Wahlkampf-Finale in Berlin: Parteien fahren ihre geballte Prominenz auf
Kevin Kühnert, Klaus Lederer, Friedrich Merz: Am Freitag wurde noch mal kräftig um Stimmen geworben. Bis zum Schluss bleibt offen, wer das Rennen macht.

Kalt war's und fast noch dunkel. Einer der ersten am großen Wahlkampfabschlusstag zwei Tage vor der Wahl war Kevin Kühnert von der SPD. Der Generalsekretär baute sich halb acht am S-Bahnhof Schöneberg auf, um Flyer und Kugelschreiber unters Wahlvolk zu bringen. Frühverteilung nennt sich so etwas im Politikerjargon.
Viel los war nicht bei Kühnert am Stand. Dennoch zeigte er sich – wen wundert's? – optimistisch. Warum nur, liegt doch die SPD bei den Umfragen der vergangenen Tagen und Wochen allenfalls auf Platz zwei. Kühnert sprach von einem bis zur Schließung der Wahllokale offenen Rennen, bei dem am Ende „der Faktor Person ganz wichtig“ sei. Er meinte die SPD-Spitzenkandidatin und Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey. Doch auch hier gilt: Die Hoffnung stirbt zuletzt.
Berliner Wahl: Kultursenator Klaus Lederer verzichtet auf Sekt

Ein paar Stunden später wirkte weniger die Kraft der Suggestion, stattdessen waberte ein Hauch Volkskammer hinüber. Die Assoziation stammt von Oliver Reese, dem Gesellschafter, Geschäftsführer und Intendanten des Berliner Ensembles. Am Vormittag dieses prallvollen Wahlkampftages hatte Reese den Kultursenator und Linken-Wahlkämpfer Klaus Lederer zu Gast. Bei der Gelegenheit berichtete Reese von einer Platzauslastung von 96 Prozent in dieser Spielzeit. „Das klingt jetzt ein bisschen nach Volkskammer“, sagte er.
Reese selbst schaut nach eigenen Worten sehr gespannt auf die Ereignisse am Sonntag und auf die Folgen davon. Vor allem wird der Theatermann hoffen, dass Klaus Lederer Kultursenator bleibt. Schließlich hat Reese mit ihm ausgemacht, zumindest eine seiner multiplen Funktionen am Berliner Ensemble abzugeben. Reese will seine persönlichen Anteile von 50.000 Euro an der Theater-GmbH an den Senat abgeben.
Rekommunalisierung ist das Stichwort dafür, und das gehört nicht nur zum Standardprogramm des seit Jahren regierenden rot-grün-roten Berliner Bündnisses. Es passe doch – da waren sich Reese und Lederer einig – auch sehr gut zum Gründer des berühmten Hauses am Schiffbauerdamm: Bertolt Brecht. „Ich glaube, das würde Brecht gefallen“, sagte Lederer. Zu des Dichters Geburtstag, der sich am Freitag zum 125. Mal jährte, gab es anschließend Kuchen und Sekt.
Zwei Tage vor der Wahl: Ein letzter Aufmarsch der Parteiprominenz
Lederer stieß zwar gerne mit an, er trank jedoch nur Wasser. Immerhin lag zu diesem Zeitpunkt noch ein arbeitsreicher Tag vor ihm. Dazu gehörte ein „Wahlkampf-Endspurt der Berliner Linken“ benanntes Treffen am späten Nachmittag im Festsaal der Stadtmission in Moabit. Mit dabei Parteichefin Katina Schubert sowie das Senatsteam, bestehend aus Katja Kipping, Lena Kreck – und Klaus Lederer.
Es sind nun ausgerechnet diese Politiker – und noch einige mehr –, die man bei der CDU als die Verantwortlichen für ein vermeintlich dysfunktionales Berlin ausgemacht hat. Nun gewinnt jedoch niemand eine Wahl, übernimmt die Regierung, der eine Stadt und die, die für sie arbeiten, nur madig macht. Nicht einmal, wenn man bis zum Wahltag bei Umfragen in Führung liegt, wie es die Berliner CDU gerade erlebt.
Berliner Wahl: Sogar CDU-Chef Friedrich Merz schlägt vorsichtige Töne an

