Kommentar zur Vorschulpflicht: Frankreich setzt ein Signal an die deutsche Politik

Berlin - Pippi Langstrumpf, die fantastische Kinderbuch-Figur von Astrid Lindgren, verkörpert bis heute ein Idealbild von der Kindheit, das sich in vielen Köpfen wiederfindet. Es ist das Bild von der absoluten Freiheit. Während die Nachbarskinder Thomas und Annika zur Schule gehen müssen, spielt Pippi mit ihrem Äffchen Herrn Nilsson oder schlägt Purzelbäume.

Für den französischen Präsidenten Emmanuel Macron hätte Pippi Langstrumpf wahrscheinlich wenig übrig. Denn Macron hat gerade angekündigt, dass die Vorschule ab September für alle Drei- bis Fünfjährigen verpflichtend sein soll. Damit verlängert er die Schulpflicht um drei Jahre. Das sieht nach einem drastischen Schritt aus. Noch nie hat ein französischer Präsident die Schulpflicht so stark verlängert – einerseits. Andererseits bedeutet die Vorschulpflicht für die meisten keine wirkliche Veränderung. 97 Prozent der Kinder eines Jahrgangs im Land besuchen schon jetzt die Vorschule.

Überforderung nur, wenn man die Sache falsch angeht

Vor allem aber gilt: Es gibt sehr gute Argumente für die Vorschulpflicht. Die schönsten Pflichten sind die, die einem nichts ausmachen: Kleine Kinder sind neugierig und lernwillig. Sie entdecken die Welt wie kleine Forscher – und sie freuen sich, wenn sie dabei anregende Unterstützung erhalten.

Aber besteht nicht die Gefahr, schon Dreijährige zu überfordern? Ja, aber nur, wenn man die Sache grundlegend falsch angeht. Mit pädagogisch gut durchdachten Konzepten zum spielerischen Lernen lässt sich das Problem lösen.

Bildungsgerechtigkeit als entscheidendes Argument

Das entscheidende Argument für ein frühes, nach Möglichkeit verpflichtendes Angebot ist die Bildungsgerechtigkeit. Gerade wer aus schwierigen sozialen Verhältnissen kommt und zu Hause nicht optimal gefördert werden kann, profitiert.

Genau das ist ein Grund, warum auch Deutschland überlegen muss, wie es die frühkindliche Bildung verbessern kann: Nach dem katastrophalen Abschneiden bei der Pisa-Studie im Jahr 2001 hat sich Deutschland zwar bei internationalen Bildungsvergleichen wieder ins solide bis gute Mittelfeld vorgearbeitet. Doch noch immer ist der Bildungserfolg eng an den sozialen Hintergrund gekoppelt, viel stärker als in anderen Ländern. Das ist zutiefst ungerecht.

Je früher Sprachprobleme angegangen werden, desto besser

Extrem wichtig ist eine gute Förderung insbesondere für diejenigen, bei denen zu Hause gar kein Deutsch gesprochen wird. Das Risiko von jungen Menschen mit Migrationshintergrund das deutsche Bildungssystem am Ende mit sehr schlechten Fähigkeiten zu verlassen, liegt zweieinhalb Mal so hoch wie im Rest der Bevölkerung. Je früher mögliche Sprachprobleme angegangen werden, desto besser – auch im Sinne der Integration.

Sollte Deutschland also den Franzosen nacheifern und auch die Vorschulpflicht einführen? Ja, in der Sache wäre das nur logisch. Nur sind einem föderalen System wie dem unseren solche Entscheidungen leider viel schwieriger durchzusetzen. Bildungssysteme sind stark von kulturellen Traditionen geprägt. In Deutschland würden sich wohl viele Eltern gegen eine Vorschulpflicht stemmen – im ehrlichen Glauben, auf diese Weise am besten eine unbeschwerte Kindheit zu schützen. Eine Vorschulpflicht ist in diesem Land deshalb nicht mehr als eine Utopie.

Wir müssen auch in die Qualität investieren

Das darf aber keine Ausrede sein, gar nichts zu tun. Auch in Kitas lässt sich Bildungsarbeit betreiben – und das wird sie ja teils auch schon. Doch oft mangelt es am Personal. Die große Koalition hat verabredet, Geld für das Ziel der Gebührenfreiheit zu mobilisieren. Das ist gut, reicht aber nicht aus. Wir müssen auch in die Qualität investieren, nicht zuletzt in eine gute Ausbildung und Bezahlung der Erzieher. Wäre es nicht schlau, wenn der Lehrer von der benachbarten Grundschule stundenweise in der Kita vorbeischauen würde?

Macrons Schritt ist ein Signal an die deutsche Politik, mehr für die frühkindliche Bildung zu tun.