Kommentar zur Intersexualität: Schluss mit dem Blau-Rosa-Denken!

Vergangene Nacht verbreitete sich die Nachricht: das schwedische Königshaus bekommt Nachwuchs, jede Minute kann es so weit sein. Die wartenden Journalisten beschäftigte vor allem eine Frage: Was wird es? Entsprechend durften in der ersten Eilmeldung mit der frohen Kunde zwar die harten Fakten wie Größe, Gewicht, Name usw. fehlen, aber eine Angabe nicht: das Geschlecht.

Ist es ein Mädchen oder ein Junge? Diese Frage treibt auch in Deutschland Behörden und Familien gleichermaßen um, und zwar von der ersten Sekunde an. Das Kind ist kaum gezeugt, da fangen die Omas schon an, hellblaue oder rosa Mützchen zu stricken, die Kinderzimmer werden wahlweise mit Bordüren in Lillifee- oder Bob der Baumeister-Design ausgeklebt. Ärzte versuchen - oft unter dem Druck der neugierigen, werdenden Eltern - bei jedem Ultraschall ein Zipfelchen Penis oder Schamlippe zu erhaschen, um schon im fünften Monat sagen zu können, welche Seiten im Buch der Vornamen man getrost überblättern kann.

Schon bei der Geburt eines Kindes ist deshalb der Druck enorm, dem kleinen Wesen eine eindeutiges Geschlecht zuzuweisen. Schließlich muss ein Häkchen in der Geburtsurkunde gemacht, ein Name bestimmt, die Verwandtschaft informiert, die Krippenanmeldung ausgefüllt werden und und und. An die Bedürfnisse des Kindes denkt in diesem Moment kaum jemand.

Wir brauchen Schubladen

Das ist verständlich. Wir Menschen brauchen Schubladen, um die Welt zu begreifen. Doch es bedeutet unerträgliches Leid für die Tausenden Kinder, die nicht als Junge oder Mädchen auf die Welt kommen. Deshalb müssen nicht nicht nur Politiker und Behörden endlich zur Kenntnis nehmen, dass es außer "männlich" und "weiblich" noch "anderes" gibt. Auch die Gesellschaft muss mit dem Tabu aufräumen, das keine geschlechtlichen Uneindeutigkeiten zulassen will.

Der Deutsche Ethikrat hat in seiner Stellungnahme gefordert, dass Betroffene, die oft durch qualvolle Operationen und Fehlinformationen ihrer Würde beraubt wurden, entschädigt und besser betreut werden. Er hat sich dafür eingesetzt, in Deutschland offiziell eine dritte Geschlechtskategorie einzuführen. Und er hat eine bessere Ausbildung für medizinisches Personal verlangt, um neues Leid durch frühe Vorfestlegungen zu verhindern.

Die Politik sollte diesen Empfehlungen schleunigst folgen. Damit wäre ein wichtiger Schritt für eine Öffnung der Gesellschaft getan. Ein wichtiger Schritt, um den Betroffenen das lebenslange Spießrutenlaufen zu ersparen, das ihre Intersexualität im heutigen Deutschland mit sich bringt.

Gehen Politik und Behörden mit gutem Beispiel voran, wird sich hoffentlich auch das Bewusstsein der Menschen im Alltag nach und nach ändern.

Schweden ist in diesem Prozess schon weiter. Dort erscheint dieser Tage das zweite geschlechtsneutrale Kinderbuch, statt den Pronomen "er" und "sie" wurde ein eigens erfundenes neutrales Wort benutzt.

Das schwedische Königshaus freut sich im Übrigen eindeutig über eine sie - zumindest, wenn man dem stolzen Vater glauben darf.