Als Gerhart Polt 1988 seinen großartigen Film „Man spricht deutsh“ herausbrachte, konnte man arglos herzlich über diese Karikatur deutschen Touristenlebens in Italien lachen. Zwei Jahre vor der deutschen Einheit war vollkommen klar, dass solch ignorantes Deutschtümeln zwar auf Campingplätzen und an Stammtischen mancherorts zu finden war – dass aber die bundesdeutsche Politik zutiefst europäisch und keinesfalls hegemonial dachte und handelte.
Jetzt hat der britische Publizist Timothy Garton Ash empfohlen, der englischen Sprache ein neues Verb anzufügen: to kauder. Das bedeute: Stammtischparolen auf die politische Bühne Europas zu bringen. Er meinte damit den Auftritt des Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU, Volker Kauder, auf dem CDU-Parteitag. Der Vertraute von Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte dort diese Woche mit Verve erklärt: „Jetzt auf einmal wird in Europa Deutsch gesprochen!“
Damit meinte er nicht das von der Union ebenso beharrlich wie erfolglos betriebene Projekt, Deutsch in Brüssel zur europäischen Umgangssprache zu machen. Er meinte das deutsche Diktat einer europäischen Spar- und Stabilitäts-, man könnte auch sagen: Austeritätspolitik. Nach nicht einmal 25 Jahren ist aus der Satire Realität geworden.
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Europa fürchtet sich vor der deutschen Übermacht, und die Deutschen finden nichts dabei. Ihre Regierenden feiern es als Erfolg. Die von Polts Filmtouristen vertretene Überzeugung, dass Italien doch ein schönes Land wäre, wenn da nicht die Italiener wären, ist so ähnlich nun auch im Berliner Regierungsviertel zu hören.
Nach den von Bismarck, Wilhelm II. und Hitler ausgelösten Katastrophen deutscher Hegemonialpolitik, die am Ende zum vollkommenen politischen und moralischen Untergang des deutschen Nationalstaates geführt haben, verfolgte die Einbindung der Bundesrepublik in die (west-)europäische Gemeinschaft immer zwei Ziele: die Rückkehr in die Völkergemeinschaft und eine Versicherung gegen deutsches Großmachtstreben.
Es ist ein historisches Verdienst von Konrad Adenauer, Willy Brandt und Helmut Kohl, dass sie diese Politik über Jahrzehnte ebenso glaubhaft wie erfolgreich betrieben haben. Als aber 1990 absehbar war, dass in der Mitte Europas wieder ein vereintes, viel mächtigeres Deutschland als die beiden Teilstaaten BRD und DDR entstehen würde, war man sich bei den Nachbarn und auch in manchen deutschen Kreisen nicht mehr ganz so sicher, ob dies so bleiben würde.
Helmut Kohl und die Seinen antworteten mit Thomas Mann: „Wir wollen kein deutsches Europa, sondern ein europäisches Deutschland.“ Wie als Faustpfand gaben sie sogar die Deutsche Mark drein, das geliebte und gehegte Symbol des deutschen Nachkriegswunders.
Doch damit setzte auch ein Mentalitätswandel ein, schleichend erst, und mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Lissabonvertrag 2009 erstmals auch greifbar. Es unterstreicht die Souveränität des deutschen Nationalstaats auf eine Weise, die auf ein deutsches Europa zielt. Doch erst die Eurokrise hat aus der theoretischen Rechtsmeinung politische Praxis werden lassen, auf eine viel rigidere Art, als die Karlsruher Richter es jemals gemeint haben dürften.
Es ist in gewisser Weise ein Verdienst Volker Kauders, dass er mit seinem selbstgerechten und arroganten Tuten den Nebel diplomatischer Wohlfühlfloskeln durchdrungen hat. Was hat es noch mit einem demokratischen, vielfältigen und gleichberechtigten Europa zu tun, wenn unter deutscher Führung die in Berlin ersonnene Sparpolitik den südlichen Ländern der Eurozone als alternativloser Sachzwang aufgedrängt und durch sogenannte Expertenregierungen exekutiert wird? Und wie ist der politische Druck aus Berlin auf die Europäische Zentralbank mit ihrer immer wieder proklamierten Unabhängigkeit zu vereinbaren?
Man mag Angela Merkel zugutehalten, dass sie sich nicht in diese Rolle gedrängt hat. Doch die erst durch den so erfolgreichen Euro und die deutsche Austeritätspolitik der letzten Jahre erlangte ökonomische Stärke Deutschlands zwingt sie nun zur Führung in eigener Sache. So wird der griechische Wunsch nach einer Volksabstimmung zur Bedrohung, so wird sogar Frankreich auf deutschen Kurs gebracht, und so wird der Weg schließlich in ein deutsch geprägtes Kerneuropa führen, bestehend aus den Euro-Ländern, vielleicht auch bald nur noch aus den starken Euroländern.
Angela Merkels jetzt erst entdeckte Leidenschaft für Europa klingt gut. Doch es ist ein ganz anderes Europa als der Bund freier und gleicher Demokratien, den ihre Vordenker einst erträumt haben.