Kommentar zu Youtuber: Rezo hat die CDU voll erwischt

Berlin - Egal, wie man das Video abschließend bewertet, eines ist klar: Rezo hat die CDU voll erwischt – und damit den kompletten Politikbetrieb. Seine Tirade gegen die Christlich-Demokratische Union wurde nicht nur millionenfach geklickt. Ihre Botschaft hat es von der Online- in die Offline-Welt geschafft.

Und egal, wie substanziell man findet, was der 26-Jährige sein Publikum wissen lässt, auch das ist klar: Die CDU hat dagegen kein Mittel, jedenfalls keines, das schnell wirkt. Sie blamiert sich. Sie kann gar nicht anders. Was sagt uns das?

Resoz Video ist Beleg für immer populistischeren Diskurs

Auffallend ist, dass jetzt dreimal vergleichsweise junge Menschen die politische Agenda bestimmt haben und es weiter tun: die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg, 16, Juso-Chef Kevin Kühnert, 29, und nun Rezo, 26. Es geht ihnen, worum es jungen Menschen meist geht: um eine bessere Welt.

Alle drei treffen einen Nerv, indem sie uralte Themen neu in den Fokus alternder Gesellschaften rücken: Umwelt- und Gerechtigkeitsfragen. Die alternden Gesellschaften wehren sich dagegen. Die Angriffe vor allem auf Thunberg zeigen das. Dabei haben die Jungen jedes Recht auf Verteidigung. Es geht um ihre Zukunft.

Rezos Traum von der „Zerstörung“ der CDU und dessen enorme Resonanz sind freilich ebenso ein weiterer krasser Beleg für eine Entwicklung, die eine Gefahr birgt: eine immer gnadenlosere Tendenz hin zu einem immer populistischeren politischen Diskurs – forciert vom Netz.

Rezo hat in vielem auch Unrecht

Denn so recht der Youtuber mit vielem hat, er hat eben zugleich mit vielem Unrecht. Seine Treffer gleichen denen eines Jägers, der mit einer Schrotflinte auf ein Ziel anlegt – und dabei zwar das Ziel trifft, aber auch Kollateralschäden anrichtet.

Schließlich haben wir ein politisches System, das auf einen sachlichen politischen Diskurs angewiesen ist und Zeit braucht zur Debatte und Entscheidungsfindung. Die Entscheidungen fallen in einer parlamentarischen Demokratie mit ihren Checks und Balances ohnehin selten so aus, dass alle Hurra schreien. Letzteres ist in einer pluralistischen Gesellschaft gar nicht vorstellbar.

Daneben erleben wir öffentliche Debatten, die mehr und mehr vom Rand angetrieben werden – zuletzt vor allem vom rechten Rand, neuerdings aber auch vom linken Rand. Deren Urheber leben wie Tübingens grüner Oberbürgermeister Boris Palmer oder Rezo von Provokation, Zuspitzung und Krawall. Wer Krawall macht, wird gehört. Und wer den größten Krawall macht, sitzt montagabends bei „Hart aber fair“. Ja, in Deutschland bekommen mittlerweile zu viele Leute Aufmerksamkeit, die es nicht verdienen.

CDU spiegelt die Ängste und Unbeweglichkeiten der Gesellschaft wider

Dieser Mechanismus verselbstständigt sich, sodass wir auf der unteren Ebene eine als langweilig empfundene politische Praxis mit wachsenden Legitimationsproblemen sehen – von Akteuren, die auf die Erwartungen ihrer Wähler genauso Rücksicht nehmen müssen wie auf Sachzwänge.

Ein radikales klimapolitisches Umsteuern, wie es von Thunberg oder Rezo reklamiert wird, hätte eben auch radikale Konsequenzen – für die Kohlereviere in Ost und West oder die Automobilindustrie. Es ist ja kein Zufall, dass es dazu nicht kommt. Die CDU spiegelt die Ängste und Unbeweglichkeiten der Gesellschaft wider.

Eine oder zwei Etagen darüber sehen wir täglich neue, schnelle und wüste öffentliche Auseinandersetzungen mit Ansprüchen, die weder Politik noch klassische Medien erfüllen können. Die von Kühnert ausgelöste „Kollektivierungs“-Debatte demonstriert das beispielhaft. Sie stellt nämlich in den Schatten, was die SPD auf dem Feld des sozialen Ausgleichs tatsächlich leistet.

Demokratische Politik kann nicht spektakulär sein

Und sie verkennt, welch große Probleme es schon gäbe, die Vermögensteuer wieder einzuführen oder die Erbschaftsteuer anzuheben – von „Kollektivierungen“ ganz zu schweigen. Kurzum: Im Netz ist das Spektakuläre gefragt. Doch demokratische Politik kann nicht spektakulär sein. Wer diesen Anspruch hegt, macht sie kaputt. Dem Populismus ist der Anspruch immanent.

So gilt für Rezo, was für viele gilt, auf die heute das Licht der digitalen Aufmerksamkeit fällt: „Knapp vorbei ist auch daneben.“ Nur, wer heute knapp daneben schießt, landet eben nicht selten einen Volltreffer. Immer mehr Menschen dürften dies als Anleitung zur Nachahmung betrachten. (rnd)