Kriegserklärung an Putin? Nein! Warum Annalena Baerbocks Worte richtig und mutig sind
Hat Baerbock Russland den Krieg erklärt? Quatsch, die Rede zeigt: Die Außenministerin hat Rückgrat und einen klaren moralischen Kompass. Anders als Olaf Scholz. Ein Kommentar.

Das war ein Paukenschlag für alle Politikjournalisten in Deutschland. Denn was die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock vor der Parlamentarischen Versammlung des Europarats in Straßburg von sich gegeben hatte: skandalös. „Wir kämpfen einen Krieg gegen Russland“, so die Übersetzung eines der Wortfetzen aus ihrer in englischer Sprache gehaltenen Rede.
Haben wir richtig gehört? Wir sind im Krieg gegen Russland? War das etwa eine deutsche Kriegserklärung an Putin?
Für viele Journalisten, Angehörige der Opposition, vor allem der AfD-Fraktion und für all die Unterstützer von Harald-Welzer-Briefen gegen „Kriegstreiberei“ klang es jedenfalls so. Ein Ruck ging durch die deutsche Angst-Gesellschaft.
Julian Reichelt und der Spiegel sind einer Meinung
Der ehemalige Bild-Chefredakteur Julian Reichelt schrieb auf Twitter: „Wie wenig Annalena Baerbock ‚eher vom Völkerrecht‘ kommt, erkennt man daran, dass sie Russland mal so nebenbei den Krieg erklärt.“ Und auch der Spiegel-Journalist Veit Medick empörte sich, ebenfalls auf Twitter: „Schon einigermaßen unfassbar, dass die Außenministerin, deren (fast einziger) Job es ist, Worte auf die Goldwaage zu legen, so ein Ding raushaut.“

Wer allerdings ein paar Sätze vor der vermeintlichen „Kriegserklärung“ in die englischsprachige Rede einsteigt, der kommt zu einem anderen Urteil. Dort heißt es: „And therefore I said already in the last days: Yes we have to do more to defend Ukraine. Yes we have to do more also on tanks. But the most important and the most crucial part is that we do it togehter. And we do not do the blame game in Europe, because we are fighting a war against Russia and not against each other.“
Scholz zaudert, Baerbock zeigt Rückgrat
Nun ist das natürlich, lieber Julian Reichelt und liebe empörte und vielleicht auch verängstigte Leser, wahrlich keine Kriegserklärung an Russland. Es handelt sich hier lediglich um einen ganz ehrlichen und ungeschönten Blick der Außenministerin Baerbock auf die Lage. Sie spricht als besorgte Einwohnerin Europas und Mutter. Und als Politikerin, die den Zusammenhalt der zivilisierten Welt beschwört und gegen den brutalen russischen Angriffskrieg in der Ukraine Stellung bezieht. Auch deswegen finde ich die Reaktionen auf ihre Rede so bizarr.

Baerbock in Straßburg: Klartext statt Kauderwelsch
Da verlangen wir bei gesellschaftlichen Themen Klartext von unseren Politikern und sind genervt, wenn etwa ein Karl Lauterbach hochkompliziertes Kauderwelsch absondert. Wir sind gut darin, den Bundeskanzler zu kritisieren, der in gewohnter Regelmäßigkeit entweder herumlaviert oder gar nichts (siehe Warburg-Affäre) zu relevanten Themen sagt.
Und jetzt redet eine Politikerin mal Klartext und dann ist es der über-intellektualisierten deutschen Öffentlichkeit, dem Spiegel und Julian Reichelt auch wieder nicht Recht.
Wir sollten der Außenministerin danken
Dabei sollten wir unserer Außenministerin für ihre Rede danken, denn Annalena Baerbock hat mit ihren emotionalen Worten Rückgrat bewiesen. Und sie hat auch bewiesen, dass sie nicht nur bei der Bekämpfung des menschengemachten Klimawandels einen klaren moralischen Kompass hat.
Und auch wenn ich viele vor allem innenpolitische und wirtschaftspolitische Vorhaben (autofreie Innenstädte zum Beispiel) ihrer Partei persönlich nicht teile, Annalena Baerbock will etwas bewegen, sie hat eine Vision für dieses Land und riskiert dafür sogar, wie heute, einen Shitstorm.
Scholz wirkt wie ein Apparatschik ohne Kompass
Und das sind alles Eigenschaften, die man unserem Bundeskanzler, dem Berufspolitiker Olaf Scholz, nicht uneingeschränkt nachsagen kann. Wirkt es doch auf mich so, als ob beim Bundeskanzler das Land und die Menschen nicht an erster Stelle auf der Agenda stehen. Oder um es anders zu sagen: Annalena Baerbock interessiert sich für die Welt, Olaf Scholz dagegen meist nur für seine eigene politische Karriere.
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