Den Kollaps verhindern: Durch Kriegswirtschaft oder eine Öko-Diktatur?
Der Staat wird stärker in die Wirtschaft eingreifen müssen, um den ökologischen Kollaps der Wirtschaft und soziale Verwerfungen zu verhindern. Dies muss aber keinen Verlust an Wohlstand bedeuten.

Die taz-Autorin Ulrike Hermann löste kürzlich eine Kontroverse aus, weil sie mit Blick auf den Klimawandel eine Überlebens- oder Kriegswirtschaft forderte. Gemeint ist die stärkere Lenkung von Investitionsentscheidungen durch den Staat. So habe etwa die britische Regierung 1939 im Rekordtempo die zivile Wirtschaft auf die Erfordernisse der Militärproduktion umstellen müssen, ohne die Versorgung mit Lebensmitteln zu gefährden. Mit anderen Worten: Statt Panzer und Munition in Automobilwerken geht es dieses Mal um Züge oder Solar- und Wasserkraft.
Hermann forderte jedoch auch eine Schrumpfung der Wirtschaft, um die Menschheit vor dem Klimakollaps zu bewahren. Die Schrumpfung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) würde überdies auch den Kapitalismus und das aktuelle Finanzsystem erledigen, wo immer mehr Kapital nach Anlage sucht. Den Kapitalismus findet Hermann zwar besser als seinen Ruf. Dieser vertrage sich aber nicht mit den Lebensinteressen der Menschheit und dem Ökosystem, da es einen Zwang zu Wachstum und somit auch Ressourcenverbrauch gäbe.
Schocktherapie gegenüber Griechenland
Vorweg: Bei der Kriegswirtschaft hat Ulrike Hermann recht. Ob die Wirtschaft aber in Gänze schrumpfen muss, da bin ich mir nicht so sicher. Und dass weniger Wachstum automatisch den Kapitalismus erledigt, halte ich für einen Mythos. Man denke etwa an die Eurokrise und Griechenland.

Dort wurden Renten, Löhne und öffentliche Investitionen gekürzt und alles privatisiert, was nicht bei drei auf dem Baum war, während die Forderungen ausländischer Banken und Finanzinvestoren abgesichert wurden, die in griechische Staatspapiere investiert waren. Diese härteste Schocktherapie gegenüber einer Industrienation in der jüngeren Geschichte führte zu einem massiven Einbruch der griechischen Wirtschaft und einer sozialen Katastrophe. Aber das bedeutete nicht weniger, sondern mehr Kapitalismus. Die Ökobilanz Griechenlands ist seither aber auch nicht erheblich besser.
Zudem habe ich meine erheblichen Zweifel, ob man unsere Gesellschaft mit düsteren Prognosen über Wohlstandsverluste und Verzicht mobilisiert. Dies ist für einige Milliardäre angemessen und notwendig. Denn das reichste Prozent der Weltbevölkerung produziert allein mehr Emissionen als die Hälfte der Weltbevölkerung. Den Kaviar seltener per Privatjet auf den Landsitz einfliegen lassen ist nun wirklich kein großes Opfer, um das Überleben der Menschheit zu sichern.
Wer Wohlstand für alle will, braucht staatliche Eingriffe
Aber für eine große Mehrheit der Menschen geht es auch um ein neues Wohlstandsversprechen: Die Kognitionsforschung zeigt nämlich, dass Weltuntergangsstimmung – selbst wenn berechtigt – bei der breiten Masse der Menschen eher zum Vogel-Strauß-Phänomen führt. Der Kopf wird in den Sand gesteckt.
Der Kapitalismus war immer dann am „erfolgreichsten“ bei der Schaffung von Wohlstand für weite Teile der Bevölkerung, wenn er wie nach dem Zweiten Weltkrieg mit heftigen staatlichen Eingriffen kombiniert wurde. Eine Kriegswirtschaft, die jedoch unter Zwang die Wirtschaft schrumpft (und laut Hermann nebenbei auch gleich den Kapitalismus abschafft), dürfte Kapitalismus-Kritik eher unpopulär machen und ist wenig hilfreich. Zumal eine Schrumpfung der Wirtschaft unsere Industrie noch nicht umweltfreundlicher macht und daher sogar kontraproduktiv sein kann.
In einigen Bereichen würde höhere Produktion mehr Umweltschutz bedeuten
Die bittere Wahrheit lautet, dass wir den Kampf gegen den Klimawandel wahrscheinlich bereits verloren haben. Nicht technisch, sondern politisch. Niemand will das gerne aussprechen, weil man befürchtet, dass es dann erst recht keine Mehrheiten für den Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft gibt.
Doch um auch nur den Hauch einer Chance zu haben, Szenarien zu entgehen, die nicht weniger als die Überlebensfähigkeiten der Menschheit auf diesem Planeten infrage stellen, müssten die Präsidenten der USA und Chinas eigentlich jetzt gemeinsam vor die TV-Kameras treten. Sie müssten das Kriegsbeil begraben, das über unseren Köpfen schwebt, und ähnlich dem Wettlauf zum Mond eine neue kollektive Mission der Menschheit verkünden. Der Bundeskanzler müsste eine Ansprache an die Nation halten und statt Verzicht Mut und Aufbruch predigen. Und die EU müsste eine eigene Industrie- und Technologiepolitik entwickeln, statt sich etwa über die US-Subventionen für die Energiewende aufzuregen.
Diese Mission würde aber – und da liegt aus meiner Sicht der Irrtum – in einigen Bereichen tatsächlich zur erwünschten Schrumpfung schädlicher Produktion führen, in anderen Bereichen aber kurzfristig zu einem enormen Wachstumsschub führen. Denn das Bruttoinlandsprodukt (BIP) misst auch in einer physikalisch begrenzten Welt nicht Emissionen (auch wenn eine hohe Wirtschaftsaktivität selbstverständlich mit mehr Emissionen einhergeht), sondern Einkommen, die erzeugt werden.
Ein Beispiel: Würden in allen Schulen Deutschlands warme Mahlzeiten angeboten und Köche bezahlt, statt dass viele Familien individuell mit dem Auto einkaufen und kochen, würde dies den Staatskonsum und somit das BIP erhöhen. Das wäre in diesem Fall aber ökologischer. In anderen Bereichen müsste Produktion jedoch durchaus schrumpfen.
Was soll wachsen, was schrumpfen?
In einem hat Ulrike Hermann sicher recht: Es ist nicht mehr erforderlich und wünschenswert, dass wir mit den sehr hohen Wachstumsraten aus der Nachkriegszeit wachsen, die ja vor allem auch Ergebnis des Wiederaufbaus und des Durchbruchs der Massenproduktion waren. Häufig sind solche kurzfristigen Boom-Phasen im modernen Finanzkapitalismus auch nicht Ausdruck stabiler wirtschaftlicher Entwicklung, die durch entsprechende Nachfrage nach den zusätzlichen Waren und Dienstleistungen gedeckt ist, da die Politik in den letzten Jahrzehnten die Kaufkraft von großen Teilen der Bevölkerung eher zugunsten von Gewinnen und Vermögen geschrumpft hat.

