Kommentar zum ARD-Interview: Der groteske Auftritt des Recep Tayyip Erdogan

Berlin - Die ARD war im türkischen Präsidentenpalast zu Gast. Und was kam beim Exklusivinterview mit Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan raus? Häme geistert jetzt durch das Netz über das am Montagabend gesendete Interview. Sigmund Gottlieb, Chefredakteur des Bayerischen Rundfunks, interviewte den türkischen Präsidenten. Stellenweise wirkte das wie ein Eiertanz.

35 Minuten sind eine kurze Zeit, um ein Interview mit einem Mann zu führen, der gerade einen Putschversuch überstand, der Europa dank der Flüchtlingskrise ein wenig in Geiselhaft zu haben scheint und der dabei ist,  sein Land zu einem autoritären Staat umzubauen.

ARD vermeidet Konfrontation

Für den Journalisten ist jedes Interview mit einem Despoten – oder einem Präsidenten, der sich so verhält – heikel. Wie entlarvt er ihn? Setzt der Interviewer auf die volle Konfrontation, kann das schnell in der Verweigerungshaltung des Gegenübers enden. Dann wird nur noch Sendezeit abgespult. Nimmt sich der Journalist etwas zurück, gelingt es ihm im schönsten und wünschenswertesten Fall, dass sich der Interviewpartner selbst entlarvt und die Maske fällt. Geht der Versuch aber schief, hat ein Despot eine Plattform erhalten, die er nicht verdient – und der Journalist ist vorgeführt. Läuft es mittelmäßig, erhält der Zuschauer trotz gegenteiliger Meinung zumindest einen Ahnung, warum der Mensch so handelt wie er handelt.

Die ARD ist nicht auf volle Konfrontation gegangen. Zwar fehlen die harten Fragen nicht. Sigmund Gottlieb hat sie durchaus gestellt. Aber meist so freundlich, zurückhaltend und höflich, dass man das Gefühl hatte, die Kritik komme in Watte gepackt daher. Nachbohrende Fragen fehlen teils. Erdogan darf im Interview vieles behaupten. Er sieht in der Entlassung von Tausenden von Lehrern kein Problem für die türkische Bildungslandschaft. Er sieht sein Land wirtschaftlich weiterhin auf Kurs. Er lässt verlauten, sich an den Rechtsstaat zu halten. An diesen Stellen wird das Interview zur Märchenstunde. Manchmal widerspricht Gottlieb. Am vehementesten dann, wenn Erdogan die ARD selbst angreift.

Todesstrafe als Volkswille

Streckenweise aber gelingt das Interview ganz gut. Erdogans kritisiert die EU bezüglich der Flüchtlingskrise. Das hat Nachrichtenwert. Und Erdogan entlarvt sich vor allem selbst, wenn seine Antworten schlicht nur noch grotesk wirken.  Wer glaubt ihm, dass er bei der Wiedereinführung der Todesstrafe nur dem Volkswillen folgen will? Wer ist nicht peinlich berührt, wenn er Kritik als Desinformation abtut? 

Grotesker Höhepunkt des Gesprächs ist der Moment, in dem Erdogan sagt: „Ich bin kein König. Ich bin nur ein Staatspräsident.“ Allerdings hätten ein paar weitere harte Fragen zu den autoritären Tendenzen dem Gespräch nicht geschadet. Der Zuschauer muss selbst ein gutes Maß an Einordnungsvermögen mitbringen, um Erdogans Behauptungen zu entlarven. Und streckenweise viel Geduld, um sich dessen Schönfärberei anzuhören.