Konstantin Wecker: "Die Melodien habe ich mir nicht verdient"
Es regnet, es stürmt, Konstantin Wecker steigt ohne Hut und Schirm aus dem Auto, da nehmen wir doch das nächst gelegene Restaurant, oder? Ja, ein Steakhaus. Im Laufen erkundigt er sich nach der Alternative. Das Luxemburg. Luxemburg? Wie die Frau und nicht wie das Land? – Ja, gewiss, am Rosa-Luxemburg-Platz. Der Mann dreht auf dem Absatz um: „Dahin schaffen wir es dann auch. Rosa Luxemburg gehört zu meinen rebellischen Freunden.“
Konstantin Wecker ist guter Dinge, plaudert launig, eloquent wie auf der Bühne, nur nicht so dampfend. Bald geht er zu einer Art bayerischem Du über, nur als wir über die Gema streiten, wird Herr Wecker kurz laut. Ansonsten geht es zu wie auf seinem aktuellen Album „Wut und Zärtlichkeit“ – charmig, harmonisch, revolutionär. Wecker klingt wie seit 40 Jahren, hat herrlich wuchtige Pophymnen, tränentreibende Balladen versammelt, manche bleibende Melodie und einige entbehrliche Couplets.
Herr Wecker, meine Tochter liebt „Anniks göttliche Kuchen“, das Backbuch Ihrer Frau. Wie halten Sie Ihr Gewicht mit so einer Bäckerin im Haus?
Ach, ich bin ja kaum daheim. Letztes Jahr hatte ich 110 Konzerte, richtig viel. Meine Frau hat die ersten zehn Jahre mit unseren Kindern fast wie eine Alleinerziehende zugebracht. Es war nicht einfach für sie.
Eine Zumutung.
Ja? Ja. Aber das war immer klar, dass es nicht anders geht. Und jetzt ist sie glücklich, sie hat Erfolg mit ihren Büchern, die Kinder sind groß genug, dass sie ihr eigenes Café eröffnet. Sie hat da eine große Leidenschaft. Es kam schon vor, dass Leute sagen: Wecker? Wer? Kenn ich nicht. Ach so, der Mann von der berühmten Bäckerin. Junge Frauen backen ja wieder.
Wenn mittelalte Herren mit sehr jungen Frauen Familien gründen, bin ich tendenziell missgünstig: mittelalte Frauen können das nicht. Ihre Frau war 21, als Sie sie mit 48 heirateten, aber Ihre Ehe scheint ja stabil. Wird das eigentlich mit der Zeit schwerer, den Altersunterschied zu überbrücken?
Wir hatten manches Problem, aber der Altersunterschied war nie eines. Für mich ist es eher schwierig, dass sie sich so enorm verändert hat. Sie ist eine radikale Feministin, eine starke selbstständige Frau geworden und schon lange nicht mehr das Mädchen, das ich einmal geheiratet habe. Aber gut so, was habe ich denn erwartet?
Lieder für eine bessere Welt
In einem Titel Ihrer aktuellen Platte empfehlen Sie „Empört euch! Beschwert euch und wehrt euch!“ Er klingt prima, aber ob Heimatlied oder Protestsong ist doch längst egal – es bleibt höchstens eine Wohlfühlwirkung.
Da ist was dran, und ich mach trotzdem weiter. Ich will ja nicht plötzlich 16-Jährige bekehren, die sich nie empören würden, oder eingeschworene CSU- oder gar FDP-Wähler. Aber meinem Publikum, das mir verbunden ist, dem kann ich Mut zu einer eigenen Meinung machen. Das ist das einzige, was ich kann als Künstler.
Seit Sie Ihre Lieder singen für eine bessere Welt, wurde die Welt immer schlechter.
Stimmt. Ich habe schon zum meinem Publikum gesagt: Die Welt hat sich geändert, aber ich war das nicht! Darauf haben mir viele Besucher gemailt: Sie haben etwas verändert, bei mir nämlich. Wenn es nur zehn sind, war es gut.
Frag ihn nach seinem Leben als Junkie, haben mir meine Kollegen aufgegeben. Ich erwiderte: wie gemein, das ist doch vorbei.
Ich bin seit 17 Jahren clean! Aber sobald ich irgendwas sage, das jemandem nicht passt, heißt es: Wecker ist wieder auf Droge. Vor allem Rechte tönen so. Leute, die nichts von mir kennen, wissen: Wecker, Koks! Das hier ist der Stinkefinger für deine Kollegen.
Aber Sie referieren auch über die Zeit.
In den ersten Jahren, ja. Da musste ich auch einen Prozess führen, mir drohte Gefängnis. Dabei habe ich so viele Fehler gemacht, die Bild rief täglich an. Ich hab mich eingelassen zu reden. Bis ich endlich entschied: kein Wort mehr. Ich bin nicht mal mehr auf Premieren gegangen, wollte mich nicht mehr erpressen lassen.
Immerhin ist die Rückfallgefahr hoch. Das Gefühl, das durch Drogen erreicht wird, heißt es, lasse sich durch nichts toppen.
Die Psychologin Alice Miller sagt: Wenn ein Jugendlicher vor dem ersten Schuss keine Glückserfahrung hatte, kommt er nicht mehr davon los. Ich habe mit 30 angefangen, ich konnte mich erinnern, dass es auch vorher unglaubliche Momente gab. Und ich hatte Menschen, die mich aufgefangen haben. Verarscht wurde ich nur von Promis, die mit mir gekokst hatten. Aber ich habe niemanden verraten.
