Kai Wegner im Interview: „In der Tat könnte viel dafür sprechen, Schwarz-Grün zu probieren“
Der Wahlsieger nennt SPD und Grüne „zwei Zweitplatzierte“, spricht von einer Schmutzkampagne der Bundes-SPD und sagt, was passiert, wenn Rot-Grün-Rot weitermacht.

Es ist drei Tage her, dass Kai Wegner das beste Wahlergebnis für die Berliner CDU seit mehr als 20 Jahren errungen hat, als die Berliner Zeitung ihn zum Gespräch trifft. Wegner scheint immer noch ein wenig zu schweben. Der Spitzenkandidat zeigt sich zuversichtlich, dass eine neue Koalition, ob mit SPD oder Grünen, möglich ist. Gleichzeitig sind die Verletzungen des harten Wahlkampfs noch nicht ganz verheilt. Wegner meint, dass alle Parteien Zeit bräuchten, um das Ergebnis zu verarbeiten. Wir treffen uns in seinem Büro im Berliner Abgeordnetenhaus.
Berliner Zeitung: Herzlichen Glückwunsch zum Wahlerfolg, Herr Wegner. Als Sie am Sonntagabend auf der Bühne standen, sagten Sie, Ihnen „fehlen die Worte“. Haben Sie die mittlerweile wiedergefunden?
Kai Wegner: Dieses Ergebnis ist ein unglaublicher Vertrauensvorschuss, den uns die Berlinerinnen und Berliner gegeben haben. Wir gehen mit Demut und Tatendrang an die nun vor uns liegenden Aufgaben. Ich musste relativ schnell meine Worte wiederfinden, weil ich ja schon am Abend sehr, sehr viele Gespräche geführt habe. Aber das Ganze ist immer noch überwältigend, das ist gar keine Frage.
Haben Ihnen Ihre politischen Mitbewerber zum Wahlsieg gratuliert?
Ja. Das ist eine Frage des Anstands.
Für Freitagvormittag haben Sie die SPD zu Sondierungsgesprächen eingeladen. Was werden Sie Frau Giffey anbieten, um Sie von Schwarz-Rot zu überzeugen?
Mir geht es nicht um Einzelpersonen. Es geht weder um Franziska Giffey noch um meine Person, sondern es geht ausschließlich um Berlin. Wir haben doch noch am Wahlabend allesamt gemerkt und auch in den Nachwahlbefragungen gesehen: Die Politik muss sich neues Vertrauen erarbeiten in Berlin. Und das sollte uns alle zum Nachdenken bringen. Wie schaffen wir es, Vertrauen zurückzugewinnen? Ich finde, das sollte auch in den Sondierungsgesprächen eine Rolle spielen. Wie stellt man sich eine Zusammenarbeit vor, wie will man Projekte gemeinsam, ja partnerschaftlich, umsetzen und nicht zum Vorteil der eigenen Partei, zur Selbstprofilierung?

Dem würden wohl alle Parteien zustimmen, aber gibt es darüber hinaus auch ein konkretes Angebot an Frau Giffey, um sie zu einer Koalition zu bewegen?
Ich will mit der SPD besprechen, wie die Bereitschaft ist, in ein Bündnis einzusteigen, in dem es nicht in erster Linie um Parteien geht, sondern um den Erfolg dieser Stadt.
In anderen Ländern gibt es die Tradition, dass Politiker auch von der Regierungsspitze wieder in die zweite Reihe wechseln, man denke an Skandinavien oder Israel. Wäre das nicht auch ein gutes Verfahren für deutsche Politiker?
Das muss die SPD bewerten. Das weiß Franziska Giffey im Zweifel ganz allein. Entscheidend ist etwas anderes: Diese Stadt ist nach sechs Jahren Rot-Grün-Rot tief gespalten. Das zeigt allein der Blick auf die Karte der Wahlergebnisse: Die Außenbezirke sind tiefschwarz, in der Innenstadt sehr viel Grün, mit ein paar schwarzen Punkten. Wir müssen die Stadt wieder zusammenführen.
Spräche nicht einiges dafür, es mit Schwarz-Grün zu versuchen? Die Grünen kommen erst am Freitagnachmittag zu Ihnen.
Wir haben beide zur gleichen Zeit eingeladen, das war uns wichtig. Ich hatte eigentlich vor, in der Reihenfolge der Platzierung einzuladen. Aber wenn Sie mich fragen, gibt es bei 105 beziehungsweise 113 Stimmen Unterschied keinen Zweit- und Drittplatzierten, es gibt zwei Zweitplatzierte. Aber in der Tat könnte viel dafür sprechen, Schwarz-Grün zu probieren. Ich nehme aber auch den Wunsch vieler Berlinerinnen und Berliner wahr, die sich laut einer jüngsten Umfrage zu 65 Prozent Schwarz-Rot wünschen. Ich werde ohne Präferenz in die Sondierungen gehen.