Eine Wachstumsralley, die etwa wie der Immobilienboom vor der Weltwirtschaftskrise 2007 auf private Verschuldung setzt, wird dann bei falscher Politik häufiger mit einem heftigen Kater und einer Vernichtung von Wohlstand bezahlt.
Auf unserem heutigen Wohlstandsniveau in Europa sind sehr hohe Wachstumsraten aber auch gar nicht nötig, wenn Maßnahmen ergriffen werden, den Wohlstand gerechter zu verteilen und soziale Konflikte zu befrieden. Aber gilt dies auch für die ganze Welt? Und wer soll eigentlich verzichten und wer nicht? Ich halte diese Debatte daher für nicht sonderlich produktiv. Am Ende ist viel wichtiger, was wächst oder schrumpft, und nicht, wie viel.
Allein in Deutschland gibt es 50 Millionen Pkw
Nur eine Auswahl dessen, was notwendig wäre, um die Klimaziele von Paris noch zu erreichen: Die USA müssten etwa darauf verzichten, aus dem Ukraine-Krieg den Vorteil zu ziehen, Europa ihr Fracking-Gas anzudienen, und es müsste eine globale Abrüstungsinitiative gestartet werden.
Nichts ist klimaschädlicher als Krieg und Rüstung. Zentralbanken müssten weltweit koordiniert eine Ausweitung der Staatsausgaben ermöglichen, um etwa schnelle Züge von Lissabon bis Helsinki zu bauen. Dies würde nicht einfach die Inflation anheizen, da es Investitionen (also zusätzliches Angebot) statt Konsum (zusätzliche Nachfrage) finanziert und unsere wirtschaftlichen Möglichkeiten erweitert.

