Krieg oder Frieden? Wagenknecht hat ein neues deutsches Blame Game entfacht

Nach der Migrations- und der Coronakrise verliert sich Deutschland wieder im Entweder-Oder. Neue Kampfbegriffe übertönen das Leid der Ukrainer. Ein Kommentar.

Sahra Wagenknecht 
Sahra Wagenknecht Joerg Carstensen/dpa

Es war nur eine Frage der Zeit, bis der Streit über den russischen Angriffskrieg zu einem deutschen Entweder-Oder verkommt. Das hat ja schon in der Migrations- und der Coronakrise so gut geklappt, als man im öffentlichen Diskurs plötzlich für die Aufnahme von Geflüchteten war oder dagegen, als man an die Gefahr eines Virus glaubte oder nicht.

Nun heißt es also: Bist du für Frieden? Oder bist du für den Krieg? Da bleibt kaum Raum für Abwägung, für Differenzierung. Für all die Graubereiche, die diese Zeiten so schwer erträglich machen.

Einen gewaltigen Anteil an dieser irren Verkürzung hat die Linke-Politikerin Sahra Wagenknecht. Sie trägt maßgeblich dazu bei, die Diskussion über eines der facettenreichsten Phänomene überhaupt, einen Krieg, in ein einfaches Blame Game zu zwängen. Wer sich für eine militärische Unterstützung der Ukraine ausspricht, ist demnach ein Kriegsnarr. Wer sich nach einem baldigen Frieden sehnt, kann in der Konsequenz scheinbar nichts von Waffenlieferungen halten.

An die Stelle des Kriegs rückt ein innerdeutsches Schmierentheater

Diese Vereinfachung ist nicht nur unterkomplex. Sie ist ein Desaster. Und das vor allem, weil sie die Bedürfnisse der überfallenen Ukraine ausklammert. Sie reduziert den Krieg, dem Ukrainer tausendfach zum Opfer fallen, auf ein innerdeutsches Schmierentheater, bei dem es um deutsche Befindlichkeiten und deutsche Anschuldigungen geht. Nun drehen sich Talkshows nicht mehr vorrangig um das Kriegsgeschehen und das Leid der Menschen vor Ort, in Saporischschja oder Bachmut – sondern um die populistischen Pirouetten einer Bundestagsabgeordneten.

Einen vorläufigen Höhepunkt fand die neue deutsche Nabelschau in der Folge der von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer initiierten Kundgebung „Aufstand für Frieden“. Allein das Wort Aufstand suggeriert, dass sich Friedensbewegte gegen eine wie auch immer geartete Kriegslüsternheit in diesem Land auflehnen müssten. Gegen die Bundesregierung, gegen die Außenministerin. Nicht aber gegen den Verursacher des Angriffskriegs, den wahren Kriegstreiber, also gegen den russischen Präsidenten.

Auf einmal konnte es scheinbar nur noch darum gehen, wer welche Demo besuchte oder nicht, die von Wagenknecht oder eine der anderen dieser Tage. Es ging um die Abgrenzung Wagenknechts von Rechtsextremisten und die Abgrenzung aller anderen von Wagenknecht.

Die Menschen sind einer politischen Schlammschlacht ausgesetzt

Abgesehen davon, dass dieses Trauerspiel die Aufmerksamkeit für die Ukraine absorbiert, erzeugt es also das Gefühl, sich in einem vergifteten Streit für eine der beiden Seiten entscheiden zu müssen. Dabei gibt es Millionen Menschen in Deutschland, die sich ohnehin schwertun mit Waffenlieferungen, denen bange wird in wochenlangen Debatten über Kampfpanzer oder Kampfjets. Sie haben mitunter Angst vor einer Ausweitung dieses Kriegs, vor einer im unwahrscheinlichen Fall sogar atomaren Eskalation.

Diese Menschen, die wie die allermeisten auf diplomatische Lösungen hoffen, sind nun einer politischen Schlammschlacht ausgesetzt. Sie werden aufgestachelt in einem wirren Austausch von Kampfbegriffen wie Bellizist oder Pazifist, die an die Stelle von Gutmensch oder Corona-Leugner getreten sind. Nur hilft all das nicht, die Ukraine zu schützen oder den Krieg zu beenden. Es treibt nur einen weiteren Keil in eine sich polarisierende Öffentlichkeit.