Was könnten Sie Bettina Jarasch, die zweimal hintereinander nicht so abgeschnitten hat, wie die Grünen es angestrebt hatten, anbieten?
Nun, von allen Regierungsparteien haben die Grünen bei dieser Wahl am wenigsten verloren. Aber es gilt das Gleiche, was ich zur SPD gesagt habe. Ich werde jetzt nicht erklären, was ich inhaltlich anzubieten hätte, weil ich möchte, dass wir das in Sondierungen vertrauensvoll besprechen. Was die meisten Berliner in den letzten sechs Jahren richtig genervt hat – und was ehrlich gesagt seit der Wahl fast noch schlimmer wurde – ist Streit auf offener Bühne.
Die CDU hat den Wahlkreis Mitte gewonnen, in dem auch die Friedrichstraße liegt. Was halten Sie von der These, dass viele Menschen der Verkehrswende nur solange zustimmen, solange sie sie nicht direkt betrifft?
Unser Mitte-Kandidat Lucas Schaal hatte schon bei der letzten Wahl ein sehr starkes Ergebnis und mir war relativ klar, dass er diesen Wahlkreis gewinnen kann. Ich glaube, dass viele Berliner eine Verkehrswende durchaus wollen. Das Entscheidende ist, wie man es macht. Mit dem Kopf durch die Wand wie bei der Friedrichstraße? Oder mit Augenmaß und indem man die Leute mitnimmt? Die Herausforderung ist doch, dass die Menschen im innerstädtischen Bereich ganz andere Bedürfnisse bei der Verkehrspolitik haben als die Leute in den Außenbezirken. Das muss man fair organisieren. Nicht gegen das Auto, sondern auch mit dem Auto, und auch mit sicheren Fahrradwegen. Und vor allen Dingen mit mehr ÖPNV.
Falls Sie regieren, werden Sie nur dreieinhalb Jahre bis zur nächsten regulären Wahl haben. Da könnte man fast denken, es wäre besser für die CDU, wenn Rot-Grün-Rot weitermacht und Sie stehen 2026 bei 35 Prozent.
Wenn die Koalition aus SPD, Grünen und Linken nun meint, trotz des Wahlergebnisses einfach weitermachen zu können, hat die Berliner CDU eine große Chance, bei der nächsten Wahl noch besser abzuschneiden. Aber darum geht es mir nicht. Ich bin dankbar für den unglaublichen Vertrauensvorschuss der Berlinerinnen und Berliner. Und ich bin angetreten, die Stadt wieder zusammenzuführen und wieder zum Laufen zu bringen. Es geht jetzt nicht um Taktieren, jetzt geht es um Verantwortung und um Machen.

