Kommentar zum Élysée-Vertrag: Deutsch-französische Partnerschaft ist ein Geschenk

Im Internet kann man sich die Filmaufnahmen von damals ansehen: 22. Januar 1963, im Pariser Élysée-Palast unterzeichnen Präsident Charles de Gaulle und Kanzler Konrad Adenauer ein Dokument, das in die Geschichte eingehen wird. Deutschland und Frankreich, die einstigen Erbfeinde, verpflichten sich darin zu einer engen Zusammenarbeit. De Gaulle sagt, dass man die Tore weit aufstoße in eine neue Zukunft – für Deutschland, Frankreich, Europa und die Welt. Adenauer sagt, dass er dem nichts hinzuzufügen habe. Dann umarmen sich die beiden alten Männer.

Die Innigkeit hält fünf Monate. Denn bei der Ratifizierung des Vertrags erklärt der Bundestag in Bonn, dass das Abkommen einer „engen Partnerschaft zwischen Europa und den Vereinigten Staaten von Amerika“ sowie der Einigung Europas „unter Einbeziehung Großbritanniens“ nicht im Wege stehen dürfe. De Gaulle kocht vor Wut: Er wollte eigentlich eine politische Union gründen, um die damalige EWG-Kommission zu entmachten und ein kontinentaleuropäisches Gegengewicht zu den USA sowie zur Sowjetunion zu schaffen. Unter französischer Führung. Italien und die Benelux-Staaten hatten dem schon vorher eine Absage erteilt. Jetzt gehen aus Sicht des Generals auch noch die Deutschen von der Fahne. Adenauer ist beschädigt: Er hegt stille Zweifel an der Verlässlichkeit der USA und will ein zweites Sicherheitsnetz für die Bundesrepublik knüpfen. Nun muss er sich heimischen Abgeordneten fügen.

Élysée-Vertrag entfaltet weiterhin immense Wirkung

Die Akteure von damals leben längst nicht mehr. Der Kalte Krieg und die Sowjetunion sind Geschichte, Deutschland ist wiedervereinigt. Die EU hat 28 Mitglieder, Großbritannien eingerechnet. Auch in Paris hat man sich längst mit dem supranationalen Charakter der EU und der amerikanischen Präsenz in Europa angefreundet.

Den Élysée-Vertrag aber gibt es immer noch. Und er entfaltet weiterhin eine immense Wirkung, wenn auch nicht im ursprünglich beabsichtigten Sinne. Der Vertrag hat aus zwei verschiedenartigen Ländern engste Partner gemacht. Deutschland und Frankreich sind so etwas wie das Yin und Yang der Europapolitik: Entgegengesetzt, aber aufeinander bezogen. Sie können nur noch miteinander sein. Ohne den Élysée-Vertrag und das deutsch-französische Paar gäbe es die EU in ihrer heutigen Form nicht. Ohne die Verständigung mit Frankreich gäbe es keine deutsche Einheit.

Pflegen wir diese Beziehung

Am Montag kommen der Bundestag und die französische Nationalversammlung zu Sondersitzungen zusammen, um den Jahrestag der Vertragsunterzeichnung zu feiern. Die Volksvertreter wollen hier wie dort die Regierungen auffordern, einen neuen Élysée-Vertrag zu erarbeiten. Die Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich sollen enger und für die Bürger erlebbarer werden. Die Idee stammt von Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron. Weil in Deutschland die Regierungsbildung stockt, haben Abgeordnete aus beiden Ländern die Initiative ergriffen. Kanzlerin Angela Merkel unterstützt das Projekt.

Die deutsch-französische Partnerschaft ist eine Beziehung, die auf Sympathien und Wertschätzung fußt und auch deshalb stark ist, weil sie niemanden ausschließt. Es geht um einen Interessenausgleich, von dem ganz Europa profitiert. Die Sicht auf die Welt ist nun einmal nicht gleich in beiden Ländern. Man kann das an der Diskussion über die Eurozone beobachten: Die einen reden am liebsten von Haushaltsdisziplin, die anderen von Investitionen. Wenn sich beide Seiten auf eine Position verständigt haben, ist in der Regel der Weg vorgezeichnet, den alle anderen mitgehen können.

Hegen und pflegen wir diese Beziehung. Sie ist ein Geschenk der Geschichte. Im Grunde geht es heute um dieselben Dinge wie vor 55 Jahren: um Frieden und Wohlstand in Europa und die Selbstbehauptung eines Kontinents.