Kopftuch-Debatte: Richter zweifelt am Verbot
Das Land Berlin gerät immer stärker unter Druck, weil es an seinem Neutralitätsgesetz festhält. Erneut droht eine Niederlage vor Gericht. Am Montag verhandelte das Berliner Arbeitsgericht die Klage einer muslimischen Lehrerin, die wegen ihres Kopftuches nicht an einer Grundschule unterrichten darf. Der Richter ließ deutliche Zweifel an der bisherigen Berliner Regelung anklingen. Es sei zum Bespiel nicht schlüssig, dass eine Lehrerin mit Kopftuch keine Oberstufenschüler am Gymnasium unterrichten dürfe, sagte er, wohl aber Berufsschüler gleichen Alters. Am 9. Mai wird der Vorsitzende Richter sein Urteil verkünden. Möglicherweise landet der Fall vor dem Bundesverfassungsgericht.
Im vorliegenden Fall hatte sich eine Grundschullehrerin mit gutem Abschluss in Berlin um eine Stelle beworben. Anfang 2017 erhielte sie den Bescheid, umgehend als Lehrerin an der Spandauer Klosterfeld-Grundschule arbeiten zu können. Dort erschien sie an ihrem ersten Arbeitstag mit Kopftuch. Daraufhin teilte man ihr mit, sie werde wegen dieses Verstoßes gegen das Berliner Neutralitätsgesetz entweder an das Oberstufenzentrum (OSZ) Bautechnik I oder an das OSZ Natur und Umwelt umgesetzt.
Für diese Berufsschulen gilt das Gesetzesverbot nämlich nicht. Sie landete schließlich am OSZ Bautechnik I. Die Schulleitung soll ihr klar gemacht haben, dass sie als gelernte Grundschullehrerin dort nicht im normalen Unterricht eingesetzt werden könne. In einer Willkommensklasse für Flüchtlinge könne die Lehrerin mit Kopftuch aber tätig werden. Derzeit ist die Klägerin, die nicht vor Gericht erschien, in Elternzeit.
Gegensatz zwischen Neutralitätsgesetz und garantierter Religionsfreiheit
In der Verhandlung wurde klar, dass die Verwaltung schon in der ersten Bewerberrunde einen Fehler gemacht hat. Ein Schulaufsichtsbeamter fragte die Bewerberin, die ein Kopftuch trug, ob sie das Berliner Neutralitätsgesetz kenne. Die Frau bejahte, dass sie das Gesetz kenne. Ob sie es aber befolgen werde, fragte der Beamte nicht.
Der Richter führte aus, dass es hier einen Gegensatz gebe zwischen dem Neutralitätsgesetz und der grundgesetzlich garantierten Religionsfreiheit. Grundsätzlich könnte das Land als Dienstherr öffentlich Bedienstete durchaus umsetzen. Zumal wenn die Klägerin selbst beabsichtige, gegen das Gesetz zu verstoßen. Gleichwohl müsse die jüngste Entscheidung des Bundesverfassungsgericht aus dem Jahr 2015 berücksichtigt werden, die ein Gesetz in Nordrhein-Westfalen betraf.
Die Karlsruher Richter hatten sich gegen ein pauschales Kopftuchverbot gewandt und entschieden, dass eine Lehrerin für ein Verbot den Schulfrieden gefährden müsse. Der Richter gab ein Beispiel: „Eine Lehrerin mit Kopftuch sieht beim Elternabend eine Muslima ohne Kopftuch und kündigt an, dass deren Sohn deshalb von ihr diskriminiert werden wird.“ Von daher sei der Frage nachzugehen, ob das Neutralitätsgesetz hier zu weit gehe, so der Richter. Oder ob schon das bloße Tragen des Kopftuches eine Gefährdung darstelle.
Der Druck bleibt erhalten
Seyran Ates, die Rechtsvertreterin des Senats, räumte nach der Verhandlung Fehler der Bildungsverwaltung im Umgang mit der Bewerberin ein. Man habe nicht klar nachgefragt, ob sie das Neutralitätsgesetz akzeptiere und sie trotzdem zunächst für die Grundschule zugelassen, sagte Ates. „Die Verwaltung wird daraus lernen.“ Prinzipiell sei Berlin bereit, die Frage vor dem Bundesverfassungsgericht klären zu lassen, sagte Ates.
Zuletzt hatten Berliner Arbeitsrichter Lehrerinnen, die wegen ihres Kopftuches am Grundschulen abgelehnt worden waren, Schadensersatz zugesprochen. Im rot-rot-grünen Senat ist das Thema umstritten. Führende SPD-Vertreter wollen am bestehenden Gesetz festhalten. Kultursenator Klaus Lederer (Linke) und maßgebliche Grünen-Politiker sehen Änderungsbedarf. Der Druck bleibt erhalten. Klagen von zwei weiteren Lehrerinnen sind anhängig.