Am Sonntag wurde die Abgeordnetenhauswahl wiederholt, aber der Volksentscheid zu „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ nicht. Wie wollen Sie mit dem Votum der Berliner für Enteignungen umgehen?
Für mich ist das alles Entscheidende, dass wir die Notlage auf dem Berliner Wohnungsmarkt endlich beheben. Die Menschen haben für Enteignungen gestimmt, weil sie Angst vor Verdrängung haben, Angst, ihre Miete nicht mehr bezahlen zu können, Angst, dass sie keine Wohnung finden. Das sind die Kernprobleme. Das Votum für die Enteignung war meines Erachtens eine Art Verzweiflungstat.
Ich bleibe dabei: Enteignung und Vergesellschaftung löst keine Probleme, sondern verschlimmert sie. Wir müssen drei Dinge tun. Erstens, den Mieterschutz so schärfen, dass er funktioniert. Wir machen uns dafür stark, ein Mietenkataster einzuführen. Ich kann mir sehr, sehr gut vorstellen, dass wir Mietwucher über eine Bundesratsinitiative endlich besser bekämpfen und dass wir Schlichtungsstellen schaffen zwischen Mietern und Vermietern. Zweitens müssen wir viel schneller viel mehr zusätzlichen bezahlbaren Wohnraum schaffen. Und drittens sind die Genossenschaften maßgeblich. Sie können dazu beitragen, die massiv steigenden Mieten endlich in den Griff zu bekommen.
Und damit wäre der Volksentscheid dann erledigt?
Auf jeden Fall wären dann die zugrundeliegenden Probleme klar adressiert. Die Mieten steigen weiter rasant in Berlin und die Neubauzahlen erreichen wir schlicht und ergreifend seit Jahren nicht. Wenn die Menschen sehen, da passiert jetzt was, dann wird auch die Zustimmung für einen pragmatischen Kurs ganz klar wachsen. Davon müssen wir die Berliner überzeugen.
Der wohl entscheidende Moment des vergangenen Wahlkampfs waren die Ausschreitungen in der Silvesternacht. Die CDU hat auf Landes- und auf Bundesebene einen harten Ton angeschlagen. Hat dieser „Klartext“ am Ende den Sieg gebracht?
Es gab viele Gründe für den Wahlerfolg der CDU. Es war die Enttäuschung über eine SPD, die vor eineinhalb Jahren etwas anderes versprochen hatte, als sie dann umgesetzt hat. Es war die Enttäuschung darüber, dass vieles in dieser Stadt schlicht nicht mehr funktioniert, noch nicht mal mehr eine Wahl. Auch in der Bildungs- und der Verkehrspolitik haben wir Angebote gemacht, wie wir es anders machen wollen. Und natürlich ist da die Innenpolitik, Stichwort Silvesterkrawalle: Wir reden Probleme nicht weg, wir lächeln sie auch nicht weg, sondern wir benennen Probleme, um sie zu lösen.
Das heißt, der Spruch Ihres Parteivorsitzenden Friedrich Merz über die „kleinen Paschas“ hat geholfen?
Diese Aussage spielte an den Wahlkampfständen keine Rolle. Ganz anders als unsere Aufklärung über die Täterkreise der Silvesterkrawalle. Sehr viele Menschen haben gesagt, dass das richtig ist. Es gab aber auch Leute, die wissen wollten, warum wir das gemacht haben. Denen habe ich erklärt, dass ich diese jungen Männer – und es sind fast immer Männer – für unsere Gesellschaft gewinnen will. Ich will, dass sie genauso eine Aufstiegsmöglichkeit haben wie andere und nicht irgendwann mal in einer Zelle landen. Wir haben so unendlich viele erfolgreiche Integrationsgeschichten in Berlin, über die sollten wir viel häufiger sprechen, denn das sind echte Vorbilder.

Berlin gilt als Stadt mit strukturell linker Wählerschaft, dennoch sagen die Menschen, dass ihnen innere Sicherheit besonders wichtig sei. Welche Konsequenzen hat das für Sie als möglichen Regierenden Bürgermeister?
Sprechen wir über die Silvesternacht: Man kann einen Runden Tisch gegen Gewalt machen, das gibt schöne Fotos. Wenn ich aber die Klientel der Silvesternacht ansprechen will, muss ich die richtigen Leute dabei haben. Da waren junge Männer mit Migrationshintergrund unterwegs – nicht alle, aber ein Großteil. Also muss ich die Moscheevereine einladen, die Integrationsvereine. Ich muss Vorbilder suchen, aus dem Sport oder aus der Kunst, Rapper zum Beispiel. Ich finde auch, dass wir in Berlin stolz darauf sein können, dass wir die vielfältigste Polizei in ganz Deutschland haben: 30 Prozent mit Migrationshintergrund, Tendenz stark steigend. Wir haben Polizistinnen und Polizisten aus Neukölln, die in den Kiezen aufgewachsen sind, wo die Krawalle stattfinden. Warum schicken wir die nicht in die Schulen, am besten regelmäßig und in Uniform? Wenn ein junger Mann dort steht und sagt: Leute, ich bin hier aufgewachsen, ich weiß genau, was ihr durchmacht, aber ich habe es geschafft. Der sagt: Die Gesellschaft hat mir die Chance gegeben und ihr habt die Chance auch. Dann erreichen Sie die jungen Leute.
Moment mal, im Wahlkampf der CDU ging es doch nicht um mehr Angebote und Verständnis für gewaltbereite Jungs. Es ging darum, den Migrationshintergrund der Täter klar zu benennen und ihnen harte Grenzen aufzuzeigen.
Das sind zwei Seiten einer Medaille. Ich will einen funktionierenden, starken Rechtsstaat, der, wenn schwerste Straftaten stattfinden, auch schnell sanktioniert. Ich will eine starke Polizei. Ich will eine Polizei, die das Vertrauen der Politik genießt. Ich will eine Justiz, die personell so ausgestattet wird, dass tatsächlich Verfahren schneller geführt werden. Wenn Verbrechen stattfinden, muss der Rechtsstaat konsequent handeln. Aber die andere Seite, die Präventionsmaßnahmen, finde ich viel besser.

