Kartellrechtsexperte: "Die Konzerne versuchen, den Schaden zu begrenzen"
Berlin - Aus Sicht des Kartellrechtsexperten Sascha Dethof spricht vieles dafür, dass interne Kontrollmechanismen in Autokonzernen versagt haben – mit der Folge, dass nun die Wettbewerbshüter gegen VW, BMW und Daimler ermitteln. Bei Absprachen über technische Neuerungen sei für die Zukunft eine erheblich größere Sensibilität gefordert.
Sie haben sich intensiv mit dem Lkw-Kartell befasst. Können Sie die Mechanismen beschreiben, die zu solchen Kartellen führen?
Beim Lkw-Kartell ging es vornehmlich um die Abstimmung über Bruttopreise für Nutzfahrzeuge. Absprachen über Preise gehören zu den schwerwiegendsten Vergehen im Kartellrecht. Beim hier vorgeworfenen Kartell der fünf großen deutschen Autobauer geht es - nach allem was wir bislang wissen – nicht um Preise, sondern um eine Abstimmung über Lieferanten und über Technisches unter anderem zur Abgasreinigung. Das kann ebenfalls kartellrechtlich relevant sein, hat aber soweit eine andere Qualität als beim Lkw-Kartell.
Ist die Autobranche besonders anfällig für Kartelle?
Bei diesen technischen Fragen ist von vornherein nicht eindeutig klar, dass es sich um einen Kartellrechtsverstoß handelt. Einheitliche Normen zum Vorteil der Verbraucher können zulässig sein, Preisabsprachen sind unzulässig. Die Absprachen über technische Dinge liegen dazwischen. Kritisch ist es, wenn ein Autobauer wegen Absprachen mit anderen Autobauern bei technischen Neuerungen nicht so weit vorstößt, wie er könnte – etwa bei einer gut funktionierenden Abgasreinigung.
Heißt das, auch für Ingenieure war schwer zu erkennen, wann aus legalen Vereinbarungen illegale Praktiken wurden?
Das ist in der Tat so. Abseits der Preisabsprache ist es im Kartellrecht häufig unklar und für den Laien schwer erkennbar, wo die Grenze verläuft. Es könnte hier durchaus so gewesen sein, dass Experten sich zunächst legal über Umweltstandards ausgetauscht haben, um sicherzugehen, dass sie erfüllt werden. Dann kann so etwas über die Jahre aber in einen kritischen Bereich abgleiten.
Wen sehen Sie als Hauptschuldige?
Die Antwort darauf ist gar nicht so einfach. Die Treffen wurden wohl von Ingenieuren gestaltet, die aber auch keine Kartellrechtsexperten sein dürften. Möglicherweise wurden die Compliance-Abteilungen zu spät eingeschaltet.
Das heißt aber doch auch, dass es im Management nicht ausreichend Sensibilität für Kartellvorstöße bei technischen Fragen gab.
Wir sehen nun jedenfalls, dass die Compliance-Arbeit in Unternehmen weiter ausgedehnt wird. Das ist ein Prozess, der noch längst nicht abgeschlossen ist. Inzwischen ist es häufig so, dass Mitarbeiter eines Unternehmens erst einmal im Kartellrecht geschult werden, bevor sie sich mit Vertretern eines Wettbewerbers treffen, etwa in Arbeitskreisen oder Verbänden.
Was müssen die betroffenen Unternehmen jetzt außerdem noch tun?
Einiges ist schon passiert. Mit den Selbstanzeigen versuchen Daimler und VW offenbar, den Schaden zu begrenzen. Zweitens müssen illegale Praktiken, falls es die gab, sofort abgestellt werden. Man kann davon ausgehen, dass dies gerade untersucht wird, ob etwa Arbeitsgruppen aufgelöst oder umgestaltet werden müssen. Drittens muss die erwähnte Compliance-Arbeit ausgebaut werden. Mitarbeiter müssen ausreichend sensibilisiert werden. Das kann so weit gehen, dass bei Treffen von Mitarbeitern verschiedener Firmen ein Anwalt teilnimmt, damit da nichts anbrennt. Die Angst vor hohen Bußgeldern in Unternehmen ist sehr groß.
Die Selbstanzeigen sind schon älter als ein Jahr. Können Sie nachvollziehen, warum solche Verfahren so langwierig sind?
Die Kartellbehörden warten zunächst einmal ab, ob Selbstanzeigen von allen Beteiligten kommen, deshalb haben sie keine große Eile. Außerdem muss das belastende Material, das die Unternehmen an die Behörde schicken, ausgewertet werden. Von der Qualität des Materials hängt ab, wie hoch eine Ermäßigung der Bußgelder ausfällt. Dem ersten Kronzeugen mit umfänglicher Einlassung könnte das Bußgeld komplett erlassen werden. Bis zu einer Entscheidung dürfte es hier jedenfalls noch viele Monate dauern.
Nachgelagert wären dann Zivilklagen von Geschädigten. Was ist da zu erwarten?
Das ist derzeit noch unklar. Schadensersatzansprüche nach Kartellrechtsverstößen sind derzeit ein großes Thema. Das Kartellrecht wurde auch gerade geändert zur Erleichterung der Durchsetzung derartiger Ansprüche. Hier wissen wir noch zu wenig über die Fakten. Möglicherweise wurden Zulieferer geschädigt. Es soll Verabredungen darüber gegeben haben, an welche Zulieferer Aufträge vergeben werden. Firmen, die nicht zum Zuge kamen, könnten dann möglicherweise Schadenersatzansprüche haben.
Die Absprache über zu kleine Tanks für das Abgasreduktionsmittel Adblue sollen den Autobauern Einsparungen von 80 Euro pro Fahrzeug gebracht haben.
Da stellt sich die Frage ob, sich Schadenersatzklagen lohnen. Anders würde es aussehen, wenn es auch bei uns die Möglichkeit von Sammelklagen wie in den USA gäbe. Das würde die Kosten für Geschädigte minimieren. Von Verbraucherschützern und der EU-Kommission kommen immer stärkere Forderungen, die in diese Richtung gehen.