. Und da beißt sie, die Katze!
Nebenbei schütteln sicher auch Journalist:innen den Kopf, wenn sie als Nachrichten verkaufen, was „Fake News“ zu sein scheinen. Gas und Atomkraft, zum Beispiel. Laut Europäischer Union sind die jetzt wieder nachhaltig. Das klingt doch arg nach Greenwashing, oder? Aber kaum eine Zeitung ging dieser Meldung kritisch nach. Stattdessen ziehen Umwelt- und Kirchenverbände ins Feld und protestieren gegen die Lobbyinteressen der Energieindustrie. Wäre das nicht eine Story wert? Oder kostet das mögliche Werbekunden?
Einzelne Journalist:innen können diese Fragen kaum beantworten. Es sind Fehler im System; sie wachsen durch werbegetriebene Technologien. Trotzdem, im Journalismus geht es um Informationen und Deutung. Wir brauchen beides, um uns in der Welt zu orientieren. Man könnte meinen, Systemfragen seien hier angebracht.
Haben Sie Feedback? Schreiben Sie uns! briefe@berliner-zeitung.de