Um welches Thema würden Sie sich als neuer Regierender Bürgermeister sofort kümmern?
Ich will mich schnellstmöglich um Verwaltung, Modernisierung und Digitalisierung kümmern. Da müssen wir liefern, das muss in den nächsten dreieinhalb Jahren spürbar sein. Wir brauchen eine vollumfängliche Verwaltungsreform, weil es so, wie es ist, nicht funktioniert. Ich kann noch mehr Geld ins System kippen und noch mehr Personal, und es wird dennoch nicht funktionieren. Wir brauchen vor allen Dingen Strukturen. Sonst kriegen wir den Schulbau und Schulneubau weiterhin nicht schneller hin. Sebastian Czaja von der FDP rechnet immer vor, wie viele Verwaltungen für die Sanierung von Toiletten gebraucht werden. Das ist doch verrückt.
Die FDP ist aus dem Parlament geflogen. Werden Sie die Partei vermissen?
Mir tut es tatsächlich leid, weil ich Sebastian Czaja schätze, und mit der FDP haben wir gut zusammengearbeitet. Ich glaube auch nicht, dass es an der Berliner FDP lag. Sie ist wegen der Performance der Bundes-FDP unter die Räder gekommen. Viele sind enttäuscht darüber, was die Partei jetzt im Rahmen der Ampel macht.

Die Bundes-SPD scheint die Union immer wieder in die rechte Ecke schieben zu wollen. Auch in diesem Wahlkampf. Sie würden spalten und seien nicht koalitionsfähig, ließ Saskia Esken wissen. Es gab Vergleiche mit Trump. Wie finden Sie das?
Wenn die SPD mir Trumpsche Manieren vorwirft, kann ich nur sagen: Gut, dass der Wahlkampf jetzt vorbei ist. Die SPD hat hässliche Bilder von mir produziert und mir unterstellt, dass ich die Stadt spalten würde. Genau so hätte Trump es gemacht. Angeblich war dieses Vorgehen der Bundes-SPD nicht mit der Berliner SPD abgesprochen. Mir egal. So was interessiert mich nicht, ich lass mich auf so eine Schmutzkampagne nicht ein.
Das verletzt Sie nicht?
Ich werte es als reine Verzweiflungstat. Schließlich war im Wahlkampf die Enttäuschung der Menschen über die SPD mit Händen zu greifen. Die SPD-Wahlniederlage zeichnete sich immer deutlicher ab und wurde dann ja auch heftig. Ich gebe der SPD jetzt die Zeit, die sie braucht, um das Ergebnis zu verarbeiten.
Was kann die CDU auf Bundesebene aus Ihrem Wahlerfolg lernen?
Zunächst danke ich Friedrich Merz für die Unterstützung in diesem Wahlkampf. Die Bundespartei braucht keine Ratschläge von uns, die wissen sehr gut, wie es geht. Was wir wissen, ist, dass in diesem Wahlkampf die Geschlossenheit und die Mobilisierung der eigenen Anhänger besonders wichtig war. Das war der Wahnsinn, wie geschlossen meine Partei gekämpft hat. Ein anderer Erfolgsfaktor war, Probleme anzusprechen und klare Lösungen anzubieten. Wir sind in den letzten Wochen auch mit unserem Kompetenzteam nach vorne gerückt. Wir sind im Bereich Innere Sicherheit deutlich vorne in den Kompetenzzuschreibungen. Auch im Bereich Bildung liegen wir vor der SPD. Und wenn die Menschen gefragt werden, wer die Probleme der Stadt am besten lösen kann, dann lautet die Antwort: die CDU. Das ist für uns Bestätigung und Auftrag, jetzt mit aller Kraft eine stabile Regierung zu bilden, die vertrauensvoll zusammenarbeitet und dafür sorgt, dass unsere großartige und vielfältige Stadt wieder an allen Stellen funktioniert.
Wir danken für das Gespräch.
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