Leitartikel: Brauns Moral
Berlin - Der Unterschied zwischen Betrügern und windigen Geschäftemachern ist nicht allgemein bekannt. Doch ist er offensichtlich: Um die Betrüger kümmert sich die Staatsanwaltschaft, die Verbraucherzentrale um die windigen Geschäftemacher. Ein Betrüger ist, wer andere auf kriminelle Weise täuscht und schädigt, ein windiger Geschäftemacher, wer andere täuscht und schädigt, ohne das Strafrecht fürchten zu müssen. Auch die Gemeinsamkeiten liegen auf der Hand. Erstens sind beide als Ganoven anzusprechen. Zweitens ist für ihre Bekämpfung zumindest in Berlin als oberster Dienstherr der Justiz- und Verbraucherschutzsenator zuständig. Der heißt seit ein paar Tagen Michael Braun. Auch der Unterschied zwischen Michael Braun, dem Notar, und Michael Braun, dem Senator, ist nicht allgemein geläufig. Doch ist auch er offensichtlich. Als Notar hat Braun mit betrügerischen, zumindest aber windigen Unternehmen kooperiert, die ihren Kunden grotesk überteuerte "Schrottimmobilien" angedreht haben. Ob der Notar Michael Braun von den kriminellen oder dubiosen Vertriebsmethoden wusste oder nicht, steht auf dem einen Blatt, auf einem anderen die Frage, ob der Justiz- und Verbraucherschutzsenator Michael Braun etwas im Amt zu suchen hat, solange der Notar Michael Braun nicht alle gravierenden Vorwürfe restlos ausgeräumt hat. Die Antwort lautet selbstverständlich: Nein.
Verbraucherschützer beteuern, Braun sei aktiv in den massenhaften Verkauf von wertlosen Immobilien eingebunden gewesen. Er habe mit Firmen zusammengearbeitet, deren miserabler Ruf notorisch sei. Die Verkaufsaktionen seien in Windeseile, teilweise am späten Abend, durchgezogen worden. Etliche sich getäuscht fühlende Käufer beklagen, die Vertragstexte seien ihnen von Braun nur vorgelesen, aber nicht erläutert worden. Michael Braun hat am Mittwoch vor dem Rechtsausschuss des Abgeordnetenhauses die Vorwürfe zurückgewiesen, versichert, die Käufer pflichtgemäß aufgeklärt und beraten zu haben, und erklärt, "stets im Bilde gewesen" zu sein, "um wen es sich da im Einzelnen" bei den Immobilienfirmen handelte. Selbst wenn das zutrifft und Braun im strafrechtlichen Sinn kein Vorwurf zu machen sein sollte, ist sein Rücktritt unvermeidlich. Warum?
Erstens ist er als Verbraucherschutzsenator ungeeignet, wenn er nicht gewusst hat, dass der Handel mit Schrottimmobilien Tausende getäuschte Käufer in den Ruin getrieben hat, wenn er nicht gewusst hat, dass die katastrophalen Folgen dieser Verkaufsaktionen seit Jahr und Tag die Gerichte dieser Republik bis hinauf zum Bundesgerichtshof beschäftigen, wenn er nicht gewusst hat, dass einige der Immobilienfirmen, mit denen er zusammengearbeitet hat, mit diesen dubiosen Geschäften ihr Geld verdienten, wenn er das nicht gewusst hat, obwohl eine dieser Firmen - die Grüezi Real Estate AG - bis vor wenigen Monaten am Kurfürstendamm 37 residierte, im selben Haus wie die Kanzlei Braun/Lehmann-Brauns/Mahlo. Ein Verbraucherschutzsenator, der sich offenkundig nicht für den Verbraucherschutz interessiert, ist für das Amt offenkundig ungeeignet.
Zweitens hat Braun am Mittwoch vor dem Ausschuss einen Satz gesagt, der ihn unwiderruflich für das Amt des Justiz- und des Verbraucherschutzsenators disqualifiziert: " Wenn wir bei Rechtsfragen die Moral einführen, dann landen wir bei Wildwest." Offenbar ist dem Juristen Braun nicht bekannt, dass Recht häufig nichts anderes ist als geronnene Moral, etwa die Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs zur Nichtigkeit sittenwidriger Verträge (§138 BGB). Vor allem aber scheint er nicht zu wissen, dass der Verbraucherschutz beginnt, wo das Strafrecht endet - das Empfinden, unerfahrene Verbraucher, ahnungslose Kunden, schlecht informierte Zeitgenossen vor überlegenen Marktteilnehmern und dubiosen Geschäftemachern schützen zu müssen, ist nichts anderes als Ausdruck einer Moral, die das Wohl des Gemeinwesens höher bewertet als die rücksichtslose Durchsetzung partikularer Interessen. Das sollte jeder, aber das muss niemand wissen. Aber das sollte nicht nur, sondern muss einer wissen, der das Amt des Berliner Justiz- und Verbraucherschutzsenators versieht.
Braun hätte niemals Senator werden dürfen. Er steht nicht nur für eine Berliner CDU, sondern für ein (West-)Berlin, das lange Zeit ein Synonym war für Kungelei und Durchstecherei, für Filz und Immobilienskandal. Frank Henkel, der CDU-Landesvorsitzende, hatte im Wahlkampf den Eindruck erweckt, die Kloake, die die Berliner CDU über Jahrzehnte war, sei trockengelegt. Michael Braun beweist das Gegenteil.