Der ZDF-Gründungsintendant und andere Nazi-Leichen im Keller der Bundesrepublik
Fast ein Jahrhundert nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten werden immer mehr westdeutsche Persönlichkeiten enttarnt. Warum erst jetzt?

Es war vor einer Woche im „Heute-Journal“. Es ging um Lieferprobleme bei Leopard-Panzern für die Ukraine und die Lage in den Erdbebengebieten. Marietta Slomka sagte mit ernster Stimme: „Aus der Gegenwart machen wir jetzt einen Zeitsprung in die Vergangenheit.“
Es ging um mehr als die übliche Nachrichtenlage, um etwas Brisantes, das merkte ich gleich: Karl Holzamer, der erste ZDF-Intendant, war Mitglied der NSDAP und der SA gewesen und hatte über seine NS-Vergangenheit nicht die Wahrheit gesagt. Herausgekommen war es erst jetzt, 60 Jahre nach Gründung des ZDF. Und wohl vor allem deshalb.
Im Jubiläumsjahr sei die ZDF-Zeitgeschichte-Redaktion „tief in die Geschichte eingestiegen“, erklärte Marietta Slomka. Das Ergebnis: „Nazis und Mitläufer waren aktiv, auch im ZDF, auf höchster Ebene.“
Unterschiede zwischen DDR und BRD
Ich hörte gebannt zu. Eine Nazi-Enthüllung in einer Nachrichtensendung – so was hatte ich noch nicht erlebt. Und noch etwas anderes fiel mir auf: Die Moderatorin sprach von der „Bundesrepublik“, von den „Adenauer-Jahren“, von „bundesdeutschen Institutionen“. Sie machte, ohne es direkt zu sagen, einen Unterschied zwischen der DDR und der BRD. Auch das passiert nicht oft.
Zwischen Ost und West wird eigentlich immer nur dann unterschieden, wenn im Osten wieder mal was Schlimmes passiert ist: ein Nazi-Aufmarsch in Thüringen oder ein Anschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft in Mecklenburg. Der Osten ist rechts, logisch, die Ursachen liegen in der DDR. Passieren die gleichen Sachen in Bayern oder NRW, ist es ein „deutsches“ Thema, hat es mit der westdeutschen Geschichte nichts zu tun.
Darauf hinzuweisen, dass es Unterschiede gab bei der Entnazifizierung nach dem Krieg, hat wenig Sinn, weil man dann sofort als Ewiggestriger gilt. Und schnell das Argument kommt, dass der Antifaschismus in der DDR nur behauptet war. Was er ja auch war. Niemand wird Antifaschist, nur weil der Staat das so beschlossen hat.
Aber jetzt, im „Heute-Journal“, ging es nicht um die DDR, noch nicht, sondern um den ZDF-Gründungsintendanten, eine „prägende Gestalt der Bonner Republik“, mit vielen Preisen geehrt, „der nun in neuem Licht“ dasteht, 16 Jahre nach seinem Tod. Die Nachricht erinnerte mich an andere Geschichten, bei denen plötzlich Leichen aus dem Keller geholt werden: die NRW-Gewerkschafterin Irmgard Kroymann, die sich als Opfer der Faschisten ausgegeben hatte, obwohl sie KZ-Aufseherin war. Der Gruner-und-Jahr-Gründer Henri Nannen, dessen Name kürzlich aus Preis und Schule gestrichen wurde. Die Krupp-Stiftung, die vor einem Jahr angekündigt hat, endlich die Vergangenheit der Firma aufzuarbeiten, die Zwangsarbeiter beschäftigte und zu den wichtigsten Rüstungslieferanten der Nazis zählte. 90 Jahre nach deren Machtergreifung!
Warum erst jetzt?
Die Frage wurde nicht gestellt im „Heute-Journal“. Marietta Slomka wollte aber von einem Historiker wissen, „warum das nicht funktioniert hat mit der Entnazifizierung in der Bundesrepublik“. Der Historiker sagte: Es seien einfach zu viele Nazis und Mitläufer gewesen, um alle gleichzeitig loszuwerden.
„Und wie war es in der DDR?“, fragte die Moderatorin noch.
Dort habe man mehr entnazifiziert, mehr auf einen Bruch gesetzt als in der Bundesrepublik, sagte der Historiker. Es war ungefähr die Antwort, die ich erwartet hatte, trotzdem überraschte sie mich, hier im Fernsehen. Der Historiker fügte dann noch hinzu: Eine neue Bevölkerung habe man sich aber auch in der DDR nicht backen können. Das überraschte mich weniger. Am Ende ist Deutschland dann eben doch wieder eins.