Nach den Silvester-Krawallen: Wie die CDU den Wahlkampf der AfD ruiniert

Die Integrationsdebatte nach Silvester kann der AfD nicht helfen. Das liegt an Berlin, der CDU und dem möglichen Ende des rot-grün-roten Senats.

AfD-Anhänger im Januar bei der Wahlkampfveranstaltung vor dem Schloss Charlottenburg
AfD-Anhänger im Januar bei der Wahlkampfveranstaltung vor dem Schloss CharlottenburgJörg Carstensen/dpa

Wenn man nicht wüsste, dass Kristin Brinker die Spitzenkandidatin ist, könnte man sie an diesem Samstagnachmittag im Januar für eine einfache Abgeordnete halten, für eine Randfigur in der AfD. Die Partei hat zur Kundgebung vor dem Schloss Charlottenburg aufgerufen, bald wird in Berlin gewählt. Brinker spricht als Erste.

„Wir wollen, dass es Ausschreitungen wie zu Silvester nicht mehr gibt in dieser Stadt“, sagt die AfD-Landeschefin. Die Täter müssten zügig bestraft und kriminelle Ausländer abgeschoben werden. Es könne nicht sein, ruft Brinker, „dass die Berliner Polizei einen Sprachkatalog vorgesetzt bekommt und nur noch von ‚Westasiaten‘ sprechen darf“. Die Einsatzkräfte bräuchten Schutz vor Angriffen.

Es ist noch sehr unruhig vor der Bühne, rund 200 Menschen trotzen der Kälte. Ein Mann ärgert sich, weil am Schloss EU-Flaggen und eine Regenbogen-Fahne hängen. Er ist überzeugt: Die Stadt habe sie nur deshalb angebracht, weil die AfD heute hier ist. Ein anderer warnt seine Begleiter, die USA wollten Deutschland in den Ukraine-Krieg verwickeln.

Kristin Brinker ist keine große Rednerin, ihre Stimme verliert sich zwischen den vielen Gesprächen auf dem Platz. Da hilft es schon gar nicht, dass sie bald über Energieversorgung spricht, über den „katastrophalen Zustand“ des Bildungssystems oder die „Klima-Kleber“. Für Begeisterung sorgt sie nicht unter den Anhängern der AfD.

Der AfD fehlt das eigene Thema – auch wegen der CDU

Um das Problem der AfD vor der Abgeordnetenhauswahl zu beschreiben, ist diese Kundgebung im Januar beispielhaft. Der Landespartei fällt es schwer, in Berlin ein Thema zu finden, das sie allein besetzt, mit dem sie Wähler mobilisieren könnte – nicht mal die Silvester-Randale von Neukölln taugt dafür, denn hier war die CDU vorgeprescht. 

Wenige Tage nach den Krawallen hatten die Berliner Christdemokraten nach den Vornamen der Tatverdächtigen gefragt. Die Empörung bei SPD, Grünen und Linkspartei war riesig. Sie warfen der CDU Rechtspopulismus und die Verbreitung rassistischer Ressentiments vor. Der Fragenkatalog wurde deutschlandweit diskutiert, Friedrich Merz schimpfte über „kleine Paschas“. Und die AfD? Sie war nur eine Stimme unter vielen.

Kristin Brinker bei der Wahlkampfveranstaltung vor dem Schloss Charlottenburg
Kristin Brinker bei der Wahlkampfveranstaltung vor dem Schloss CharlottenburgJörg Carstensen/dpa

In einem anderen Bundesland hätte das Manöver der Berliner Christdemokraten vielleicht dazu geführt, dass sich mehr Menschen dem Original zuwenden, also der AfD. Allerdings ist die Diskussion über Integration in der Hauptstadt nicht neu, Berlin kennt seine Probleme. Auch die Regierende Bürgermeisterin, Franziska Giffey, sprach sich schnell für eine konsequente Bestrafung der Täter aus.

Die AfD aber konnte von der Diskussion über die Ausschreitungen nicht profitieren. Nachdem sie bei der vergangenen Abgeordnetenhauswahl bei acht Prozent landete, steht sie in der aktuellsten Umfrage gerade mal zwei Punkte besser da. Und das trotz positiven Bundestrends, trotz Integrationsdebatte, trotz Inflation. Nachdem die AfD in der Energiekrise vor Monaten „Volkes Zorn“ unterstützen wollte, beschert ihr die Teuerung zumindest in Berlin keine großen Zuwächse in Umfragen.

Brinker: Buschkowsky hat viele wichtige Hinweise gegeben

Ein Treffen mit Kristin Brinker. Die Landes- und Fraktionschefin empfängt in ihrem Büro unter dem Dach des Abgeordnetenhauses. Die 51-Jährige bezeichnet sich als liberal-konservativ, sie ist die finanz- und haushaltspolitische Sprecherin ihrer Fraktion.

Brinker sagt, dass Deutschland wegkommen müsse von unkontrollierter Migration, hin zu einer qualifizierten Zuwanderung. Die Kommunen stießen an ihre Grenzen, es gebe „ganz viel gesellschaftlichen Sprengstoff“. Wenn sie dann betont, die AfD sei 2013 die erste Partei mit dieser Forderung gewesen, klingt das so, als wolle sie unbedingt daran erinnern.

Angesprochen auf die Krawalle von Neukölln, spricht Brinker von einer „sehr komplexen Gemengelage“. Sie sagt: „Der SPD-Politiker Heinz Buschkowsky hat dazu viele wichtige Hinweise gegeben. Doch statt den drängenden Fragen nachzugehen, verschließt der Senat die Augen vor den Problemen.“ Die AfD-Chefin fragt, wo die Sozialarbeiter seien, die Schulschwänzer von der Straße holten. Sie will ein verpflichtendes Kita-Jahr für Kinder ohne Deutschkenntnisse.