Allein in Deutschland gibt es 50 Millionen Pkw. Um dies zu ändern, müssten die Möglichkeiten des digitalen Arbeitens für jene verbessert werden, die das können und wollen (z.B. indem Unternehmen verpflichtet werden, Heim-Arbeitsplätze zu bezuschussen), und Hunderttausende elektrifizierte Kleinbusse vom Fließband rollen. Dann könnten die Kommunen zumindest Menschen in Ballungsräumen rund um die Uhr befördern und der individuelle Pkw auf Sondergenehmigungen, Belieferung von Geschäften, Taxen, Rettungsdienste etc. und ländliche Gebiete beschränkt werden.
Wir müssen eine Alternative zum Auto anbieten
Ist das ein Schreckensszenario? Nein, es würde Innenstädte lebenswerter machen und es käme kaum zu Einbußen an Mobilität. Zu Beginn der Industrialisierung waren unsere Verkehrsmittel wie Straßenbahnen bereits einmal auf eine Vielzahl von Menschen ausgerichtet und der reine Individualverkehr eine Ausnahme.
Aber ist dies auch realistisch? Leider nein. Denn zumindest in Gesellschaften mit demokratischen Wahlen ist es sehr schwer, solche Menschheits-Projekte, die Wahlperioden überdauern, zu realisieren. Die Macht der Öl-Konzerne und Milliardäre hat längst die Politik korrumpiert. Deswegen werden unsere ökologischen Debatten auch regelmäßig durch Verzichtsdebatten und den Spritpreis dominiert, obwohl der Lenkungseffekt begrenzt ist, solange es nicht im erforderlichen Umfang effiziente öffentliche Alternativen zum Auto gibt.
Wir verwechseln den Geldbeutel mit Demokratie
Unsere Debatten sind so verengt auf die Verteuerung des ökologisch schädlichen Konsums und Instrumente wie den Emmissionshandel, weil dahinter die Ideologie des Marktes steht, wonach man alles über den Preis regelt. Und den Reichsten tut es natürlich nicht besonders weh, wenn mal hier oder da der Sprit teurer wird. Jene, die sich aber die Miete in den Innenstädten nicht mehr leisten können und bei schlechter öffentlicher Verkehrsanbindung und Nachtschichten zur Arbeit pendeln müssen, spüren eine Verteuerung.
Sie werden aber deswegen ohne Alternativen nicht einfach ihr Verhalten ändern und auf das Auto verzichten (können). Über den individuellen Konsum wird im Kapitalismus zunehmend auch die richtige politische Haltung signalisiert, weil wir den Geldbeutel mit Demokratie verwechseln. Das führt dann zu Widersprüchen. Im Prenzlauer Berg rollt der SUV vor den Bioladen, obwohl der Malocher, dem die Mülltrennung lästig ist, einen geringeren ökologischen Fußabdruck verursacht.
Etliche Skigebiete müssten sich vom Winter-Tourismus verabschieden
Die unbequeme Wahrheit lautet daher, es wird wohl in den nächsten Jahren vor allem darum gehen, unsere Kriseninfrastruktur zur Anpassung an den Klimawandel zu befähigen und vielleicht zu beten, dass die Menschheit mehr Glück als Verstand hat. Wir brauchen etwa Küstenschutz in einem noch nie da gewesenen Ausmaß sowie Hitze-Unterstände in deutschen Städten und neue Kühlsysteme in der Produktion. Etliche Skigebiete müssen sich vom Winter-Tourismus verabschieden und sich neu erfinden. Es ist ein Jahrtausendprojekt.

Wir benötigen aber auch die Mobilisierung aller ökonomischen und wissenschaftlichen Ressourcen der Weltmächte USA und China, um etwa mithilfe von Geo-Engineering zu versuchen, das Abschmelzen des Thwaites-Gletschers in der Antarktis zu bremsen, dessen Verlust ganze Küstenstädte wie New York, Hamburg, Miami und Jakarta verschlucken könnte. Ob Maßnahmen gegen den Klimawandel oder Anpassung an den Klimawandel oder gar beides: All dies ist billiger als der wirtschaftliche Untergang, der uns in einer Öko-Apartheid mit gewaltsamen Klimakonflikten droht, in der nur noch eine reiche Minderheit wie auf einer Techno-Arche Noah überleben wird.
Die Wahrscheinlichkeit, dass wir scheitern, da wir zwar technologische Höchstleistungen vollbringen, die Technologien aber nicht sozial beherrschen, ist sehr hoch. Denn wir ordnen unsere Wirtschaft und Gesellschaft den kurzfristigen Profitinteressen und Investitionsentscheidungen von Konzernen unter. Vielleicht stoßen Demokratien, in der widerstreitende Interessen mühsam ausgehandelt werden, durch eine Aufgabe wie den Klimawandel tatsächlich an ihre Grenzen. Wer jedoch die Demokratie nicht opfern will, darf kein business as usual betreiben. Wir brauchen daher die Kriegswirtschaft, um eine Öko-Diktatur zu verhindern.
Haben Sie Feedback? Schreiben Sie uns! briefe@berliner-zeitung.de