Das weiß man auch bei der CDU. Und so gab auch Generalsekretär Stefan Evers am Freitag bei der großen Wahlkampfabschlussveranstaltung der Partei im Konrad-Adenauer-Haus die Devise aus: „Wir reden Berlin nicht schlecht. Wir finden die Stadt großartig, sie wird nur schlecht regiert.“ Das klang schon sehr nach dem Slogan „Berlin feiern – Senat feuern“, mit dem die Partei vom ersten Tag an wirbt.
Parteichef Friedrich Merz und die Ministerpräsidenten Hendrik Wüst (Nordrhein-Westfalen) und Boris Rhein (Hessen) waren in die CDU-Zentrale geeilt, um Kai Wegner noch ein letztes Mal Rückenwind zu geben. Genau dies, was der Berliner Spitzenkandidat bei der vorangegangen Wahl so schmerzhaft vermisst hatte.
Jetzt ist alles anders, und so war auch die Stimmung im Saal. „Wenn die Umfragen einigermaßen richtig sind, dann haben wir alle Chancen, am Sonntag auf Platz eins zu liegen“, sagte Parteichef Friedrich Merz. Recht hat er.
Dabei war die Tonalität so ganz anders, als es zuletzt von der CDU klang. Noch vor einigen Wochen hatte Merz darüber gehöhnt, dass Rot-Grün-Rot nach der Wahl womöglich „eine Koalition der Verlierer“ bilden könnte. Inhaltlich hat sich daran, wie gesagt, nichts geändert. Doch der Ton war anders: sachlich, vorsichtig optimistisch, fast schon zurückhaltend. Es gebe „sogar die Chance, mit Kai Wegner den nächsten Senat zu führen“, sagte Merz. Okay.
Nach Merz gehe es jetzt darum, bis zum Schließen der Wahllokale „wirklich noch mal richtig alles auf die Straße zu bringen, was wir schaffen können, damit es diesen Wechsel in Berlin tatsächlich gibt“. Es gelte, dass in der Stadt dann künftig Dinge funktionierten, die bisher nicht funktioniert haben. Immerhin.
Kai Wegner erkannte eine Wechselstimmung. „Der Wechsel ist möglich. Aber das Rennen ist noch offen.“ Der rot-grün-rote Senat könne „es leider immer noch schaffen“. Da war sie, die Angst davor sich totzusiegen – eine Wahl zu gewinnen, mangels Koalitionsoption aber am Ende doch in der Opposition bleiben zu müssen.
CDU-Spitzenkandidat Kai Wegner: Bis zum letzten Tag voller Energie
Doch Wegner sprüht seit Wochen vor Energie. Gerade weil noch nichts entschieden sei, gehe es in den verbleibenden Stunden bis zur Wahl noch um jede Stimme, sagte er. „Einen Wechsel gibt es in dieser Stadt nur mit einer starken CDU“, sagte er auch mit Blick auf taktische Überlegungen bei den Wählern. „Es geht einzig und allein darum, der CDU einen klaren Regierungsauftrag zu geben.“ Und: „Jetzt geht's nochmal richtig los.“
Und weil das an diesem Tag und in jeder Stunde bis Öffnung der Wahllokale natürlich auch für die Mitbewerber galt, wollten auch diese noch einmal Parteiprominenz ins Rennen werfen: Finanzminister Christian Lindner bei einer FDP-Sause bei Microsoft Unter den Linden, Bundessprecher Tino Chrupalla auf einer AfD-Veranstaltung unweit vom Bahnhof Wuhletal, SPD-Chefin Saskia Esken an einem Infostand in Spandau.
Doch wo war eigentlich Franziska Giffey an diesem Tag? Es war ein Tag voller Arbeit, hieß es aus dem SPD-Hauptquartier. Erst am Abend hatte sie einen Wahlkampftermin: an einem Infostand in Schöneweide.