Kommentar zur Steuerschätzung: Der Geldsegen ist vorbei
Zwar wachsen die Einnahmen weiter, aber weniger stark als gedacht. Schon das reißt Lücken in die Haushaltsplanungen, die stets auf der alten Prognose basieren.
Ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl sendet diese Steuerschätzung damit eine klare Botschaft an die Politik, ja sie formuliert einen Auftrag. Die Zeit des Ausruhens ist vorbei. In den vergangenen Jahren konnte die schwarz-gelbe Koalition ihr Glück kaum fassen, weil stets neue Milliardenbeträge in die Kassen strömten. Fast schien es, als kehrten die goldenen Tage des Wirtschaftswunders nach dem Zweiten Weltkrieg zurück. Das Wachstum stark, die Beschäftigungslage gut und ein glücklicher Bundesfinanzminister, der die Defizite abbaut und Überschüsse fest in den Blick nimmt.
Doch nachdem sich die deutsche Wirtschaft erstaunlich lange resistent gezeigt hat, bekommt sie die Euro-Krise mehr und mehr zu spüren. Das spiegelt sich in den Prognosen für das Steueraufkommen wider. Es wird wieder enger, auch hier zu Lande. In den nächsten Jahren braucht Deutschland wieder Wirtschafts- und Finanzpolitiker, die entscheiden und nicht nur zanken. Egal welche Koalition künftig in Deutschland regiert, sie muss den Bürgern wieder härtere Entscheidungen zumuten als dies in den vergangenen vier Jahren der Fall war. Entweder die Politik erhöht die Steuern, wie dies die drei Oppositionsparteien im Bundestag vorschlagen. Oder sie kommt nicht herum, weitere Ausgaben zu kürzen. Dafür stehen Union und FDP, auch wenn sie noch nicht verraten, wo genau sie den Rotstift ansetzen wollen.
Der Finanzbedarf des Staates jedenfalls bleibt enorm. Die Bürger wollen, nein sie verlangen eine bessere Kinderbetreuung, bei dem ein Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz nicht nur auf dem Papier steht. Deutschland braucht ordentliche Schulen, weil es sich bei kleiner werdenden Jahrgängen weniger denn je leisten kann, das Potenzial junger Leute brach liegen zu lassen. Die Wirtschaft ist, will sie bestehen auf den Weltmärkten, auf eine Topqualifikation der Schulabgänger angewiesen. Auch ist es mehr als ein schlechter Witz, wenn Firmen wochenlang ihre LKW auf Umwege schicken müssen, weil eine Rheinbrücke für sie gesperrt ist. Die öffentliche Infrastruktur ist nicht vereinbar mit dem Anspruch Deutschlands, das führende Industrieland Europas und der Welt zu sein. Gleichzeitig schränkt die Schuldenbremse den Spielraum zunehmend ein. Das wird gerade in den Bundesländern das dominierende Thema der nächsten Jahre werden.
Diese Steuerschätzung, die steigende Einnahmen voraussagt, darf die Politik nicht beruhigen. Tatsächlich zeigt sie einen enormen Handlungsbedarf an. Die Politik muss wieder ihrer eigentlichen Aufgabe gerecht werden, nämlich Prioritäten zu setzen. Alles auf einmal und dank eines satten Aufschwungs ohne Preis – das geht nicht mehr. Die Wähler können und müssen im Herbst entscheiden. Entweder Deutschland spart in den nächsten Jahren härter als bisher. Oder die Bürger zahlen höhere Steuern. Einen dritten Weg gibt es nicht – dies haben die Steuerschätzer klar gestellt.