Kommentar: Armutszeugnis für ein reiches Land
Eigentlich hatte die Europäische Union vor, mit erweiterten Kriterien zur Bestimmung von Armut und sozialer Ausgrenzung die Fortschritte in den Mitgliedsstaaten zu messen. Daraus ist allerdings nichts geworden. Vor allem im Falle Deutschlands können nun nämlich die Rückschritte besichtigt werden. Galten 2005 noch 18,4 Prozent der Bevölkerung als arm, sind es mittlerweile fast 20 Prozent. Die Armen werden ärmer, die Reichen immer reicher. So platt das klingt, es stimmt leider. Das zeigen auch die jüngsten Zahlen der Statistiker.
Dabei sind die nun veröffentlichten Zahlen sehr glaubwürdig. Denn die EU verwendet einen relativ umfassenden Armutsbegriff, der nicht nur das Einkommen betrachtet, sondern zum Beispiel auch die Beschäftigungssituation berücksichtigt. Und zusätzlich werden die Betroffenen gefragt, ob sie sich zum Beispiel wenigstens einmal im Jahr für eine Woche einen Urlaub woanders als zu Hause leisten oder ihre Wohnung richtig heizen können. Keine Frage, wer dafür nicht genügend Geld hat, ist arm.
Deutschland gilt wegen seiner hohen Wirtschaftsleistung als reich. Doch der Reichtum eines Landes darf nicht allein daran gemessen werden. Es muss vor allem darum gehen, ob die Chancen zur Teilhabe an diesem Reichtum gerecht verteilt sind. Wenn jedoch 16 Millionen Menschen davon ausgeschlossen sind, dann ist das für Deutschland ein Armutszeugnis.