Kommentar zur EU: Ursula von der Leyen steht vor einer Mammutaufgabe

Es war verdammt knapp. Mit gerade neun Stimmen Vorsprung ist Ursula von der Leyen am Dienstagabend vom Europäischen Parlament zur neuen Kommissionspräsidentin gewählt worden. Sie hat es wahrscheinlich nur deshalb geschafft, weil sie mit einer emotionalen und viel gelobten Rede am Morgen viele Kritiker auf ihre Seite gebracht hat. In Europa enden damit nach der Wahl im Mai acht komplizierte Wochen, in denen mehrere Personalvorschläge scheiterten. Unabhängig davon, wie man zu von der Leyen inhaltlich steht. Dass dieser Prozess nun halbwegs erfolgreich beendet ist, dass Europa in schwierigen Zeiten handlungsfähig bleibt, ist die wichtigste Nachricht dieses Tages.

Mit Ursula von der Leyen wird keiner der Spitzenkandidaten die neue Kommission anführen. Das ist bedauerlich. Das vor fünf Jahren von Martin Schulz und Jean-Claude Juncker erstmals angewandte Verfahren kann die europäische Demokratie stärken. Doch das Prinzip hatte in diesem Jahr nie eine echte Chance, weil mit Manfred Weber ein zu schwacher Kandidat die mutmaßlich stärkste Fraktion in die Wahl führte und weil es das Parlament selbst war, das sich nicht auf einen mehrheitsfähigen Kandidaten einigen konnte.

Der Europäische Rat nutze die Schwäche des Parlamentes

Diese Schwäche hat der Europäische Rat ausgenutzt und Ursula von der Leyen als Kompromisskandidatin präsentiert. Mit ihr wird nun erstmals eine Frau an der Spitze der Kommission stehen. Eine geborene Brüsselerin, sie spricht fließend englisch und französisch und hat als Verteidigungsministerin die Idee einer gemeinsamen Europäischen Verteidigungspolitik mit ausgearbeitet.

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Von der Leyen hat eine echte, europäische Identität, sie wird von den Staats- und Regierungschefs in Nord, Süd, Ost und West unterstützt. Dazu kommt mit Christine Lagarde eine weitere überragende Fachfrau an die Spitze einer europäischen Institution, der EZB. Europa hat das Spitzenkandidatenprinzip in diesem Jahr geschwächt – aber seine Führung wird in den nächsten Jahren womöglich so modern und stark sein, wie nie zuvor.

Kraftvolle Sätze, gewaltige Aufgaben

Es sind verdammt wichtige Jahre, die vor Europa liegen. Großbritannien wird wohl in wenigen Monaten aus der Union austreten, die Folgen sind nicht absehbar. Die USA fehlen dem Kontinent als verlässlicher Partner, im Osten wachsen mit Russland und China neue Unsicherheitsfaktoren heran. Und Europa selbst ist zerstrittener denn je. Sie wolle gerade dagegen kämpfen, sagte von der Leyen in ihrer Rede, die Spalter seien ihre Gegner. Es waren kraftvolle Sätze, die ihre große Aufgabe umschreiben.

Europa kann sich keine Zauderei erlauben. Grüne und SPD würden sich einen Gefallen tun, wenn sie ihre am Ende kaum noch begründbare Ablehnung für von der Leyen nun fallen lassen und sich wieder dem zuwenden, von dem sie so gerne reden: der Zukunft des Kontinents. Populisten können nur dann siegen, wenn die Mitte sich zerstreitet. Das ist eine wichtige Lektion dieser Tage.