Kommentar zum Wahlchaos in Berlin: Berlin muss besser wählen

Es ist nicht so wichtig, ob die Berliner Pannen-Wahlen vom September wirklich wiederholt werden müssen. Hauptsache, beim nächsten Mal wird es besser.

Sieht gar nicht so schwer aus: Korrektes Wählen
Sieht gar nicht so schwer aus: Korrektes WählenZB

Zu wenige Stimmzettel, falsche Stimmzettel, stundenlange Wartezeiten. Das Wahldesaster vom vergangenen September ist peinlich. Bisher fanden es Menschen witzig zu sagen, Berlin könne keinen Flughafen bauen. Jetzt sagen – womöglich dieselben – Menschen, Berlin kann auch nicht wählen. Das ist nicht lustig, das schmerzt.

Es schmerzt, weil die Pannen das Vertrauen in eine funktionierende Demokratie massiv geschädigt haben, deshalb muss Berlin großes Interesse an einer Frage haben: Ob und in welchem Umfang müssen die Wahlen möglicherweise wiederholt werden?

Über Abgeordnetenhaus- und Kommunalwahlen entscheidet das Berliner Verfassungsgericht im Herbst. Wie gravierend waren die Fehler? Haben sie das Ergebnis verfälscht? Sitzen jetzt die falschen Personen in den Parlamenten? Und wie gewichtet das Gericht die Tatsache, dass viele Hunderttausende Wähler regulär wählen konnten? Ein möglicher Wahlwiederholungstermin könnte im Frühjahr 2023 liegen.

Doch was ist mit der Bundestagswahl? Auch da wäre für manche Partei richtig was zu holen. Der SPD zum Beispiel fehlten im gesamten Bundesgebiet 802 Zweitstimmen, um in Niedersachsen ein Mandat zu gewinnen. Könnte doch sein, dass die Partei diese Stimmen in Berlin eingesammelt hätte, wenn hier alle Wahlwilligen auch hätten wählen können. Es könnte genau so gut sein, dass auch in Berlin die Direktmandate neu verteilt werden. Besonders gering war der Vorsprung von CDU-Frau Monika Grütters in Reinickendorf. Alles wäre offen.

Der Bundeswahlleiter kann sich nicht durchsetzen

Es ist anderthalb Monate her, da gab es die erste fachliche Einschätzung. Bundeswahlleiter Georg Thiel sagte, die Bundestagswahl sollte in allen betroffenen Berliner Wahlkreisen komplett wiederholt werden. Das wären nach jetzigen Erkenntnissen sechs von zwölf insgesamt. Die Hälfte.

Doch so weit wird es offenbar nicht kommen. Seit gestern wissen wir: Die Ampelkoalition kann sich eine Wiederholung in etwa 400 der rund 2300 Berliner Wahllokale vorstellen. Das wären 20 Prozent. Wie so etwas aussehen könnte, und ob damit der Wahrheitsfindung wirklich gedient wäre, ist völlig unklar.

Und auch die Berliner Landeswahlleiterin hält tapfer stand und sagt: „Ich bleibe bei meiner Einschätzung, dass ich nicht die empirische Grundlage für eine Wahlwiederholung sehe.“

Der Bundestagsabgeordnete und frühere Berliner Justizsenator Thomas Heilmann dagegen sagt, nur eine komplette Wiederholung würde die Demokratie stärken.

Eine einvernehmliche Haltung gibt es also nicht. Wie auch, in einer Demokratie.

Mindestens so wichtig ist ohnehin, dass sich so ein Desaster nicht wiederholt. Am Mittwoch hat die Berliner Wahlkommission dem damals amtierenden Senat schonungslos den Spiegel vorgehalten. Die Institutionen hätten versagt. Insbesondere die Innenverwaltung hätte nie behaupten dürfen, die Wahlen gingen sie nichts an.

Doch das Gremium hat auch Vorschläge fürs nächste Mal gegeben. Die Berliner Verwaltung müsse umgebaut werden, die Landesebene – in diesem Fall die Landeswahlleitung – brauche mehr Durchgriffsrechte auf die Bezirksebene. Das ist ein Mammutproblem, mit dem sich Berlin seit 102 Jahren, der Bildung von Groß-Berlin, herumplagt. Dennoch: Es ist notwendig, das anzugehen. Es kann einfach nicht richtig sein, dass jedes Bezirkswahlamt für sich Entscheidungen trifft.

Vielleicht noch ein Wort zu Wahlleiter Thiel: Er habe nicht den Eindruck, sagte er vor dem Bundestag, dass „das in Berlin künftig anders wird“.

Ist das sein Eindruck? Berlin wäre gut beraten, den Mann, im Hauptberuf Präsident des statistischen Bundesamts im schönen Wiesbaden, zu widerlegen.