Debatte um längere AKW-Laufzeiten: Das Votum der Grünen-Basis überrascht

Die Debatte um längere Laufzeiten für die Kernenergie geht weiter –  mitunter mit ein bisschen zu viel Rauch. Es gibt aber auch neue Erkenntnisse.

Wasserdampf steigt aus dem Kühlturm des Atomkraftwerks (AKW) Isar 2 in Bayern. In dem Bundesland pocht man auf eine Verlängerung der Laufzeit.
Wasserdampf steigt aus dem Kühlturm des Atomkraftwerks (AKW) Isar 2 in Bayern. In dem Bundesland pocht man auf eine Verlängerung der Laufzeit.dpa/Armin Weigel

Es ist noch gar nicht so lange her, dass Tausende Menschen auf die Straße gingen und gegen Atomkraft demonstrierten. Bis heute gibt es Proteste gegen das Atommüll-Endlager in Gorleben, wo seit Jahren radioaktiver Abfall in vor sich hin rostenden Fässern gelagert wird. Mit den Katastrophen in Tschernobyl und Fukushima wuchs zudem die Angst vor beschädigten Kernkraftwerken.

Kernkraft galt lange als eine Technologie, die aus der Zeit gefallen ist. Darin waren sich fast alle einig. Die Zeiten ändern sich gerade. Inzwischen halten Politiker und Funktionäre sie für einen Rettungsring, weil es in Zeiten wie diesen auf jede Kilowattstunde ankommt, wie viele betonen.

Natürlich haben wir eine Krise, eine drohende Gasknappheit, die Angst vor einem kalten Winter. Und alle werden sparen und haushalten müssen, weil die Belastungen steigen werden. Doch bringen uns die Atommeiler wirklich raus aus der Energiekrise? Daran zweifeln viele, aber derzeit ist wohl jede Lösung willkommen.

Die Allianzen sind auf jeden Fall geschmiedet. Die FDP und die Union wollen weiter auf Kernenergie setzen und sind derzeit dabei, die Atomkraft grundsätzlich neu zu bewerten.

Daher forderte Bundesfinanzminister Christian Lindner den Grünen-Wirtschaftsminister Robert Habeck am Wochenende auch auf, die Stromerzeugung mit Gas einzustellen – und stattdessen wieder auf Kernenergie zu setzen. Sein Argument lautete, dass zur Gaskrise nicht noch eine Stromkrise dazukommen dürfe. Deshalb dürfe mit Gas nicht länger Strom produziert werden. Die drei deutschen Atomkraftwerke, die derzeit noch laufen, aber Ende des Jahres vom Netz gehen sollen, sollten weiterbetrieben werden – am besten bis 2024, sagte Lindner, der die Meiler als sicher und klimafreundlich beschrieb.

Immerhin war der FDP-Minister klug genug, noch nicht für den Bau neuer Atomkraftwerke zu plädieren. So wie es am Wochenende der Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, Stefan Wolf, getan hatte. Neben einem Weiterbetrieb sprach dieser sich für den Bau neuer Reaktoren aus. Er argumentierte damit, dass weltweit derzeit 50 neue Reaktoren gebaut werden.

Dass Lindner so vorprescht, wird manchen bei den Grünen verärgert haben, vor allem, dass er Kernkraftwerke als klimafreundlich bezeichnet. Gerade weil sie es nicht sind, wollen die Grünen sie seit Jahren abschaffen und durch erneuerbare Energien ersetzen. Hinzu kommt, dass sie eben nicht durchweg als sicher gelten und viel Atommüll produzieren.

Umfrage: Mehrheit der Grünen-Wähler für eine Laufzeitverlängerung

Doch auch in der Partei lenken viele bereits ein. Es sieht danach aus, dass sie die Kröte der längeren Laufzeiten wohl schlucken werden müssen. Kommende Woche werden sich die Grünen jedenfalls eindeutig positionieren müssen, ebenso die SPD. Beide Parteien warten derzeit noch das Ergebnis des zweiten Stresstests ab. Denn da geht es auch um die Frage, ob uns Atomstrom in der Gaskrise helfen kann. Ferner geht es neben Energiesicherheit auch um sichere Kernkraftwerke.

Interessant ist derweil, was sich an der Basis tut. Laut einer neuen Insa-Umfrage ist die Mehrheit der Grünen-Wähler für eine Laufzeitverlängerung für die verbleibenden Atomkraftwerke in Deutschland. 54 Prozent sehen das als gute Lösung, um die Energieversorgung unabhängiger von russischem Gas zu machen. Das überrascht, war es doch gerade die Basis, die oft gegen Beschlüsse der Bundespartei meuterte. Da ist in Sachen Atomenergie womöglich die von der Realität eingeforderte Vernunft eingetreten – trotz aller Risiken für die Umwelt.