Dabei bot Ihnen der Staatsanwalt Haftverschonung an für ein paar Promi-Namen. Interessant, Ihnen zusätzlich eine Gewissenslast aufbürden zu wollen.
Er war ein Karrierist. Als ich nicht in den Knast kam, als er den Prozess verlor, wurde er zum Verkehrsrecht versetzt, ist ein kleines Würstchen geworden.
Doktern am Schuldenberg
Warum doktern Sie bei jährlich hundert Konzerten so lange an Ihren Schulden? Ihre Strafe lag bei 300.000 Euro, das ist doch schnell wieder drin.
Aber nicht die drei Millionen Schulden, und ich fülle keine Stadien. Von einer Privatinsolvenz riet man mir ab, da wären auch alle meine Rechte als Autor hin, Gema-Rechte, alles. Das konnte ich meiner Familie nicht antun.
Bleiben wir bei der Gema. Als im Juni in Deutschland gegen die ruinösen Methoden der Urheberschutzgesellschaft protestiert wurde, waren Sie nicht mit auf der Straße. Da haben Sie sich in den Aufsichtsrat der Gema wählen lassen. In den Aufsichtsrat eines der zweifelhaftesten..Vereine.
Ach, aber Youtube und Google sind nicht zweifelhaft, nein? Das sind menschenrettende Organisationen, oder was? Die Gema ist die letzte Instanz, die uns Autoren schützt. Was soll zweifelhaft sein an der Gema?
Ihre Struktur, ihr Verteilerschlüssel, vollkommen undemokratisch. Die 3400 Großverdiener unter den 65.000 Mitgliedern entscheiden über die Verteilung der Gelder. Darum fließen 65 Prozent der Einnahmen an 5 Prozent der Urheber. Und Spitzenverdiener wie Sie bekommen überdies noch eine Rente.
Das ist einfach nicht richtig. Ich bin bald 40 Jahren in der Gema, ja, da ist vieles nicht in Ordnung. Ich streite auch mit der Gema, zum Beispiel, um als E-Musik-Komponist eingestuft zu werden mit meinen Chansons und nicht wie der billigste Schlagerschreiber. Alles andere sind die Lügen derer, die in der Gema sind, aber einfach nicht gespielt werden. Wer fünf Mal im Radio läuft, kriegt fünf Mal mehr als der, der nur ein Mal läuft. So einfach. Die Gema kann nur dem was geben, der gespielt wird.
Dass Spitzenverdiener allein entscheiden, nach welchem Schlüssel das Geld verteilt wird, ist in Ordnung?
Oh, das kommt in der deutschen Politik wohl nicht vor?
Da sind Sie nicht im Aufsichtsrat. Gerade war die Gema dabei, Clubs zu ruinieren mit ihrer Abgabenpolitik. Clubs, die kaum Gema-Musik spielen, sollten plötzlich zehn Prozent ihrer Einnahmen abgeben.
Genau so: Es geht um zehn Prozent. Und warum will kein Club mitmachen? Nur aus einem Grund: Weil die Clubs ihre Einnahmen offenlegen müssten. Das wollen die nicht. Sie wollen schön ihre Pauschalen beibehalten und nicht pro Ticket Abgaben zahlen.
Es geht um Steigerungen von bis zu 1000 Prozent, deswegen protestierten Clubs und Besucher. Jedes Varieté müsste sofort schließen, setzte die Gema sich durch. Das ist doch verantwortungslos von einem Verein, dessen Vorsitzender doppelt so viel verdient wie die Kanzlerin.
Sicher, dazu gibt es viel zu sagen. Ich bin auch nicht einverstanden mit allem, was bei der Gema läuft, verteidige aber das Grundprinzip. Und ich sage, wir brauchen ein neues Urhebergesetz, um uns gegen Google aufzustellen. Die Gema kam doch nur in die Kritik wegen ihres Youtube-Widerstandes. Seither kämpft sie gegen Google, die nichts zahlen wollen an die, mit denen Google Geld verdient. Das ist der Kampf. Google kommt mit 140 Anwälten, die Gema mit 14.
Das wiederum ist ein von der Gema verbreitetes Märchen, wie ich aus der Recherche weiß. Die Gema ist ein Verein, den keiner kontrolliert.
Ich bin sehr für staatliche Kontrolle. Auch dafür, dass Banken staatlich kontrolliert werden. Ich möchte einen radikalen internen Wandel der Gema, nur nicht, dass sie so gebasht wird, dass sie als Institution infrage steht.
Ihr Album ist zwei Jahre alt, wie lange brauchen Sie für das nächste?
Keine Ahnung. Die letzten Lieder habe ich in einer Woche geschrieben – nach sechs Jahren Pause. Die Texte sind mir einfach passiert, die kann ich mir nicht erdenken. Das kommt leider nur alle paar Jahre vor. Es ist, als würde ich einen Schlüssel finden, mit dem ich einen Raum öffne. Und da liegt alles bereit, die Texte, auch die Melodien. Es liegt da und ich hol das raus. Ich habe das Talent geschenkt bekommen, dass mir Melodien einfallen, das habe ich mir nicht verdient. Es ist nur nichts, worauf man stolz sein kann.
Das Gespräch führte Birgit Walter.