Berlin-Wahl: Wird jetzt die Avocado zur Lieblingsfrucht der Hauptstadt?
Warum Schwarz-Grün plötzlich als frisches Fortschrittsbündnis für Berlin dasteht. Ein Kommentar.

Kai Wegner arbeitet. Der Wahlgewinner von der Berliner CDU arbeitet dafür, dass er seinen deutlichen Sieg auch versilbert bekommt. Er will nicht als König ohne Land, als der „einsame Kai“ dastehen, der sich totsiegt. Der zwar mit zehn Prozentpunkten Vorsprung vor allen anderen gewählt wird, aber keine Regierung bilden kann, weil niemand mit ihm koalieren, also regieren will.
Zum Auftakt der Sondierungsgespräche am Freitag lud er sich nacheinander die SPD und die Grünen ein. Wegner will ausloten, ob die beiden anderen partout weiter auf R2G setzen und damit vielleicht noch schwereren Zeiten entgegengehen als bisher. Oder ob sich einer auf ein Bündnis mit der CDU einlassen könnte. Und zu welchem Preis.
Die Frage nach dem Preis treibt auch die anderen um, die SPD etwa. Was ist teurer? Ein Weiter-so mit einer nach zwei verlustreichen Wahlen extrem geschwächten Franziska Giffey und aufstrebenden Grünen, die mehr vom rot-grün-roten Kuchen abhaben wollen? Vielleicht ohne Giffey? Eine Juniorpartnerschaft unter der CDU, die man seit der letzten großen Koalition Anfang der 10er-Jahre leidenschaftlich bekämpft? Oder der Gang in die Opposition?
Tatsächlich ist die Berliner SPD maximal alarmiert. Das liegt auch daran, dass für Giffey keine Nachfolge in Sicht ist. Außerdem kennen alle in der Partei Franz Münteferings Wort von der Opposition, die Mist sei. Doch das Diktum stammt aus einer anderen Zeit, und „Münte“ hatte mit Berlin nichts am Hut. Viele erinnern sich an die No-Groko-Kampagne, die die Partei fast zerrissen hatte. Das könnte wieder drohen.
Bliebe Schwarz-Grün. Nun ist der Unterschied zwischen beiden in Berlin besonders groß, vor allem historisch-kulturell begründet. Gerade die starken Kreuzberger Grünen gelten als besonders links. Doch es gibt auch Gemeinsamkeiten wie die tiefe Abneigung gegen die SPD, die sich nach Jahrzehnten unterunterbrochen im Senat die Stadt zur Beute gemacht habe. Für beide Parteien würde sich eine neue Machtoption eröffnen.
Plötzlich könnte Schwarz-Grün als frische Variante durchgehen. Kai Wegner sagt, es könne viel dafür sprechen, es auszuprobieren. Ein Blick auf die Wahlkarte tut ein Übriges. Berlin zeigt sich in der Innenstadt – also das Fruchtfleisch – grün, in den Außenbezirken – also der Schale – schwarz. Wie eine Avocado, sagen manche.
Vorbilder gibt es. Zum Beispiel Baden-Württemberg: Seit einem Dutzend Jahren regieren Schwarze und Grüne – besser: Grüne und Schwarze – in Stuttgart. Und das so geräuscharm, dass außerhalb des Ländles niemand etwas von irgendwelchen Zerwürfnissen hört.
Zum Beispiel Hessen: Seit neun Jahren machen in Wiesbaden Schwarze gemeinsame Sache mit Grünen. Und das in einem Bundesland, dessen CDU immer schon ein gewisser Rechtsdrall attestiert wurde. Schlag's nach bei Alfred Dregger, Walter Wallmann, dessen Staatskanzleichef Alexander Gauland, Roland Koch und so weiter und so fort.
Zum Beispiel Nordrhein-Westfalen, immerhin Münteferings Heimatland: Vorigen Sommer taten sich dort Schwarze und Grüne zusammen. Avocado-Koalition hieß das. Dabei gibt es noch Menschen zwischen Rhein und Weser, die sich an den Junge-Union-Chef Hendrik Wüst erinnern, der verbal – sorry dafür! – wüst auf alles einschlug, was irgendwie öko daherkam. Jetzt ist er Ministerpräsident. Seine Vize Mona Neubaur hatte im Januar ein paar schwere Tage, als es Ärger um Lützerath im rheinischen Braunkohlerevier gab, das mit Zustimmung der Grünen abgebaggert werden soll. Inzwischen hört man außerhalb Düsseldorfs nichts mehr von Neubaur und kaum noch was von Lützerath. Was für die Landesregierung im Allgemeinen und die Grünen im Besonderen sicher beruhigend ist.
Vielleicht noch ein Gedanke zum gegenseitigen Beschimpfen im Wahlkampf – und die Vermutung, dass die dabei möglicherweise entstandenen Verletzungen ein späteres Zusammengehen unmöglich machten. Mehr Eventualitäten passen nicht in einen Satz. Berlin-Sieger Kai Wegner sagt es im Interview mit der Berliner Zeitung so: „Der Wahlkampf ging bis zum 12. Februar. Jetzt ist der Wahlkampf vorbei.“
Und auch dazu sei noch einmal der Blick nach Hessen gestattet: Einst sprach die dortige CDU dem Grünen-Spitzenkandidaten Tarik Al-Wazir alleine wegen seines Namens ab, Politik für Hessen machen zu können. Doch selbst derart blanker Rassismus änderte nichts daran, dass der in Offenbach am Main geborene Al-Wazir seit 2014 stellvertretender Ministerpräsident unter CDU-Regierungschefs ist.