Brinker erzählt von einer Episode aus der Zeit, als sie ihre Doktorarbeit schrieb. In der Bibliothek habe sie zwei Töchter türkischer Gastarbeiter kennengelernt, Jura-Studentinnen. Bei einer der Frauen sei sie dann auf der Hochzeit eingeladen gewesen. „Ich war dort die einzige Deutsche, das hat mich schon erstaunt: Warum gibt es da so wenig Kontakt?“

Fragt man Brinker, was schiefläuft in Berlin, spricht sie aber über andere Herausforderungen. Über eine „exorbitante Verschuldung“ und einen „gigantischen Investitionsstau“. In den Schulen stocke es bei Sanierung und Instandhaltung, knapp eintausend Lehrer fehlten.

Brinker meint, dass der rot-grün-rote Senat Autofahrer gängele: „Dass auf den Hauptachsen, wo der Verkehr fließen müsste, Tempo 30 eingeführt wird, ist nur ein Beispiel.“ Die Parkplatzsituation werde bewusst verschärft, die Parkgebühren würden deutlich erhöht. „Das ist ein Problem für Leute, die auf ihr Auto angewiesen sind und nicht zu den Großverdienern gehören.“

Und schließlich ist das noch die Wohnungsnot in der Hauptstadt, Brinker ist Architektin. Berlin besitze viel Fläche, sagt sie, „aber die Verwaltung schläft, die Prozesse sind zu langwierig“.

AfD profitiert nicht vom Frust über den linken Senat

Bildung, Verkehr, Bauen – das sind die großen Themen, die Berlin vor dieser Wahl bewegen. Sie bestimmen die Podiumsdiskussionen der Spitzenkandidaten, die Debatten in sozialen Medien und die Wahlprogramme der Parteien. Die AfD spricht dabei irgendwie mit, aber es gelingt ihr nicht hervorzustechen. Sie profitiert nicht vom Frust über den linken Senat, über die Chaos-Wahl von 2021.

Das liegt vor allem an einer erstarkten CDU. Die Christdemokraten sind der Konkurrenz in den Umfragen immer weiter enteilt. Wer Rot-Grün-Rot abwählen will, dem bleiben als koalitionsfähige Optionen CDU und FDP. Eine Proteststimme für die AfD, die weit entfernt ist von einer Regierungsbeteiligung, könnte Wählern weit rechts der Mitte als verschenkt vorkommen. Anders als bei einigen Ostverbänden der Partei, wo die Macht greifbarer erscheint.

Brinker an der Spitze – aber für Begeisterung sorgen andere

Hinter vorgehaltener Hand hofft deshalb mancher AfD-Politiker auf eine niedrige Wahlbeteiligung. So könnte die eigene Stammwählerschaft größer erscheinen, als sie eigentlich ist – vorausgesetzt, die Partei animiert sie.

Das ist auch Aufgabe der Spitzenkandidatin. Kristin Brinker trat der AfD im Gründungsjahr 2013 bei, den Landesverband führt sie seit 2021. Bei der Wahl zur Vorsitzenden setzte sie sich mit nur zwei Stimmen Vorsprung gegen Beatrix von Storch durch. Ohne Unterstützung aus dem mittlerweile aufgelösten rechtsextremen „Flügels“ der Partei wäre das nicht möglich gewesen.

Brinker aber wählt einen anderen Auftritt als die Scharfmacher der AfD, als Bundeschefin Alice Weidel oder der thüringische Landeschef Björn Höcke. In der Vergangenheit hat sie sich von radikalen Äußerungen einiger ihrer Parteifreunde distanziert. Auf die Frage, mit welchem politischen Thema man sie verbinden soll, antwortet sie: „Seriöse Haushaltspolitik. Wenn man sich mit Haushalt beschäftigt, lernt man eine Stadt von Grund auf kennen.“

Das mag inhaltlich stimmen, aber die Frage ist doch: Kann eine Spitzkandidatin damit begeistern?

Im Januar vor dem Schloss Charlottenburg reißen andere das Publikum mit. Da ist Martin Kohler, der Vorsitzende der Jungen Alternative, der AfD-Jugendorganisation. Er nutzt seine Rede, um sich über „Sören“ aus Berlin lustig zu machen, der die eigene „toxische Männlichkeit gebändigt“ und seine Finger in den Farben des Regenbogens lackiert habe. Es ist die fiktive Figur eines in Kohlers Augen verweichlichten Großstadtmannes. Und die Einlage kommt gut an, der JA-Chef erntet Gelächter.

Am besten aber trifft Gottfried Curio den Geschmack der AfD-Anhänger. Der 62-Jährige war einst selbst Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses, seit 2017 sitzt er im Bundestag. Zu seinen bevorzugten Themen zählt die Migrationspolitik.

Curio spricht von einem „immer umfänglicheren Sozialtourismus“. Die Silvesternacht sei nur ein Vorgeschmack gewesen. Der migrationspolitische Kurs der Bundesregierung, so Curio, „bringt unsere Stadt um“. Also brauche es ein Zeichen am 12. Februar bei der Wahlwiederholung. Die Menschen, die Deutschland „vielleicht“ als Fachkräfte benötige, kämen nicht – stattdessen blieben die, die allein von linken Parteien und der „Asylindustrie“ gebraucht würden.

Das, wofür Kohler und Curio beklatscht werden, sind grobe, altbekannte Linien der AfD-Politik: traditionelle Rollenbilder, gefährliche Migranten. Eine Idee, was ihre Partei in Berlin über das Stammwählerpotenzial hinausbringen könnte, präsentieren auch sie nicht.