Kommentar zur Rente: Die Rente verkommt zum Wahlkampfthema

Berlin - Als Union und SPD Ende  2013 ihren Koalitionsvertrag aushandelten, diente ihnen die Rentenversicherung als Jackpot.  Die einen schmückten sich mit der Mütterrente, die anderen mit der Rente ab 63. Vergeblich warnten Sozialverbände, dass von den  Wohltaten vor allem jene profitieren würden, die noch relativ gut versorgt seien. Mehr als 160 Milliarden Euro wird das Gesetz  bis 2030 kosten. Weitere rentenpolitische Ambitionen zeigte die  Koalition nicht – bislang. Denn nun haben CSU-Chef Seehofer und SPD-Chef Gabriel plötzlich entdeckt, dass 2030 massenhafte Altersarmut droht. Riester sei gescheitert, erklärt Seehofer, und Gabriel will die Einschnitte im Rentenniveau stoppen. Binnen weniger Tage ist eine große Rentenreform auf Platz 1  der  schwarz-roten Agenda gerückt.

Seehofer braucht ein Profilierungsthema

Was ist passiert? Nichts, was mit der Sache zu tun hat. Die Senkung des  Rentenniveaus  von einst 53 auf etwa 43 Prozent ist politisch gewollt. Allerdings braucht Seehofer nach der Entspannung an der Flüchtlingsfront dringend ein Profilierungsthema. Gabriel greift nach jedem Strohhalm, um die taumelnde SPD über der 20-Prozent-Marke zu halten. Und in der Bevölkerung macht sich, geschürt durch falsche WDR-Meldungen, Angst um die  Sicherheit im Alter breit.

Das sind keine guten Voraussetzungen für eine seriöse Rentenreform, die mit einer nüchternen Analyse beginnen müsste: Nein, an der Alterung der Gesellschaft hat sich nichts geändert. Aber ja, wir haben ein Problem. Die rot-grünen Rentenreformer gingen davon aus, dass die Einschnitte im System durch verstärkte private  Vorsorge der Arbeitnehmer kompensiert würden. Das funktioniert ganz offensichtlich nicht.

Die Ursachen sind vielfältig: Die Riester-Rente ist zu teuer und intransparent, die Betriebsrente nur bei Großunternehmen verbreitet, die Renditen sind insgesamt mickrig und das Geld ist bei Geringverdienern knapp. Trotzdem, darauf hat  die OECD hingewiesen, wäre es falsch, die kapitalgedeckte Vorsorge einzustampfen. Das würde die Jüngeren mit Beiträgen von weit über 24 Prozent  belasten. 

Problemgruppen seit langem bekannt

Was also müsste passieren? Eigentlich ist es einfach. Bei der gesetzlichen Rente müsste sich die Regierung endlich um die kümmern, die tatsächlich von Altersarmut bedroht sind: Alleinerziehende, Solo-Selbstständige, Erwerbsunfähige und Langzeitarbeitslose. Die Problemgruppen sind seit langem bekannt, geschehen ist nichts.

Zugleich müsste die Riester- Vorsorge attraktiver werden. Ein kostengünstiger   Deutschlandfonds, wie ihn die schwarz-grüne Hessen-Koalition vorschlägt, wäre ein Anfang. In der Nullzinsphase sollte er stärker in Aktien investieren. Die Betriebsrente muss flexibler  werden. Die    doppelten Krankenkassenbeiträge im Alter gehören auf den Prüfstand. Um einen Anreiz zur  Vorsorge für Geringverdiener zu schaffen, sollten die  Erträge nicht voll mit der Grundsicherung verrechnet werden.

Das alles wären sinnvolle, zielgerichtete Ansätze. Doch Seehofer und Gabriel, so scheint es, wollen einen demonstrativen großen Wurf. In dieser Legislaturperiode ist das nicht mehr zu schaffen. Damit rückt die Rente – allen Unschuldsbeteuerungen zum Trotz – ins Zentrum des Bundestagswahlkampfs 2017. „Wir halten das Rentenniveau bei 50 Prozent!“, könnte der Slogan heißen. Über die Kosten von 50 Milliarden Euro würde man schweigen.

Für Parteistrategen mag dies verlockend klingen. Doch die Älteren erinnern sich an den letzten  Rentenwahlkampf 1998: Damals zog die SPD lautstark gegen den Blüm’schen Kürzungsfaktor zu Felde. Nach dem Wahlsieg  kam das böse Erwachen. Erst gab es zwei Jahre nur einen Inflationsausgleich, dann wurden der Riester- und der Nachhaltigkeitsfaktor eingeführt. Von dem Glaubwürdigkeitsverlust haben sich die Genossen bis heute nicht erholt.