Berlin-Wahl: Das sagen Experten zur Entscheidung aus Karlsruhe
Jetzt steht fest, dass die Berlin-Wahl am 12. Februar stattfinden kann. Juristen und Wahlforscher sind uneins, was sie davon halten sollen.

Da staunt der Laie, und der Fachmann wundert sich. Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, die für den 12. Februar anberaumte Wiederholungswahl in Berlin nicht kurzfristig zu stoppen, sorgt außerhalb der politischen Parteien für unterschiedliche Reaktionen. Das Spektrum reicht von überrascht bis erleichtert. Sicher ist: Viele Fragen bleiben offen.
Christian Pestalozza, Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der FU Berlin, hält den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts für „überraschend“. Ganz offensichtlich wolle Karlsruhe nicht in die Entscheidung des Berliner Landesverfassungsgerichts eingreifen, sagte er im Gespräch mit der Berliner Zeitung. Das sei bedauerlich.
Gut so! Es ist den Klägern von #FDP, #Linke & #SPD nicht gelungen, den Berlinerinnen & Berlinern eine Wahl zu verweigern - die Wahl zwischen einem Weiter-so dieses Chaos-Senats oder einem echten Neustart für unsere Stadt. Diesen gibt es nur mit der @cduberlin und @kaiwegner. https://t.co/Vowb1Ex5oo
— Mario Czaja (@MarioCzaja) January 31, 2023
Pestalozza selbst hätte eine inhaltliche Überprüfung des Berliner Urteils „für gut befunden“, wie er bekennt. Nicht umsonst gilt der Jurist als einer der schärfsten Kritiker des Spruchs des Berliner Landesverfassungsgerichts, wonach die gesamte Berlin-Wahl vom 26. September 2021 null und nichtig und deshalb komplett zu wiederholen sei.
Pestalozza erkennt in dem Berliner Spruch „gravierende Fehler“ und meint vor allem den Umgang mit den Wahlen zu den zwölf Bezirksverordnetenversammlungen, aber auch mit der Briefwahl. Das Gericht habe sich beide Komplexe gar nicht oder nicht ausreichend angeschaut und nur „in Bausch und Bogen“ entschieden – und diese beiden Abstimmungen ebenso wie die Urnenwahl zum Abgeordnetenhaus für ungültig erklärt. Die Begründung, die Vorbereitung sei so fehlerhaft gewesen, dass die gesamte Wahl von vorneherein unkorrekt sei, sei eine „erfundene Auslegung der Gesetze“. Pestalozza spricht in diesem Zusammenhang von „Willkür“.
Berlins Landeswahlleiter will bei der #Berlinwahl die Versorgung der Wahllokale mit ausreichend Stimmzetteln gleich mehrfach absichern. https://t.co/aGUiI0TjdK
— Berliner Zeitung (@berlinerzeitung) January 29, 2023
Berlins Landeswahlleiter Stephan Bröchler hat dagegen mit Erleichterung auf die Entscheidung reagiert. „Wir atmen jetzt durch, weil uns die Entscheidung Planungssicherheit gibt“, sagte er. „Wir können nun auf Hochtouren mit der Planung und Durchführung der Wahl fortfahren.“
Ihn habe die Entscheidung in Karlsruhe auch nicht überrascht, so Bröchler weiter. „Alles andere wäre ein ganz erheblicher Eingriff in eine schon laufende Wahl gewesen.“ Er erinnerte daran, dass die Briefwahl schon seit einigen Wochen in Gang sei und schon viele Menschen gewählt hätten.
Auch der Wahlforscher Thorsten Faas ist einverstanden mit dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, die Wahlwiederholung nicht noch kurzfristig zu stoppen. Damit habe sich Karlsruhe für das kleinere Übel entschieden. „Letztlich hätte man mit der Absage des Wahltermins in ein laufendes Verfahren eingegriffen – mit ungewissem Ausgang“, sagte der Politikwissenschaftler, der an der Freien Universität lehrt. „Es sind schon viele Tausend Briefwahlstimmen abgegeben, der Wahlkampf läuft auf Hochtouren.“
„In dieser Situation Stopp zu sagen, hätte in ein ohnehin schon komplexes und verwirrendes Verfahren noch einmal viel mehr Ärger gebracht“, sagte Faas. „Ich glaube, in der Abwägung bleibt es das kleinere Übel, den Wahltermin nicht zu verschieben.“
Faas schließt sich damit der Meinung derjenigen an, die den Karlsruher Beschluss als gute Nachricht werten, weil er zumindest ein wenig Klarheit in die unübersichtliche Thematik bringt. Für den Wahlforscher ist dabei zentral: „Die Wahl findet jetzt statt.“ Insofern werde sich für viele Menschen im Wahlkampf und für das Abgeben ihrer Stimmen nichts verändern.
„Aus Sicht von Bürgerinnen und Bürgern wäre der Schaden größer gewesen, ein hartes, unmittelbar erlebbares Signal zu senden: Stopp, wir lassen es nicht stattfinden, wissen aber auch nicht genau, wie es weitergeht“, sagte Faas. „Das hätte ganz unmittelbar für viel mehr Entrüstung und Unverständnis gesorgt“ als eine Situation, die Politiker und Juristen zwar noch weiter beschäftigen, aber nicht mehr so viel Wucht entfalten werde.
Auch Verfassungsrechtler Pestalozza sieht nach Ablehnung einer einstweiligen Anordnung durch Karlsruhe offene Fragen. So stehe die Entscheidung laut Bundesverfassungsgericht seit dem 25. Januar fest. „Warum hat das Gericht noch einmal fast eine Woche verstreichen lassen, bis der Beschluss veröffentlicht wird?“, fragt er. Das habe nur zur weiteren Verunsicherung beigetragen.
Ebenso überrascht zeigte sich Pestalozza davon, dass das Gericht dennoch keinerlei Begründung für seinen Beschluss geliefert habe. Zweierlei sei möglich: Es könne sein, dass die Materie innerhalb des in diesem Fall siebenköpfigen Senats des Bundesverfassungsgerichts höchst umstritten sei. Oder aber sie sei mindestens so komplex, dass die Richterinnen und Richter für die Formulierung noch länger bräuchten.
Karlsruhe will noch Stellungnahmen der Abgeordneten einholen. Warum nur?
Unabhängig davon bedeutet der Richterspruch von Karlsruhe nicht das Ende aller Ungewissheit für Berlin. Das Gericht will erst später grundsätzlich entscheiden – wann dies geschieht, ist offen. Zunächst können die Berliner Abgeordneten zu der Wahlwiederholung Stellung nehmen. Einsendeschluss ist der 2. März „Was erhofft man sich davon“, fragt Pestalozza, wenn doch das Urteil scheinbar feststehe. So etwas mache doch niemand „aus reinem Spaß“.
Wer weiß, vielleicht will sich Karlsruhe die Option offenhalten, doch noch gegen die Berlin-Wahl zu entscheiden. Und sei es im Nachhinein.