Erdbeben in der Türkei und in Syrien: Was wir in der Krise fühlen
Bilder für das kollektive Gedächtnis: Was Fotos und Filme aus dem Erdbebengebiet mit unserer Spendenbereitschaft zu tun haben. Ein Kommentar.

Ein Mann sitzt mit angezogenen Knien inmitten totaler Zerstörung. Wenn ein Bild das Leid und die Zerstörung, die das Erdbeben in der Türkei und Syrien in dieser Woche mit sich brachte, verdeutlichen konnte, dann dieses. Wie an einem Abgrund hockt der Mann in seiner übergroßen orangefarbenen Jacke an der Kante eines Schuttberges und hält die Hand einer Person auf einer Matratze. Aus dem Bildtext erfahren wir, es ist die Hand seiner toten Tochter – 15 Jahre alt.
Das eingestürzte Gebäude, ein von massivem Beton zerdrücktes Bett, die Tragik des Vaters und der frühe Tod einer jungen Frau. In unseren Köpfen wird daraus ein furchtbarer Komplex.
Wie bei vielen Katastrophen aus jüngster Zeit, erreicht uns in diesen Tagen eine Bilderflut. Neben all den Trümmern sind darunter auch immer wieder Aufnahmen, die herzzerreißende menschliche Geschichten erzählen wie die des Mannes und seiner Tochter. Wir fühlen uns hilflos.
Herzrührend sind aber auch die Filme von den Rettungsversuchen. Auf Videos sehen wir Abend für Abend Helfer, die kleine Mädchen auch noch nach Tagen körperlich augenscheinlich unversehrt aus den Trümmern ziehen und wegtragen. Glück im Unglück. Wir atmen kurz auf, aber schon kreisen im Kopf die Gedanken, ob diese Kinder nun wohl allein im Leben stehen.
Tausende Tote, ein Vielfaches an Verletzten, Trümmerlandschaften in Städten, winterliche Kälte – die Tragik und das Drama lassen einen immer wieder hinsehen. Die Aufnahmen üben eine still anklagende Sogwirkung aus.

Die Bilder und die Nachrichten haben hierzulande aber auch eine enorme Spendenbereitschaft ausgelöst. Dass es diese Zusammenhänge zwischen Bildern aus Krisengebieten und der Hilfsbereitschaft gibt, ist erwiesen. In Berlin sind mittlerweile an so vielen Orten der Stadt Sammelstellen für Kleidung und andere Hilfsgüter entstanden, dass man sie kaum noch zählen kann.
Das erscheint logisch in einer Stadt wie Berlin, wo schätzungsweise 400.000 Menschen mit türkischen Wurzeln und knapp 40.000 Syrer leben. Denn diese Gemeinschaften sind gut organisiert. Eine große Zahl von Vereinen und Initiativen bis hin zu Moscheegemeinden kümmert sich auch zu anderen Zeiten um soziale Belange. Jetzt in der Krise funktioniert diese Räderwerk hervorragend. Es hapert dann eher an den Schnittstellen, wo man große Logistik braucht, um etwa die Güter dann auch weiter ins Krisengebiet zu schicken.

Aber auch hier sind in diesen Tagen kleine Geschichten über schnelles und unkompliziertes Handeln zu erzählen. Wie etwa eine vom Flughafen BER. Dort werden jetzt Spenden in einer Halle gesammelt. Die Spenden kommen aus dem ganzen Stadtgebiet.
Wie man hört, war der türkische Generalkonsul in der Halle. Er habe sich umgeschaut, erzählen Menschen, die dabei waren, sei dann kurz beiseitegetreten, um zu telefonieren. Und schon konnten die Lastwagen rollen.
Auch solche Geschichten sollten erzählt werden. Andernfalls bleibt man stecken in der Trauer, die einen erfasst, wenn man am Bildschirm sitzen bleibt und immer weiter nur auf die Bilder starrt. Menschen, die helfen, machen anderen Menschen Mut. Das ist eine Erkenntnis, die sich nicht nur aus dem aktuellen Erdbeben heraus destillieren lässt. Das gilt auch zu anderen Zeiten.