Leitartikel: Eine Mutter für Berlin
Berlin - Es kann ja sein, dass Klaus Wowereit sich lauter Absagen eingehandelt hat, als er einen Nachfolger für Jürgen Zöllner suchte. Vielleicht stand weit und breit niemand mit ähnlichem Format zu Verfügung, vielleicht waren die Fußstapfen einfach zu groß, die der Bildungs- und Wissenschaftssenator in Berlin hinterlassen hat. Oder aber die Aufgabe war nicht attraktiv genug.
Eine Behörde führen, die als unführbar gilt, für jeden kranken Lehrer in der Millionenstadt verantwortlich gemacht werden und zugleich mit Milliardensummen für die Hochschulen jonglieren – das muss man mögen. Wirklich gut bezahlt ist dieser Knochenjob nämlich nicht. Rund 11.000 Euro brutto im Monat sind zwar viel Geld, schon weil es sich um Geld der Steuerzahler handelt. Aber Chefs in vergleichbaren Positionen der Privatwirtschaft schmunzeln über solche Summen nur.
Peinliches Entsetzen
Es mag also sein, dass Sandra Scheeres nicht die erste Wahl des Regierenden war. Das Entsetzen über diese Personalie, das nun durch die Berliner Bildungsszene geistert, ist dennoch peinlich. Natürlich kann man der Meinung sein, dass die 41 Jahre junge Abgeordnete nicht besonders viel Erfahrung mitbringt, dass die Erzieherin und Diplom-Pädagogin mit dem Lebenslauf manch selbst ernannter Bildungsgrößen nicht mithalten kann. Aber wer sie schon jetzt als überfordert abstempelt, sollte sich fragen, ob das nicht ein wenig voreilig ist. Oder ob nicht auch Zöllner an der einen oder anderen Aufgabe gescheitert ist.
Und ob das Geraune damit zu tun haben könnte, dass Sandra Scheeres eine Frau mit zwei kleinen Kindern ist.Klaus Wowereit hat seine Entscheidung auf eine Art begründet, die aufhorchen lässt: Sandra Scheeres sei eine ausgezeichnete Jugendpolitikerin, sagte er, außerdem wisse sie aus ihrem Alltag als berufstätige Mutter zweier Kinder um die Probleme junger Familien. Sie solle sich nun um die Bildungsförderung von der Kita bis zur Hochschule kümmern.
Elternschaft als Qualifikation
Wow! Wann hat es das schon einmal gegeben in unserer nach wie vor verklemmten Vereinbarkeitsdebattenrepublik? Eine Frau bekommt einen Führungsjob, nicht obwohl, sondern weil sie Kinder hat! Sie wird nicht erst dann befördert, wenn die Kinder „aus dem Gröbsten heraus sind“, wie es immer so realitätsfern heißt, sondern wenn sie mittendrin steckt in der Vereinbarkeitsfalle. Wem die Frauenfrage wirklich am Herzen liegt, der muss Wowereit loben.
Man kann sich nur wünschen, dass er nicht einzige Regierungschef bleibt, der Elternschaft als berufliche Qualifikation bewertet und – das ist in der Politik besonders wichtig – es auch laut und deutlich sagt. Je mehr Männer mit Personalverantwortung das tun, desto besser, vor allem, wenn sie wie der Senatschef keine eigenen Kinder haben.
Die Ernennung der neuen Bildungssenatorin zeigt aber auch ein Problem auf, über dessen Lösung hierzulande nicht genug nachgedacht wird. Frauen und ihre Männer werden immer älter, bevor sie Nachwuchs bekommen. Sie zögern die Kinderfrage nicht zuletzt deshalb hinaus, weil sie sich erst einmal beruflich etablieren und finanziell auf eigenen Füßen stehen wollen. Das ist verständlich und nicht zu kritisieren.
Alles auf einmal
Es führt aber dazu, dass sie wie Sandra Scheeres und ihr voll berufstätiger Mann in eine Lebensphase geraten, in der sie alles auf einmal bewerkstelligen müssen: Sie sind zwischen 35 und 55 Jahre alt, haben das Gefühl, etwas zu verpassen und geben deshalb beruflich Vollgas. Gleichzeitig wollen sie mit ihren Kindern leben, wollen ihnen gerecht werden, bis sie erwachsen sind. So ist es nun mal, so sollte es auch sein. Entweder die Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft machen jungen Paaren Mut, sich früher für Kinder zu entscheiden, oder sie unterstützen späte Eltern dabei, Karrierejob und Familie unter einen Hut zu bekommen.
Sandra Scheeres traut sich die Aufgabe zu. Sie wird mit ihrem Mann besprochen haben, wie sie das gemeinsam hinbekommen. Wowereit jedoch, der ihr dieses anspruchsvolle Amt angetragen hat, sollte seinen Teil zum Gelingen beitragen. Er sollte sich mit dem CDU-Chef und künftigen Innensenator Frank Henkel zusammensetzen und einen ohnehin verkorksten Teil des Koalitionsvertrags nachverhandeln. Forschung und Wissenschaft auseinanderzureißen, war keine gute Idee, wie der massive Protest gegen den neuen Ressortzuschnitt zeigt. Die SPD könnte nach der Forschung auch die Wissenschaft an die neue CDU-Wirtschaftssenatorin abtreten, und die CDU müsste dafür etwas anderes hergeben, aus dem Bereich Arbeit zum Beispiel. Wenn beide Seiten wollen, sollte sich ein Modell finden lassen.
Sandra Scheeres jedenfalls könnte sich so auf Kitas und Schulen konzentrieren. Die hätten es nötig – und es wäre ein vernünftiger Beitrag zur Frauenförderung.