Kommentar zum Diesel-Urteil: Bürgermeister müssen endlich in die Gänge kommen
Berlin - Das Bundesverwaltungsgericht hat eine kluge Entscheidung getroffen. Fahrverbote in Städten sind grundsätzlich zulässig. Aber die Verhältnismäßigkeit muss gewahrt bleiben. Es liegt also an den Kommunen, die richtigen Werkzeuge zu finden, um die Schadstoffbelastung zu senken. Die Bürgermeister müssen jetzt endlich in die Gänge kommen. Immerhin wird seit mindestens anderthalb Jahrzehnten darüber diskutiert, dass die Luft in den Metropolen sauberer werden muss.
Doch ein Oligopol der Ignoranz hat jahrelang selbst kleine Schritte verhindert. Die Autobranche und ihre Lobbyisten machten gemeinsame Sache mit der Politik, auch mit Kommunalpolitikern. Wer vor der Aufdeckung des Dieselskandals bei den Spitzenverbänden der Kommunen nach Maßnahmen gegen überhöhte Werte beim giftigen Stickoxid (NOX) fragte, bekam zur Antwort, dass man erstens kein Geld habe und dass man zweitens nicht zuständig sei. Zugleich wurden hinter vorgehaltener Hand vielfach die EU-Vorgaben als Wichtigtuerei von Technokraten mit vermeintlich fragwürdigen Grenzwerten denunziert.
Dabei leistet Brüssel in diesem Fall ohne Rücksichtnahme auf Industrieinteressen mit den maximal erlaubten 40 Mikrogramm NOX pro Kubikmeter Luft im Jahresdurchschnitt einen wichtigen Beitrag zum Gesundheitsschutz, der in Übereinstimmung mit den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation steht. In der deutschen Politik und bei den Autobauern wurde indes darauf gesetzt, dass sich der Skandal mit der massen- und dauerhaften Überschreitung der Grenzwerte irgendwie versendet.
Dass auch Verantwortliche in Rathäusern sich blind und taub stellten, hat damit zu tun, dass sauberere Stadtluft notwendigerweise unangenehme Debatten nach sich zieht, etwa mit Einzelhändlern, die nach wie vor dem längst widerlegten Dogma anhängen, dass die Geschäfte nur laufen, wenn der Kunde möglichst direkt vor dem Laden parken kann.
Zynisch an der Haltung des Nichtstuns ist, dass die Folgen der überhöhten Stickoxidwerte komplett ausgeblendet wurden: Durch das Reizgas sterben hierzulande jährlich mindestens 6000 Menschen vorzeitig, es verursacht Atemwegs- und Herz-Kreislauferkrankungen.
Gesundheitliche Gefährdungen müssen ernst genommen werden
Doch das Kartell hat seine Rechnung ohne die Deutsche Umwelthilfe und andere Umweltschutzorganisationen gemacht, die gesundheitlichen Gefährdungen ernst nehmen und darauf insistieren, dass in den Luftreinhalteplänen der Städte nicht nur „allgemeines Blabla“, so eine Münchner Verwaltungsrichterin, steht, sondern wirksame Schritte zur Reduzierung der Schadstoffbelastung benannt werden. Und dazu können Fahrverbote als „effektivste Maßnahme“ zählen, so das Stuttgarter Verwaltungsgericht. Das Bundesverwaltungsgericht hat dies nun bestätigt.
Wird jetzt alles gut? Leider nicht. Die Städte können künftig mit allerlei Tricks überhöhte NOX-Werte unter den Grenzwert drücken. Da kann etwa schon eine zeitweise Geschwindigkeitsbeschränkung auf Tempo 30 auf einer vielbefahrenen Straße genügen, die in unmittelbarer Nähe einer Messstelle steht. In vielen Städten lassen sich Fahrverbote einigermaßen bequem umgehen.
Härtefälle werden nicht zu verhindern sein
Einige Härtefälle mit Verkehrsbeschränkungen für Dieselautos auf extrem belasteten Straßen werden zwar nicht zu verhindern sein. Doch es stellt sich die Frage, wie ernst es Polizei und Ordnungsämter dann mit dem Ahnden von Verstößen nehmen. Und wer befürchtet, erwischt zu werden, kann immer noch um die Straßenzüge mit den Fahrverboten einen größeren Bogen machen. Auch dies kann die NOX-Werte an den Messstellen deutlich verringern. Allerdings besteht die Gefahr, dass Schadstoffbelastungen lediglich verlagert, aber nicht beseitigt werden.
Das eng eingegrenzte Sperren von bestimmten Straßen reicht nicht. Die Kommunen müssen einen großen und entscheidenden Schritt weitergehen und Umweltzonen ausweisen, die für komplette Innenstädte oder noch große Areale des urbanen Raumes gelten. Dafür wird eine blaue Plakette nötig, die von der neuen Bundesregierung eingeführt werden muss. Sie sollte dafür sorgen, dass nur noch wirklich saubere Pkw in die Citys dürfen.
Urbanisierung wird sich in den nächsten Jahren massiv verstärken
Noch viel wichtiger ist aber langfristig, dass wir die blaue Plakette brauchen, weil sie mit ihren massiven Eingriffen der Auslöser sein muss, um endlich die seit vielen Jahren verdrängte Debatte über die Zukunft des Individualverkehrs in unseren Städten zu führen. Das ist dringend nötig, denn die Urbanisierung wird sich in den nächsten Jahren massiv verstärken.
Doch zugleich wächst das Rettende. Wir stehen an der Schwelle zu einer grundlegend neuen Mobilität. Sie kann die Zahl der Automobile in den Innenstädten mit intelligenten Carsharing-Konzepten sowie Lärm und Schadstoffbelastungen durch Elektromobilität massiv reduzieren. Wir können den Rad- und Fußgängerverkehr attraktiver machen und die Lebensqualität in den Städten deutlich erhöhen. Richtig ist aber auch, dass dies Bürgermeister alleine nicht schaffen können. Eine konzertierte Aktion – das wäre ein prima Projekt für den neuen Verkehrsminister, er muss sich nur trauen.