Kommentar zu den CSU-Forderungen: Nicht die Gesetze haben versagt
Berlin - „Mit Brille wär das nicht passiert.“ So lautete einst ein Werbespruch der deutschen Optiker, er könnte auch das Motto der Debatte über Konsequenzen des Terroranschlags auf einen Berliner Weihnachtsmarkt sein. Denn würden sich die CSU-Politiker, die jetzt eine Verschärfung diverser Gesetze verlangen – unter anderem eine verschärfte Abschiebepraxis und Ausweitung der Befugnisse für Polizei und Verfassungsschutz –, eine Lesebrille aufsetzen und die Gesetze studieren, dann wüssten sie: Der abgelehnte Asylbewerber Anis Amri konnte nur zum Terroristen werden, weil die zuständigen Behörden geltendes Recht nicht angewendet haben.
Amri war ausreisepflichtig, hatte aber eine Duldung, weil die zur Abschiebung notwendigen Papiere nicht vorlagen. Die Behörden, denen Amri als Gefährder bekannt war und die auch wussten, dass er sich Waffen beschaffen wollte, hätten eine Aufenthaltsbeschränkung und Meldepflichten anordnen und Amri bei Verstößen in Untersuchungshaft nehmen können. Nichts davon ist geschehen. Ob den Verantwortlichen das Problembewusstsein fehlte oder den Behörden das erforderliche Personal, ist eine interessante Frage.
Behörden, nicht Gesetze haben versagt
Klar ist jedenfalls: Nicht die Gesetze haben versagt, sondern ganz offenkundig die Behörden. Die jetzt bekanntgewordene Beschlussvorlage der CSU, die die Verantwortung den vermeintlich unzureichenden Gesetzen zuschiebt, ist ein Ablenkungsmanöver. Sie lenkt ab von der Verantwortung der Ausländer- und Strafverfolgungsbehörden, die dem „Gefährder“ Amri freies Geleit zum Tatort gewährten.
Der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer beteuert, Populismus dürfe kein Politikersatz sein: „Populismus als bevorzugtes Politikelement lehne ich ab.“ Das ist nicht nur neu, das ist vor allem unaufrichtig. Die sicherheitspolitischen Vorstöße der CSU gehen fast alle – natürlich nicht die Forderung eines intensiveren Datenaustauschs zwischen EU-Staaten – an der Sache vorbei; sie zielen weniger auf eine Erhöhung der Sicherheit, vielmehr auf die Beschwichtigung des Publikums durch das Versprechen erhöhter Sicherheit.
Noch so starke Überwachung hätte das Attentat nicht verhindert
Das ist nicht nur populistisch, sondern angesichts der Untätigkeit der Behörden im Fall Anis Amri bewusste Irreführung. Die jetzt erhobene Forderung der Verschärfung des Abschieberechts übersieht souverän die Verschärfung des Abschieberechts in jüngster Zeit: Schon heute kann die Abschiebehaft bis zu sechs Monaten dauern, in Ausnahmefällen – wenn der Betroffene seine Ausreise verhindert – sogar bis zu einem Jahr. Auch eine weitere Verschärfung würde den Schutz vor „Gefährdern“ kaum erhöhen, wenn die Behörden nicht willens oder nicht in der Lage sind, die Abschiebehaft gerichtlich durchzusetzen.
Was hat die Ausweitung der Videoüberwachung – wie sie nicht nur von der CSU, sondern auch vom Städte- und Gemeindebund gefordert wird – mit dem Berliner Terroranschlag zu tun? Selbst flächendeckende Videoüberwachung hätte das Attentat auf dem Weihnachtsmarkt nicht verhindern können. Zwar wünschen rund 60 Prozent der Deutschen eine verstärkte Videoüberwachung öffentlicher Räume, doch sind die Erwartungen, die sie damit verbinden, überzogen. Natürlich ist es sinnvoll, die Überwachung an besonders gefährdeten Plätzen – und dazu zählen auch Weihnachtsmärkte in Großstädten – zu intensivieren, aber die erforderliche Beobachtung der Monitore verlangt viel Personal und kostet noch mehr Geld.
Kein Preis für die Sicherheit ist zu hoch
Für die Sicherheit ist deutschen Innenpolitikern zwar kein Preis zu hoch, aber die Erfahrung zeigt: Geld darf sie nicht kosten. Was die Videoüberwachung zur Terrorbekämpfung betrifft, hat der ehemalige Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar im Übrigen soeben zu bedenken gegeben, dass die Aussicht, für die Nachwelt im Bild festgehalten zu werden, für Selbstmordattentäter eventuell nicht nur nichts Abschreckendes hat, sondern durchaus attraktiv sein kann: „Man spielt ihnen also in gewisser Weise in die Hände.“
Populistisch sei, so hat es Seehofer formuliert, alles zu problematisieren, aber keine Lösungen anzubieten. In diesem Sinne ist die Debatte zur Verschärfung des Abschiebungsrechts und der Ausweitung der Videoüberwachung hoffnungslos populistisch. Was die Abschiebungshaft betrifft, so ist nicht ihre unzureichende gesetzliche Regelung das Problem, sondern der mangelnde Einsatz dieses Instruments. Und was die Videoüberwachung angeht, so mag sie hier und da zur besseren Kriminalitätsbekämpfung hilfreich sein, mit Terrorabwehr aber hat sie nichts zu tun.